H-ft 26
DasBuchfüvAtl«
609
„Du bist wahrhaftig mehr als eifrig um seine Entschuldigung
bemüht."
„Heddy, das ist ungerecht."
„Verzeihe. Aber läßt sich denn — angenommen, alles sei so,
wie dein gutes, mitleidiges Herz es dir vorspiegelt — dürfte man
das ein Wiedergutmachen nennen? Läßt sich, was er an mir tat,
jemals mit Geld sühnen?"
„Nein, das will ich nicht sagen."
„Er vergeudete mein Geld und brachte mich ins Elend, in dem
ich untergehen mußte ohne euch."
„Heddy, kein Wort von uns."
„Hab und Gut könnte er wieder ersetzen. Ich habe arbeiten ge-
lernt. Als das Geld kam, konnte ich es verachten; das habe ich ver-
schmerzt und verziehen; als meinen Schuldner im gewöhnlichen
Sinn betrachtete ich ihn niemals. Was er sonst aü mir tat» ist unver-
zeihlich. Du warst es damals, du sagtest in deiner HerZensaufrichtig-
keit, daß ich recht gehandelt hatte."
„Ich wiederhole es auch heute noch. Um so mehr aber habe ich
das Recht, dir zu
sagen: was du jetzt
tun willst, ist und
bleibt unrecht."
„Ichverstehe nur
nicht, was du damit
meinst."
„Du darfst Kurt
gegenüber jetzt nicht
schweigen, ohne dich
schuldig zu machen."
„Kurt! Mir glüht
der Kopf!"
„Laß ihn erst kühl
und klar werden und
dann urteile. Du
weißt, daß ich dich
sehr lieb habe. Dein
Schmerz war und
ist mein eigener. Ich
verstehe auch deinen
Groll und verstand
und ehrte ihn immer.
In dir zerbrach da¬
mals dein Ehrgefühl.
Du warst als Weib
tödlich beleidigt, denn
es gibt keine härtere
Schmach für uns, als zu erfahren, daß ein Mitgiftjäger unser Geld
geheiratet hat und keine Liebe fühlt."
„Das ist es, was wahr ist und bleibt."
„Du siehst, ich beschönige nichts, ich fühle mit dir, und würde
zürnen wie du, wenn ein gleiches Schicksal mich getroffen hätte."
Als sie Hedwigs traurig fragendem Blick begegnete, fuhr sie fort:
„Ich weiß es wohl, du verlorst mehr durch ihn als etwa Hab und
Gut, dein guter Glaube an die Menschen bekam den härtesten Stoß."
„Ja; aber bei euch fand ich ihn wieder."
„Nichts davon. Nun aber kommt eine Forderung, die im Schick-
salsbuch durch dich zu begleichen ist."
Da Hedwig schwieg, fragte Agnes: „Bliebst du nichts, gar nichts
schuldig?"
„Nein! Ihm wenigstens nicht. Ich habe ihm alles gegeben.
Mein Gut, mein Geld, meinen ehrenhaften Namen, mich selbst."
„Als du seine Frau wurdest, ja. Und ehe er dich belog, als du
ihm vertrautest und glaubtest."
„Wie sollte ich in seiner Schuld stehen?"
„Du hast die zehntausend Rubel wortlos zurückgehen lassen; so
war es doch?"
„Ja."
„Entsinnst du dich noch, daß ich dich damals fragte, ob du mcht
an Kurt denken wolltest, als das Geld kam?"
„Ich weiß es noch sehr gut; ich antwortete dir, weil ich an ihn
dachte, wollte ich von dem Geld nichts wissen, an dem Lüge und
andere Laster klebten."
XXVI. 1917.
,>Jch wollte meine Frage anders verstanden wissen. Dachtest
du nicht daran, ihn wissen Zu lassen, daß er einen Sohn hätte, und
daß du diesen Sohn lieber darben, als durch ihn bereichert sehen
wolltest?"
„Das, meinst du, hätte ich ihm antworten sollen, antworten
dürfen?"
„Ich sage, du hättest es müssen, wenn du annahmst, daß diese
Summe von Albert käme. Bei deinem Gelöbnis, nie zu lügen,
Heddy, dachtest du daran?"
.„Ja, ich will es nicht verhehlen. Ich dachte daran."
„Dann hast du einen Schuldposten in deinem Lebensbuch;
auch Verschweigen ist Schuld und manchmal so schwere Schuld
als Lüge."
„Agnes!"
„Ich muß es aussprechen. Du verhehltest dem Vater, daß er einen
Sohn besaß; nun verschweige dem Sohne, daß sein Vater lebt."
Hedwig rang schwer mit sich. Ihr war, als würde etwas Heiliges
in ihr zerstört. Aber um so unbeugsamer wurde sie: „Gut, so trage
auch ich meine Schuld
und will sie tragen.
Ich bin vielleicht eine
vermessene Prah-
lerin gewesen mit
aller Eitelkeit auf
meine eigene Wahr-
heitsliebe. Es ist ja
bitter, sich sagen zu
müssen, was für ein
zerbrechliches Gefäß
der Wahrheit wir
sind! Laß mich jetzt.
