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DcrsBuchsüvAlte
Heft 27
Origmalzeichnung von P. Wallai. Der Letzte von Äord.
Phot. A. Grohs, Berlin.
vermochte als das größte und dennoch durch Mißbrauch beinahe
lächerlich gewordene: Liebe. Sie wußte keine andere Deutung für
dieses dunkle, mächtige Gefühl, vor dem das Weib in ihr seiner starken
Männlichkeit sich unterwarf, und sie war willens, dieser lockenden
Stimme zu folgen, solange er sich dieser Hingabe würdig erwies.
Sie erschauerte in einem nicht in Worte zu fassenden, zaghaften
Glücksgefühl, als sie sich
einmal in den folgen¬
den Tagen dabei er¬
tappte, wie sie lange ge¬
standen und die Stirne
gegen die Fensterschei¬
ben gepreßt, als er sich
verspätet hatte, und er¬
schrak über die Freude,
ihn endlich kommen zu
sehen.
- Und sie wunderte sich
nicht mehr und wagte
nicht, sich Rechenschaft
abzulegen, wie sehr sie
dem Wesen dieses Man¬
nes verfallen war, als
einmal Sonja kam und
mit traurig verzogenem
Gesicht erzählte, Papa
müsse auf längere Zeit
verreisen — und sie dar¬
über fast körperlichen
Schmerz empfand. Auch
ihr fehlte nun, wie vor Seim Füllen t
kurzem der kleinen Sonja, etwas Vertrautes, als er nun an den
Abenden nicht mehr kam, und sie verstand nicht mehr, wie sie die
Zeit vorher in stetem Alleinsein ertragen gekonnt. Sie suchte in
diesen Tagen heimlich nach Zügen im Wesen des Kindes, die sie an
den Vater erinnerten, und zählte die Stunden, bis sie den leichten,
trippelnden Schritt der kleinen Sonja auf der Treppe vernahm.
Heute kam die Kleine
verwirrt vor Aufregung
und rief schon unter
der Tür: „Papa kommt
mit dem Nachtzug zu-
rück, wir haben ein
Telegramm!"
Als siedann auf ihrem
Schoß saß, baumelte
Sonja verlegen mit den
Beinchen und sprach
lange Zeit nicht mehr.
Endlich und unvermit-
telt fragte sie stockend:
„Würdest du böse sein,
wenn ich dich Mama
nenne?"
Wera stand hastig
auf und ordnete ihr
Haar vor dem Spiegel,
nur um ihr Gesicht
und ihre Erregung zu
verbergen. Sie nahm
sich sehr zusammen, ehe
sie mit schlechtgespielter
DcrsBuchsüvAlte
Heft 27
Origmalzeichnung von P. Wallai. Der Letzte von Äord.
Phot. A. Grohs, Berlin.
vermochte als das größte und dennoch durch Mißbrauch beinahe
lächerlich gewordene: Liebe. Sie wußte keine andere Deutung für
dieses dunkle, mächtige Gefühl, vor dem das Weib in ihr seiner starken
Männlichkeit sich unterwarf, und sie war willens, dieser lockenden
Stimme zu folgen, solange er sich dieser Hingabe würdig erwies.
Sie erschauerte in einem nicht in Worte zu fassenden, zaghaften
Glücksgefühl, als sie sich
einmal in den folgen¬
den Tagen dabei er¬
tappte, wie sie lange ge¬
standen und die Stirne
gegen die Fensterschei¬
ben gepreßt, als er sich
verspätet hatte, und er¬
schrak über die Freude,
ihn endlich kommen zu
sehen.
- Und sie wunderte sich
nicht mehr und wagte
nicht, sich Rechenschaft
abzulegen, wie sehr sie
dem Wesen dieses Man¬
nes verfallen war, als
einmal Sonja kam und
mit traurig verzogenem
Gesicht erzählte, Papa
müsse auf längere Zeit
verreisen — und sie dar¬
über fast körperlichen
Schmerz empfand. Auch
ihr fehlte nun, wie vor Seim Füllen t
kurzem der kleinen Sonja, etwas Vertrautes, als er nun an den
Abenden nicht mehr kam, und sie verstand nicht mehr, wie sie die
Zeit vorher in stetem Alleinsein ertragen gekonnt. Sie suchte in
diesen Tagen heimlich nach Zügen im Wesen des Kindes, die sie an
den Vater erinnerten, und zählte die Stunden, bis sie den leichten,
trippelnden Schritt der kleinen Sonja auf der Treppe vernahm.
Heute kam die Kleine
verwirrt vor Aufregung
und rief schon unter
der Tür: „Papa kommt
mit dem Nachtzug zu-
rück, wir haben ein
Telegramm!"
Als siedann auf ihrem
Schoß saß, baumelte
Sonja verlegen mit den
Beinchen und sprach
lange Zeit nicht mehr.
Endlich und unvermit-
telt fragte sie stockend:
„Würdest du böse sein,
wenn ich dich Mama
nenne?"
Wera stand hastig
auf und ordnete ihr
Haar vor dem Spiegel,
nur um ihr Gesicht
und ihre Erregung zu
verbergen. Sie nahm
sich sehr zusammen, ehe
sie mit schlechtgespielter