Heft 27
DasBuriMvAllü
643
um etwas zu tun zu haben, auf dem Schreibtische überflüssige
Arbeit. Kurt las jetzt in ruhigerer Fassung den Brief noch einmal.
Er lautete: „Herr Bürgermeister! Ich wende mich an Sie, um
Ihres Amtes und um Ihrer warmen Menschlichkeit willen. Seien
Sie der Testamentsvollstrecker eines Unglücklichen, der um so un-
seliger ist, weil er verdient hat, es zu sein. Ich heiße nicht Spiel-
mann, mein Name lautet Albert Pahlzow. Wie ich nun weiß,
lebt die Frau, welche meinen Namen trägt, der ich alles geraubt
habe, Geld, Glück, Ehre und Frieden, in Hamburg. Außer ihr lebt
ein Sohn von mir, von dem ich nichts weiß, als daß er der Ver-
lobte von Valeska Holst ist, der Schwester Valeska, die Sie kennen.
An Schwester Valeska wenden Sie sich, um die Adresse meiner
Frau, Hedwig, zu erfahren und senden Sie dieser, meiner ver-
ratenen, schwergekränkten Frau, den einliegenden Brief. Ein ver-
fehltes Leben hat durch eine Kugel geendet, wenn Sie diese Zeilen
lesen. Erfüllen Sie den letzten Wunsch eines zum Sterben Gewillten,
und seien Sie für diesen Liebesdienst bedankt von Albert Pahlzow."
Kurt gab den Brief an Tobias zurück. Leise, als sollte Valeska
nicht mehr in Anspruch genommen werden, trat er zu dem Bürger-
meister und sagte: § Ge¬
statten Sie mir ein paar
Zeilen zu schreiben?"
„Gern." Er holte
den ihm anvertrauten
Brief Albert Pahlzows
hervor: „Bitte, schreiben
Sie selbst die Adresse
Ihrer Frau Mutter,
und hier ist das Ver¬
mächtnis an sie. Wenn
der Unglückliche auch
noch lebt, sein Brief
gehört nur ihr."
„Ja, sie selbst aber
soll ihn in Empfang
nehmen, ich rufe sie
her."
„Gewiß, Herr Re¬
ferendar, das ist das
beste. Wollen Sie Ihrer
Frau Mutter telegra¬
phieren."
Tobias erhob sich
und räumte Kurt den
Platz vor dem Schreib¬
tische ein. Der junge
Soldat schrieb die Depesche. Eben erklärte Tobias, daß er das Tele-
gramm selbst auf das am Marktplatze liegende Postamt bringen
wolle, Kurt werde ohnedies einen Augenblick mit seiner erschütterten
Braut allein reden wollen; da klopfte es und Hilde trat ein. Sie
schien überrascht, Tobias nicht allein zu finden. Dann erblickte sie
Valeska und erkannte Kurt nach dem Bilde. Sie sah ihren Ver-
lobten fragend an; ehe sie sprechen konnte, sagte er: „Komm
nur, Hilde, du triffst keine Fremden. Wie steht es mit unserem
Kranken?"
Hilde ging zu Valeska und faßte ihre Hände: „Mut, Schwester
Valeska, es steht besser, als zu hoffen war. Sie weiß doch alles,
Fritz?"
„Alles "
„Die Kugel ist an einer Rippe abgeglitten, es besteht keine Lebens-
gefahr mehr; wenn Sie wollen, dürfen Sie den Verwundeten sehen.
Ich kam, um in die Waldhalle zu telephonieren, der Oberstabsarzt
schickte mich."
Kurt war aufgestanden, und Hilde wandte sich ihm zu: „Sie
stad Herr Kurt Pahlzow, der Sohn?"
Kurt bejahte die Frage; ehe er weiter sprechen konnte, rief seine
Braut: „Hörst du, Kurt, wir dürfen — komm, wir wollen gehen."
Mit hartem Ausdruck sagte er: „Du darfst, du wirst gerufen."
„Aber, Kurt, er hätte doch nach dir verlangt, wenn er wüßte,
daß du hier bist."