Ich habe nur eine
Pflicht,meinenSohn
zu schützen, seinen
Namen und seine
Ehre, wenn ich das
nicht tun soll, werde
ich an allem irre."
Agnes sah die
Freundin trostlos an;
seufzend sagte sie:
„Ach, diese Verwir-
rungen sind unlös-
bar. Ich weiß bald
selbst nicht mehr,
was Wahrheit ist
und was Lüge, Recht oder Unrecht. Wenn doch Richard da wäre.
Wir wollen ihn hören, Liebste."
„Nein, ich will und muß handeln; ich kann keinen Rat abwarten.
Könnte er —Albert —, da er die Spur fand, sich nicht selbst Kurt ent-
decken? Das darf nicht geschehen. Niemals darf es so weit kommen."
„Was willst du tun?"
Hedwig antwortete nicht mehr. Sie setzte sich vor den Schreib-
tisch und bald füllten wenige, aber entschlossene Zeilen den Brief-
bogen. Sie schrieb an Pahlzow: „Albert! Du lebst; durch einen
Brief Valeskas an ihre Mutter, Agnes Holst, erfuhr ich es. Du
hörtest von ihr, daß Du einen Sohn hast, dessen Braut sie ist. Sie
ahnt nicht, wer Spielmann ist, und wer mein Glück zertrat und nun
das ihre bedroht. Will man es leicht nehmen, so könnte man alles
Verhängnis nennen. Ich aber will seinen blinden Lauf hemmen.
Kreuze Du nie den Weg meines Kindes, wie Du meinen gekreuzt
hast. Dieser Sohn ist in Ehren erzogen, er soll in Ehren leben
dürfen. Hedwig."
Als Agnes diese Zeilen gelesen hatte, klagte sie: „Ich weiß nicht,
ob du recht tust."
Hedwig antwortete nichts mehr; sie gab dem Briefe die Auf-
schrift an Albert Spielmann in Meilershofen und brachte ihn selbst
zum Kasten.
Als Hedwig aus dem Hause trat, kam ein Fernamtsbote auf
sie zu. Er grüßte und fragte, ob hier Frau Pahlzow wohne.
Betroffen antwortete sie: „Ich selbst bin Frau Pahlzow."
„Dann ist die Nachricht für Sie." (Fortsetzung folgt.)
Phot. Welt-Preß-Photo, Wien.
Türkenbegräbnis.
DasBuchfüvAtl«
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„Du bist wahrhaftig mehr als eifrig um seine Entschuldigung
bemüht."
„Heddy, das ist ungerecht."
„Verzeihe. Aber läßt sich denn — angenommen, alles sei so,
wie dein gutes, mitleidiges Herz es dir vorspiegelt — dürfte man
das ein Wiedergutmachen nennen? Läßt sich, was er an mir tat,
jemals mit Geld sühnen?"
„Nein, das will ich nicht sagen."
„Er vergeudete mein Geld und brachte mich ins Elend, in dem
ich untergehen mußte ohne euch."
„Heddy, kein Wort von uns."
„Hab und Gut könnte er wieder ersetzen. Ich habe arbeiten ge-
lernt. Als das Geld kam, konnte ich es verachten; das habe ich ver-
schmerzt und verziehen; als meinen Schuldner im gewöhnlichen
Sinn betrachtete ich ihn niemals. Was er sonst aü mir tat» ist unver-
zeihlich. Du warst es damals, du sagtest in deiner HerZensaufrichtig-
keit, daß ich recht gehandelt hatte."
„Ich wiederhole es auch heute noch. Um so mehr aber habe ich
das Recht, dir zu
sagen: was du jetzt
tun willst, ist und
bleibt unrecht."
„Ichverstehe nur
nicht, was du damit
meinst."
„Du darfst Kurt
gegenüber jetzt nicht
schweigen, ohne dich
schuldig zu machen."
„Kurt! Mir glüht
der Kopf!"
„Laß ihn erst kühl
und klar werden und
dann urteile. Du
weißt, daß ich dich
sehr lieb habe. Dein
Schmerz war und
ist mein eigener. Ich
verstehe auch deinen
Groll und verstand
und ehrte ihn immer.
In dir zerbrach da¬
mals dein Ehrgefühl.
Du warst als Weib
tödlich beleidigt, denn
es gibt keine härtere
Schmach für uns, als zu erfahren, daß ein Mitgiftjäger unser Geld
geheiratet hat und keine Liebe fühlt."
„Das ist es, was wahr ist und bleibt."
„Du siehst, ich beschönige nichts, ich fühle mit dir, und würde
zürnen wie du, wenn ein gleiches Schicksal mich getroffen hätte."
Als sie Hedwigs traurig fragendem Blick begegnete, fuhr sie fort:
„Ich weiß es wohl, du verlorst mehr durch ihn als etwa Hab und
Gut, dein guter Glaube an die Menschen bekam den härtesten Stoß."
