Oie süße Schäferin.
Don Anna Wittula.
m Stadtplatz, dem schmiedeeisernen Brunnenhäuschen gegen-
über, steht ein Haus mit steinerner Laube. Zierlich überragt
der gemeißelte Sims einen Hochliegenden Verkaufsladen. Da-
neben im Auslagefenster waren zu einer Zeit, die längst dahin ist,
gläserne Vasen mit grellroten Zuckereiern gefüllt,- bunte Tragant-
figürchen standen daneben, Uber dieser bescheidenen Pracht und
der eisernen Gewölbtür hing eine weißgrün gestreifte Tafel mit der
Inschrift: „Christophorus Schäfer, bürgerlicher Oblatenbäcker." Zu
beiden Seiten der altväterischen
Schrift standen Männchen in Puder¬
perücken und weißer: Mützen. Sie
trugen herrliche Erzeugnisse der
Zuckerbückerzunft auf weißen, mit
Rosen umwundenen Tellern. Zum
Laden führten drei Stufen hinan.
Drinnen, hinter altersbraunen Git¬
tern lag die geringe Auswahl an
Backwerk: handgroße Biskotten,
Windbäckerei, so groß wie eine heu¬
tige Fastenbrezel, Spagatkrapfen
und andere leckere Dinge.
Hatten wir jungen Dinger auch
nur einen Kreuzer übrig, er wan¬
derte gewiß in dieses altertümliche
Verkaufsgewölbe. Sessel oder Bänke
gab es da nicht, inan mußte die
Herrlichkeiten stehend verzehren.
Verließen wir den Laden, so bim¬
melte die Glocke noch lange nach;
Jungfer Schäfer, die Schwester des
Besitzers, kam hinter dem Gitter
hervor, um mit Schaufel und Besen
die Spuren unserer Schuhe von
den Dielen zu fegen. Wir nannten
das ältliche Fräulein die Schäferin;
und weil es im Städtchen noch
eine Schwägerin gleichen Namens
gab, so hießen wir sie zur Unter¬
scheidung von der braven Kamin¬
fegermeisterin: „Die süße Schäfe¬
rin." Schön war sie nicht. Arn
Halse trug sie ein Kröpflein, das
sich vergeblich hinter einer steif¬
gestärkten Tüllmasche zu verbergen
suchte. Man wußte nie recht, ob
einem die Schäferin ins Gesicht
sah oder ob sie hinüber auf das
schlauchartige Ende des Marktplatzes
blickte, denn ihre Augen standen scheel zu der nicht ungefällig ge-
formten Stumpfnase.
Der Zuckerbäckerei gegenüber lag das Lädchen der Seifen-
siedermali, zu ihr mußte man ein paar Stufen hinabsteigen. In
der Höhe der Straße war ein großes Fenster mit vielen bleigefaßten
Scheiben, dort langweilten sich ein paar Seifenstücke, über denen
Talgkerzen in Bündeln hingen.
Wenn die Schäferin durch ihre Glastüre heraussah, konnten ihre
scharfen Augen alles wahrnehmen, was in der Stube neben dem
Seifensiederlädchen vorging, und sie wußte diese günstige Lage am
Stadtplatz auch auszunützen. Niemand, der vom Kirchenportal bis
zum Brunnenhäuschen hinaufschritt, entging ihren Falkenaugen.
Seit meiner Kinderzeit war ich bei der süßen Schäferin gut an-
gesehen. Jedesmal, wenn ich ihr meine Spargroschen hintrug,
was oft genug geschah, trug sie mir einen Gruß an meine Mutter
auf. Häufig machte sie mich aufmerksam, daß mir ein Schuhband
herabhinge oder die Zopfmasche verloren wäre.
Zu meinem sechzehnten Geburtstag hatte die Mutter eine große
Biskottentorte bei Christophorus Schäfer für mich bestellt und
seine Schwester fügte ein goldbedrucktes Kärtchen mit den „er-
gebensten Glückwünschen" bei.
Dann kam die Zeit meiner Jungmädchenjahre.