Der Bürgermeister nahm Hildes Hand: „Komm, hier haben wir
nichts zu tun, komm zu meiner Mutter. Herr Referendar, Fräulein
Holst weiß den Weg. Wir lassen Sie allein, diese Entschließung er:
müssen Sie unter sich allein besprechen. Ich bringe meine Braut zu
meiner Mutter und dann Ihr Telegramm zur Post. Ich soll es doch
aufgeben?"
„Jo, ich bleibe bei meinem Entschluß."
„Auf Wiedersehen —"
„Auf Wiedersehen und vielen Dank, Herr Bürgermeister."
Jetzt erst, da Tobias Hilde an sich zog und mit ihr ging, wurde
Valeska aufmerksam, wie vertraut der Bürgermeister und diese
standen, aber sie war so von sich, ihrem und Kurts Schicksal in An-
spruch genommen, daß sie an keine Frage dachte.
Kurt und Valeska waren allein. Sie warf sich an die Brust
des Verlobten: „Kurt, er wird leben, er ist gerettet, wie glücklich
ich bin, wie glücklich wirst du sein! Dein Vater, unser Vater lebt,
komm. Wir dürfen zu ihm, keinen Augenblick länger soll er warten.
Mein Gott, wie siehst du aus? Geliebter, du kannst doch nicht . . ."
Als sie stockte, sagte er ernst: „Daß ich der Richter sein wollte über
meinen Vater, meinst du? Nein, das Recht maße ich mir nicht an.
Aber ich muß es erst fassen lernen, daß mein Vater lebt. Ihr Glück-
lichen wißt ja nicht, was
es heißt, einen Vater,
einen solchen Vater zu
haben ..."
„Er ist ein Kranker,
ein Unglücklicher, der
sterben wollte, gibt es
da noch einen Zweifel,
Kurt?"
„Nein, Liebste. Nur
die Frage, ob er meinen
Anblick erträgt."
„Dann will ich erst
allein zu ihm und ihn
vorbereiten."
„Die erste, die ihn
sehen, die mit ihm
sprechen, die über alles
entscheiden soll, ent-
scheiden muß, ist meine
Mutter."
Valeska sah ihn ver-
ständnislos an: „Welch
harte Seelen ihr seid.
Wie gleicht ihr beide
euch, du und deine
Mutter. Wenn ich dich
nicht so unsagbar lieb hätte, wenn ich nicht wüßte, wie gut du bist,
ich würde irre an dir."
„Valeska!"
„Hat dich das Leben da draußen in Not und Tod noch mehr
abgehärtet? Ich begreife dich nicht. Bei deiner Liebe zu mir,
besinne dich nicht, schwanke nicht, frage nicht, denke an nichts, als an
Liebe."
Ein paar Augenblicke rang Kurt noch mit sich, dann sagte er
ruhig: „Komm, wir wollen zu ihm gehen."
Sie hatte ihn bei seiner Liebe beschworen, bei einer Liebe, die
das Glück seines Lebens war. Um dieser Liebe willen mußte er
ihr folgen.
Valeska betrat dann doch zuerst allein die Stube, in der Albert
Pahlzow, unter des Oberstabsarztes Fürsorge, lag, der sie mit
den Worten empfing: „Kommen Sie, Schwester, hier ist ein Vater,
der herzliche Sehnsucht hat nach seiner Tochter. Er hat mir viel
erzählt, und ich ahne, wie viel von Ihrem Herzen abhängt. Küssen
Sie ihn."
Da kniete sie am Bett nieder, faßte eine auf der Decke liegende
bleiche Hand, küßte sie inbrünstig und netzte sie mit Tränen.
Die Hand aber zog sie leise empor, und eine flüsternde Stimme
bat: „Küsse mich, Kind!"
„Vater!" flüsterte Valeska erschüttert; still schluchzend konnte sie
weiter nichts sagen, als das eine Wort: „Vater."
Dann blickte sie ihn durch Tränen an. Wie anders sah er aus,
als damals, da sie ihn zum letztenmal verzweifelt gesehen hatte.
Phot. Dufa.
Aus dem von den Küssen verwüsteten Tarnopol.