„Ja; aber bei euch fand ich ihn wieder."
„Nichts davon. Nun aber kommt eine Forderung, die im Schick-
salsbuch durch dich zu begleichen ist."
Da Hedwig schwieg, fragte Agnes: „Bliebst du nichts, gar nichts
schuldig?"
„Nein! Ihm wenigstens nicht. Ich habe ihm alles gegeben.
Mein Gut, mein Geld, meinen ehrenhaften Namen, mich selbst."
„Als du seine Frau wurdest, ja. Und ehe er dich belog, als du
ihm vertrautest und glaubtest."
„Wie sollte ich in seiner Schuld stehen?"
„Du hast die zehntausend Rubel wortlos zurückgehen lassen; so
war es doch?"
„Ja."
„Entsinnst du dich noch, daß ich dich damals fragte, ob du mcht
an Kurt denken wolltest, als das Geld kam?"
„Ich weiß es noch sehr gut; ich antwortete dir, weil ich an ihn
dachte, wollte ich von dem Geld nichts wissen, an dem Lüge und
andere Laster klebten."
XXVI. 1917.
,>Jch wollte meine Frage anders verstanden wissen. Dachtest
du nicht daran, ihn wissen Zu lassen, daß er einen Sohn hätte, und
daß du diesen Sohn lieber darben, als durch ihn bereichert sehen
wolltest?"
„Das, meinst du, hätte ich ihm antworten sollen, antworten
dürfen?"
„Ich sage, du hättest es müssen, wenn du annahmst, daß diese
Summe von Albert käme. Bei deinem Gelöbnis, nie zu lügen,
Heddy, dachtest du daran?"
.„Ja, ich will es nicht verhehlen. Ich dachte daran."
„Dann hast du einen Schuldposten in deinem Lebensbuch;
auch Verschweigen ist Schuld und manchmal so schwere Schuld
als Lüge."
„Agnes!"
„Ich muß es aussprechen. Du verhehltest dem Vater, daß er einen
Sohn besaß; nun verschweige dem Sohne, daß sein Vater lebt."
Hedwig rang schwer mit sich. Ihr war, als würde etwas Heiliges
in ihr zerstört. Aber um so unbeugsamer wurde sie: „Gut, so trage
auch ich meine Schuld
und will sie tragen.
Ich bin vielleicht eine
vermessene Prah-
lerin gewesen mit
aller Eitelkeit auf
meine eigene Wahr-
heitsliebe. Es ist ja
bitter, sich sagen zu
müssen, was für ein
zerbrechliches Gefäß
der Wahrheit wir
sind! Laß mich jetzt.
Ich habe nur eine
Pflicht,meinenSohn
zu schützen, seinen
Namen und seine
Ehre, wenn ich das
nicht tun soll, werde
ich an allem irre."
Agnes sah die
Freundin trostlos an;
seufzend sagte sie:
„Ach, diese Verwir-
rungen sind unlös-
bar. Ich weiß bald
selbst nicht mehr,
was Wahrheit ist
und was Lüge, Recht oder Unrecht. Wenn doch Richard da wäre.
Wir wollen ihn hören, Liebste."
„Nein, ich will und muß handeln; ich kann keinen Rat abwarten.
Könnte er —Albert —, da er die Spur fand, sich nicht selbst Kurt ent-
decken? Das darf nicht geschehen. Niemals darf es so weit kommen."
„Was willst du tun?"
Hedwig antwortete nicht mehr. Sie setzte sich vor den Schreib-
tisch und bald füllten wenige, aber entschlossene Zeilen den Brief-
bogen. Sie schrieb an Pahlzow: „Albert! Du lebst; durch einen
Brief Valeskas an ihre Mutter, Agnes Holst, erfuhr ich es. Du
hörtest von ihr, daß Du einen Sohn hast, dessen Braut sie ist. Sie
ahnt nicht, wer Spielmann ist, und wer mein Glück zertrat und nun
das ihre bedroht. Will man es leicht nehmen, so könnte man alles
Verhängnis nennen. Ich aber will seinen blinden Lauf hemmen.
Kreuze Du nie den Weg meines Kindes, wie Du meinen gekreuzt
hast. Dieser Sohn ist in Ehren erzogen, er soll in Ehren leben
dürfen. Hedwig."
Als Agnes diese Zeilen gelesen hatte, klagte sie: „Ich weiß nicht,
ob du recht tust."
Hedwig antwortete nichts mehr; sie gab dem Briefe die Auf-
schrift an Albert Spielmann in Meilershofen und brachte ihn selbst
zum Kasten.
Als Hedwig aus dem Hause trat, kam ein Fernamtsbote auf
sie zu. Er grüßte und fragte, ob hier Frau Pahlzow wohne.
Betroffen antwortete sie: „Ich selbst bin Frau Pahlzow."
„Dann ist die Nachricht für Sie." (Fortsetzung folgt.)
Phot. Welt-Preß-Photo, Wien.
Türkenbegräbnis.