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DasBuchfüvAllr

H-st28

noch gar nichts davon, aber ich merkte es doch an Lillis Gesicht,
daß sich etwas in ihr zu verändern begann. Sie blieben auch immer
beieinander, die beiden, als müsse es so sein, mit einer köstlichen
Selbstverständlichkeit. Manchmal sahen sie sich mit einem kurzen,
warmen Blick in die Augen, erstaunt noch und doch schon verstehend.
Herrlich sah sie aus an diesem Abend. Unbeschreiblich zart in dem
weißen Kleid mit den großen, fliederfarbenen Blumen am Rand des
weiten Rockes. Sie strahlte mich an: ,Gefall' ich dir?'. Ich nickte
nur und strich über ihr schmales, sonnengebräuntes Ärmchen. ,Jst's
denn auch schön, Lilli? Bist du froh?' Da traten ihr auf ein-
mal Tränen in die Augen — weiß der liebe Himmel, wie nahe
Lachen und Weinen in so einem kleinen Geschöpf beieinander wohnen.
-Froh?' sagte sie ganz langsam und schwer. ,Ach, ich bin glücklich.'

Ausdruck wie damals, als sie die Rose küßte. Sie tanzten ein Menuett,
und alle sahen schweigend zu. Es war wie ein Traum, so lautlos
und unwirklich, ein wie durch Zauber lebendig gewordenes Stück
Vergangenheit mit dem zarten Duft von Rosen und Lavendel.
Lange tanzten sie so, bis die Geigen zu einer anderen Melodie über-
gingen und ein paar Walzertakte den Tanz beschlossen.
Du findest es doch nicht töricht, alter Freund, daß ich alter Knabe
anfange, dir Märchengeschichten zu erzählen. Du lachst nicht? Ich
danke dir dafür, denn du wirst noch mehr hören. Du weißt ja, wie
dieser Sommer endete, wie die Wellen der gewaltig erschütterten
Zeit über uns alle zusammenschlugen. Als der Frühling kam, hatte
Lillis Tänzer von damals einer Verwundung wegen Urlaub, und
bald gab es eine Kriegstrauung drüben. Zwei Monate blieben dem

Rach einer Ongknalzeichnung von C. Amens. Deutsche Soldaten beim Bau eines artesischen Brunnens im wasserarmen Syrien.


Es war ihr Fest, Professor — und ein unvergeßlicher Abend;
Rosenduft lag schwer über dem alten Garten; bunte Lichter schau-
kelten zwischen dem Grün der Büsche, gedämpfte Musik erklang.
Unter den Laubendächern weit überhängender Kastanien wandelten
junge Menschen in altmodischer Tracht, in Kleidern, an denen noch
der Duft einer längst vergangenen Zeit haftete. —
Ich saß mit Lillis Eltern, ein paar Tanten und alten Herren im
Gartenhaus; durch die offenen Fenster konnten wir den Rasenplatz
überblicken, auf dem die Jugend zu leiser, zärtlicher Musik tanzte.
Mit einem Male leerte sich der Platz; das Grün der Wiese leuchtete
auf, von den bunten Lichtern der Lampions wunderlich gesprenkelt,
die jungen Damen und Herren gruppierten sich um den Rasenrand,
riefen sich lachend etwas zu und standen einen Augenblick wartend.
Da löste sich aus dem Schatten der Büsche ein einziges Paar: Lilli
und der junge Mann. Sie schritten über den Rasen hin, langsam
und feierlich, sie hielten sich mit den Fingerspitzen gefaßt, beide
neigten den Kopf leicht seitwärts und zurückgeneigt, sie tanzten. —
^zch kann dir nicht sagen, wie schön das alles war, Jugend, Sommer,
Glück und Freude überall. Und in Lillis Gesicht sah ich den gleichen

jungen Paar, bis er wieder ins Feld mußte, und diese zwei Monate
müsse:: mehr gewesen sein, als sonst ein ganzes Leben an Glück zu
fassen vermag. Dann kehrte sie ins Elternhaus zurück, und ich
nannte sie seitdem meine kleine gnädige Frau, denn Lilli schickte sich
nicht mehr. Sie lebte seitdem in ihrer Welt für sich, daß nichts
anderes an sie heranreichte. Sie las viel, meist Bücher, die auch er
liebte; sie arbeitete im Lazarett, spielte des Abends mit ihrem Vater
Schach, wie sie es als Mädchen zu tun pflegte;, sie kam auch- zu
mir und saß in meinem blauen Sessel, ganz wie früher und doch so
ganz anders geworden.
Und bald schien es mir, als ruhe sie doch nicht mehr ganz so
sicher in sich wie früher. Zuweilen sah ich unter der stillen Innigkeit
in ihrem jungen Gesicht verzweifelte Angst lebendig werden.
Vor mehreren Wochen sagte sie zu mir: -Wenn es kommen sollte,
Onkel Doktor, dann sieh du, bitte, nach den Eltern, gelt?' Damals
verstand ich sie nicht ganz oder wollte sie nicht verstehen.
In manchen Nächten brannte das Licht hinter den zwei Fenstern
drüben bis zum Hellen Morgen. In solchen Nächten saß auch ich da
oben wach; ich konnte nicht schlafen. So war es auch vorgestern
 
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