Die Seifensiedermali, die nur die Ware einer kleinen Fabrik
verkaufte und demnach keine „bürgerliche Seifensiedermeisterin"
war, hatte sich als junges Mädchen vergangen. Das trugen ihr die
Bürgersfrauen des Städtchens immer noch nach, und ihr blond-
zopfiges Mädel, die Katherl, war unseren Müttern für ihre Töchter
als Freundin nicht erwünscht. Und gerade in diese Katherl, in das
hübsche Ding nut dem klingenden Lachen, war ich verliebt. War
die Bürgerschule aus, so wartete ich an der Straßenecke unter dem
Florianisstandbild in Hitze oder Kälte auf die lässige Schülerin, um
sie auf den Marktplatz zu begleiten. Meine Mutter durfte zwar
nichts davon wissen, denn strenge
war es mir untersagt, mit der
Seifensiederkathi mich, sehen zu
lassen. Ich hängte mich aber doch
an sie, und lustig lachend schritten
wir am Offizierskaffee vorüber, den
Stadtplatz hinauf, bis zum Brun-
nenhäuschen. Vor dem Zucker-
bäckerladen machten wir halt, um
einmal und noch einmal Abschied
zu nehmen oder uns freundschaftlich
einen kleinen Schlag, „das Letzerl",
zu geben.
Dann kamen die Tage des
Schwärmens. Die Katherl hatte in
ihrem Herzen einem blutjungen
Offizierstellvertreter, einen: Kadet-
ten, wie man damals bei uns sagte,
einen Altar errichtet. Ich schwärmte
für einen Oberlehrer unserer Schule,
der doppelt, wenn nicht dreimal so
alt war, als ich. Zu jener Zeit lag
in meinem Rechenheft, fast ein
halbes Jahr lang, der Anfang eines
Gedichtes: „Wie blau sind deine
Augen." Weiter war es noch nicht
gediehen, denn der Reim „taugen"
erschien mir zu alltäglich. Als mir
Katherl den boshaften Vorschlag
machte, die zweite Zeile mit „Seifen-
siederlaugen" zu schließen, schmollte
ich drei Tage mit ihr.
Dann kam ein Tag, der für
unsere Freundschaft entscheidend
war für immer. Lange schon hatte
mich die Kathi gequält, sie einmal
nachmittags nach der Schule zu be-
suchen. Der Herr Kadett pflegte
um die fünfte Stunde bei der Seifen-
siedermali den Kaffee zu trinken
und nebenbei der hübschen Tochter den Hof zu machen. Lange
kämpfte ich mit meinem Gewissen und log endlich meiner Mutter
vor, ich wäre bei Doktors Marianne eingeladen. Trotz des Regen-
wetters zog ich heimlich unter dem Mantel die rote Sommerbluse
an, von der ich meinte, sie stände gut zu meinem sommersprossigen
Gesicht. Klopfenden Herzens ging ich an der süßen Schäferin vor-
über, die gerade an der Gewölbetür stand und hinter den regen-
beschlagenen Scheiben zur Seifensiedermali hinübersah. Rasch
kehrte ich um und tat, als wollte ich in den nebenliegenden Papier-
laden treten; dort besah ich mir im Auslagekasten die von den Fliegen
beschmutzten Glückwunschkarten. So oft ich hinüberspähte sah ich
die süße Schäferin an ihrer Glastüre stehen; sie guckte und guckte.
Da kam die Seifensiedermali vom Laden herauf: „Ah, guten Abend,
Freil'n Annerl! Sie wollen g'wiß zu meiner Kathi kommen? Nein,
das is aber scheen, nein, das is eine Ehr'! Bitt' schön, nur herein zu
spazieren. Die Kathi hat mir schon g'sagt, was für ein hoher Gast
heut' kommen wird. Und was macht denn die gnädige Frau Mama?
Allerweil g'sund, soweit? Ja? Nein, das is aber scheen, die Ehr'
und das Vergnügen!"
Phot. Becker L Maas, Berlin.
vr. Georg Michaelis, der neue Reichskanzler.
XXV. 1917,