erstehung feiert, auf anderem Gebiete und in wesentlich anderer
Form, als man es einst sich dachte.
Niemals darf der Wert der Erziehung, die Macht des Beispiels,
der Gesellschaft verkannt werden. Was im kindlichen Hirn schlum-
mert, sind nur Ansätze, nur Keime, die durch mannigfaltig abgestufte
Verhältnisse in den Kinderjahren gefördert, gehemmt und unter-
drückt werden können. Der Gärtner hat es in seiner Gewalt, zu
jäten und wucherndes Unkraut auszureitzen. Aber damit er dies
recht zu tun vermag, mutz er vor allem schädliche uud gute Triebe
unterscheiden können. Er mutz ruhig und mit klarer Besonnenheit
zielbewutzt zu Werke gehen. Wer mit plumper Hand oder mit
rücksichtslosem Futze unter
allem wütet, was von selbst
wächst, und es sich durchaus
in den Kopf setzt, nur das
dürfe grotz werden und ge-
deihen, was er selber hegt
und pflegt, wird meist er-
leben, datz gerade Unkraut am
eifrigsten wuchert, weil es am
widerstandsfähigsten ist, und
datz der selbstgepflanzte Same
kläglich verkommt.
Es ist nicht zu leugnen,
datz es wirklich im übelsten
Sinne ungeratene Kinder
gibt, Kinder, in denen von
Jugend an böse Triebe wur-
zeln, die Mängel des Moral-
empfindens zeigen, die ihr
ganzes Tun und Handeln nach
Gesichtspunkten einrichten,
welche Recht und Sitte durch-
aus verpönen. Solche Kin-
der sind aber doch nur Aus-
nahmen, welche mehr der
pflegenden Hand eines Arztes
als der strengen Zuchtrute
des unerbittlichen Erziehers
bedürfen. Es sind kranke Ge-
schöpfe, krank an Körper und
Geist.
Solche Fülle sind aller-
dings nur sehr selteu; viel
häufiger ist das ungeratene
Kind nur ein unverstandenes
Wesen. Unverständnis und
Unverstand der Eltern oder
Mozarts letzte Stunden. Erzieher sind es, die manchen
werdenden, noch unreifen
Menschen in die Bahn des ungeratenen Menschen hineindrüngen,
aus der er oft den Rückweg nicht mehr findet.
Der Erziehungsmitzgriff besteht darin, datz die meisten Fehler
und Vergehen der Kinder mit falschen: Matz gemessen werden, mit
jenem allzu strengen Matze, das wir für den erwachsenen, vernünftigen
Menschen anzulegen pflegen. Geringwertige Vergehen werden -
oft in der besten Absicht - - zu grotzen Verfehlungen gestempelt, das
Kind wird dafür hart gestraft, und so mutz in dem jungen Geschöpf,
das sich einer Verfehlung gar nicht bewutzt ist, das verbitternde
Gefühl einer ungerechten Behandlung wachgerufen werden ein
Gefühl, das den Trotz weckt und den beabsichtigten Einflutz der
Erzieher von vornherein lahmlegü
Man mutz versuchen, in die Seele des Kindes einzudringen, sich
bemühen, seine Gedankengünge nachzudenken. Dann wird man
viele Dinge in anderem Lichte sehen. Wieviel unnötige Härte rufen
die Kinderlügen und kleine Kinderdiebstähle hervor. Schwer wird
in solchen Füllen durch allzu grotze Strenge gesündigt, denn die Lüge
entspringt in den meisten Füllen keiner „bösen Anlage", sondern
Gemälde von F. Sh. Baude.
Das ungeratene Kind.
Von vr. med. Adolf Stark.
ie Fälle sind leider nicht allzu selten, datz sich in einer
ÄH grötzeren Familie irgend ein ungeratenes Kind findet, das,
aus der Art geschlagen, ganz anders ist als Eltern und
Vettern. Früher entschlotz man sich häufig, die ungerateuen Sprötz-
linge, nachdem alle gütlichen Mittel erschöpft waren, mit einer
Uberfahrtskarte uud einigen Talern in der Tasche übers grotze Wasser
zu schicken. Man sagte sich in solchen Fällen: „Zu Hause hast du
nicht gut getan, so lerne nun
in der Fremde arbeiten; viel¬
leicht bringt dich der Kampf
um das Brot zur Besinnung.
Gewinnst du festen Boden
unter den Fützen und eroberst
du dir ein neues Leben, dann
sollst du uns eines Tages wie¬
der willkommen sein. Gehst
du zugrunde, dann mag es
besser drüben geschehen, wo
niemand dich kennt, als hier,
wo dein Verkommen Schmach
und Schande über ein ganzes
Haus und seine näheren und
ferneren Angehörigen bringt."
So sprach mancher Vater
zu einem mitzratenen Sohn.
Meist verlietz der Junge das
Vaterhaus nicht ungern, wo
er es ja doch niemandem
recht machen konnte, und zog
der „goldenen Freiheit" nach,
die immer das Ziel seiner
Sehnsucht war. Sorgen für
die Zukunft, Kummer um des
nächsten Tages willen? Wo¬
zu das. Wer zerbricht sich
darüber den Kopf, wenn er
kaum zwanzig ist und das
tolle Blut in den Adern ohne¬
hin nicht weitz, wie es sich
austoben soll.
Hunderte, Tausende sol¬
cher ungeratener Söhne wan¬
derten mit einem Zwangpatz
hinüber in das lockende Land
des Dollars. Es gibt keiner¬
lei sichere Nachweise darüber,
wie sich jenseits des Meeres die Schicksale der einzelnen gestalteten,
aber mar: darf wohl glauben, datz nicht wenige dieser Taugenichtse
tüchtige Männer geworden sind, deren sich ihre Familie nicht zu
schämen braucht. Viele gingen aber auch drüben zugrunde; denn
die Verpflanzung fragwürdiger Naturen nach Amerika ist kein All-
heilmittel für ihre Gebrechen.
Es gab eine Zeit, wo man daran glaubte, datz ein Kind als
rveitzes, unbeschriebenes Blatt zur Welt käme, worauf erst Erziehung
und Umgang die Schrift aufzeichnen, die den: Lebensbuch den wahren
Inhalt gibt, der sein Wesen ausmacht und seinen Platz in der Welt
bestimmt. Heute wisseu wir, datz dies ein Irrtum ist, deun das
Kind bringt ja nicht nur üutzerliche Ähnlichkeiten der Eltern mit,
oder ein „Familienmal", das der Oheim oder Grotzvater getragen,
sondern das kleine Hirn hat schon das Erbe vieler vorausgegangener
Geschlechter in sich. Noch immer sind uns die Gesetze dieses geheim-
nisvollen Werdens unklar, noch ist das Rätsel der Vererbung nicht
gelöst, aber soviel wissen wir heute, datz die alte Lehre der Vorher-
bestimmung, der Prädestination, in modernem Gewände eine Auf-