DasBuriMvAllü
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um etwas zu tun zu haben, auf dem Schreibtische überflüssige
Arbeit. Kurt las jetzt in ruhigerer Fassung den Brief noch einmal.
Er lautete: „Herr Bürgermeister! Ich wende mich an Sie, um
Ihres Amtes und um Ihrer warmen Menschlichkeit willen. Seien
Sie der Testamentsvollstrecker eines Unglücklichen, der um so un-
seliger ist, weil er verdient hat, es zu sein. Ich heiße nicht Spiel-
mann, mein Name lautet Albert Pahlzow. Wie ich nun weiß,
lebt die Frau, welche meinen Namen trägt, der ich alles geraubt
habe, Geld, Glück, Ehre und Frieden, in Hamburg. Außer ihr lebt
ein Sohn von mir, von dem ich nichts weiß, als daß er der Ver-
lobte von Valeska Holst ist, der Schwester Valeska, die Sie kennen.
An Schwester Valeska wenden Sie sich, um die Adresse meiner
Frau, Hedwig, zu erfahren und senden Sie dieser, meiner ver-
ratenen, schwergekränkten Frau, den einliegenden Brief. Ein ver-
fehltes Leben hat durch eine Kugel geendet, wenn Sie diese Zeilen
lesen. Erfüllen Sie den letzten Wunsch eines zum Sterben Gewillten,
und seien Sie für diesen Liebesdienst bedankt von Albert Pahlzow."
Kurt gab den Brief an Tobias zurück. Leise, als sollte Valeska
nicht mehr in Anspruch genommen werden, trat er zu dem Bürger-
meister und sagte: § Ge¬
statten Sie mir ein paar
Zeilen zu schreiben?"
„Gern." Er holte
den ihm anvertrauten
Brief Albert Pahlzows
hervor: „Bitte, schreiben
Sie selbst die Adresse
Ihrer Frau Mutter,
und hier ist das Ver¬
mächtnis an sie. Wenn
der Unglückliche auch
noch lebt, sein Brief
gehört nur ihr."
„Ja, sie selbst aber
soll ihn in Empfang
nehmen, ich rufe sie
her."
„Gewiß, Herr Re¬
ferendar, das ist das
beste. Wollen Sie Ihrer
Frau Mutter telegra¬
phieren."
Tobias erhob sich
und räumte Kurt den
Platz vor dem Schreib¬
tische ein. Der junge
Soldat schrieb die Depesche. Eben erklärte Tobias, daß er das Tele-
gramm selbst auf das am Marktplatze liegende Postamt bringen
wolle, Kurt werde ohnedies einen Augenblick mit seiner erschütterten
Braut allein reden wollen; da klopfte es und Hilde trat ein. Sie
schien überrascht, Tobias nicht allein zu finden. Dann erblickte sie
Valeska und erkannte Kurt nach dem Bilde. Sie sah ihren Ver-
lobten fragend an; ehe sie sprechen konnte, sagte er: „Komm
nur, Hilde, du triffst keine Fremden. Wie steht es mit unserem
Kranken?"
Hilde ging zu Valeska und faßte ihre Hände: „Mut, Schwester
Valeska, es steht besser, als zu hoffen war. Sie weiß doch alles,
Fritz?"
„Alles "
„Die Kugel ist an einer Rippe abgeglitten, es besteht keine Lebens-
gefahr mehr; wenn Sie wollen, dürfen Sie den Verwundeten sehen.
Ich kam, um in die Waldhalle zu telephonieren, der Oberstabsarzt
schickte mich."
Kurt war aufgestanden, und Hilde wandte sich ihm zu: „Sie
stad Herr Kurt Pahlzow, der Sohn?"
Kurt bejahte die Frage; ehe er weiter sprechen konnte, rief seine
Braut: „Hörst du, Kurt, wir dürfen — komm, wir wollen gehen."
Mit hartem Ausdruck sagte er: „Du darfst, du wirst gerufen."
„Aber, Kurt, er hätte doch nach dir verlangt, wenn er wüßte,
daß du hier bist."
Der Bürgermeister nahm Hildes Hand: „Komm, hier haben wir
nichts zu tun, komm zu meiner Mutter. Herr Referendar, Fräulein
Holst weiß den Weg. Wir lassen Sie allein, diese Entschließung er:
müssen Sie unter sich allein besprechen. Ich bringe meine Braut zu
meiner Mutter und dann Ihr Telegramm zur Post. Ich soll es doch
aufgeben?"
„Jo, ich bleibe bei meinem Entschluß."
„Auf Wiedersehen —"
„Auf Wiedersehen und vielen Dank, Herr Bürgermeister."
Jetzt erst, da Tobias Hilde an sich zog und mit ihr ging, wurde
Valeska aufmerksam, wie vertraut der Bürgermeister und diese
standen, aber sie war so von sich, ihrem und Kurts Schicksal in An-
spruch genommen, daß sie an keine Frage dachte.
Kurt und Valeska waren allein. Sie warf sich an die Brust
des Verlobten: „Kurt, er wird leben, er ist gerettet, wie glücklich
ich bin, wie glücklich wirst du sein! Dein Vater, unser Vater lebt,
komm. Wir dürfen zu ihm, keinen Augenblick länger soll er warten.
Mein Gott, wie siehst du aus? Geliebter, du kannst doch nicht . . ."
Als sie stockte, sagte er ernst: „Daß ich der Richter sein wollte über
meinen Vater, meinst du? Nein, das Recht maße ich mir nicht an.
Aber ich muß es erst fassen lernen, daß mein Vater lebt. Ihr Glück-
lichen wißt ja nicht, was
es heißt, einen Vater,
einen solchen Vater zu
haben ..."
„Er ist ein Kranker,
ein Unglücklicher, der
sterben wollte, gibt es
da noch einen Zweifel,
Kurt?"
„Nein, Liebste. Nur
die Frage, ob er meinen
Anblick erträgt."
„Dann will ich erst
allein zu ihm und ihn
vorbereiten."
„Die erste, die ihn
sehen, die mit ihm
sprechen, die über alles
entscheiden soll, ent-
scheiden muß, ist meine
Mutter."
Valeska sah ihn ver-
ständnislos an: „Welch
harte Seelen ihr seid.
Wie gleicht ihr beide
euch, du und deine
Mutter. Wenn ich dich
nicht so unsagbar lieb hätte, wenn ich nicht wüßte, wie gut du bist,
ich würde irre an dir."
„Valeska!"
„Hat dich das Leben da draußen in Not und Tod noch mehr
abgehärtet? Ich begreife dich nicht. Bei deiner Liebe zu mir,
besinne dich nicht, schwanke nicht, frage nicht, denke an nichts, als an
Liebe."
Ein paar Augenblicke rang Kurt noch mit sich, dann sagte er
ruhig: „Komm, wir wollen zu ihm gehen."
Sie hatte ihn bei seiner Liebe beschworen, bei einer Liebe, die
das Glück seines Lebens war. Um dieser Liebe willen mußte er
ihr folgen.
Valeska betrat dann doch zuerst allein die Stube, in der Albert
Pahlzow, unter des Oberstabsarztes Fürsorge, lag, der sie mit
den Worten empfing: „Kommen Sie, Schwester, hier ist ein Vater,
der herzliche Sehnsucht hat nach seiner Tochter. Er hat mir viel
erzählt, und ich ahne, wie viel von Ihrem Herzen abhängt. Küssen
Sie ihn."
Da kniete sie am Bett nieder, faßte eine auf der Decke liegende
bleiche Hand, küßte sie inbrünstig und netzte sie mit Tränen.
Die Hand aber zog sie leise empor, und eine flüsternde Stimme
bat: „Küsse mich, Kind!"
„Vater!" flüsterte Valeska erschüttert; still schluchzend konnte sie
weiter nichts sagen, als das eine Wort: „Vater."
Dann blickte sie ihn durch Tränen an. Wie anders sah er aus,
als damals, da sie ihn zum letztenmal verzweifelt gesehen hatte.
Phot. Dufa.
Aus dem von den Küssen verwüsteten Tarnopol.