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666

DasVuchlÄrAÜL

SB 28

Wandlung gewahren. Nach dem Frühstück, das schweigend verlief,
erklärte sie Agnes, daß sie bereit sei, Albert zu sehen.
Als sie vor der Türe der Giebelstube stand, trat Doktor Ernsberg
nut Kurt heraus. Nach einer ersten kurzen Begrüßung faßte Kurt
die Mutter an der Hand und geleitete sie in das Zimmer und ließ
die beiden allein.
Vom Bett her klang Albert Pahlzows Stimme: „Ich danke dir,
Hedwig, daß du gekommen bist- Habe Geduld, bis ich dieses Haus
verlassen kann, um für immer zu gehen. Du warst gut, unverdient
gut zu mir, sei's noch mehr und reiche mir die Hand zum Abschied."
Hedwig trat vor das Bett und gab ihm die Hand, die er an die
Lippen drückte.
„Du bekamst meinen Brief?" Bittend sah er sie an.
„Jo-"
„Gabst du ihn Agnes oder Kurt?"
„Nein, was du mir schriebst, gehört nicht vor andere Augen."
Er sah sie dankbar an.
Hedwig fühlte, daß sich etwas in ihr löste; mit veränderter
Stimme sagte sie: „Ich gebe dir die Hand nicht zum Abschied. Ich
glaube dir."
„Hedwig!"
„Ja, ich glaube dir."
Albert schloß die Augen; ein leises Rot stieg in seine Stirn. Mit
bebender Stimme hörte sie ihn sprechen, mit einem Klang, der ihr
tief in die Seele drang: „Ich fasse deine Güte nicht."
Lange saß Hedwig still neben dem tieferschütterten Mann, in
dessen verhärmten Zügen neuer Lebensmut dämmerte.
Da pochte der Arzt: „Ich komme mich zu verabschieden." Er
übersah mit einem Blick, was geschehen war, und empfahl sich mit
der Versicherung, daß er im Augenblick nicht mehr nötig sei.
Am Haustore traf er Johannes Kallweit. Der sah ihn beinahe
grimmig an und sagte: „Herr Doktor, jetzt haben Sie mich zum
zweitenmal aus der Giebelstube gejagt, es scheint mir so, als ob
ich wieder hineinkäme."

„Nicht unmöglich, mein lieber Kallweit. In ein paar Tagen
wird Herr Pahlzow sie verlassen —"
„Darf ich fragen, wohin man ihn bringen wird?"
„Nach Hamburg fürs nächste."
„Ist dort auch die richtige Anstalt für ihn?"
„Ja, die beste für seinen Fall."
„Also habe ich doch recht behalten."
„Vollkommen recht, Herr Kallweit."
Behaglich blies Kallweit den Rauch seiner Zigarre in die Luft
und murmelte vor sich hin: „Ich hab's ja gleich gesagt, daß es so
kommen wird."
Hedwig Pahlzow saß wieder allein in ihrem Zimmer im „Gol-
denen Schwan". Der Nebel war aufgestiegen, aber die Abende
wurden merklich kühl. Im Ofen brannte ein Helles Feuer. Als
Hedwig sich setzte, fühlte sie ein Papier in ihrer Tasche. Es war ihr
Brief, den sie in Hamburg an Albert gcschrieben hatte, der Brief,
in dem harte, unversöhnliche Worte schwer gekränkter Liebe standen.
Jetzt atmete sie befreit auf; sie war glücklich, ihn nicht abgeschickt
zu haben. Sie öffnete den Umschlag und las ihn still noch einmal.
Dann ging sie an den Ofen und warf das Papier in die Gluten.
Die Blätter bogen sich, flammten auf und verbrannten zu Asche.
In der gleichen Stunde saßen Kurt, Agnes und Valeska mit
frohem Herzen am Bette Albert Pahlzows. Sie warteten auf
Hedwig, die versprochen hatte bald zu kommen.
Ab und zu sah Albert fragend von einem zum anderen. Agnes,
die seine Blicke verstand, trat zum Fenster und sah auf den Markt-
platz hinab. Fröhliche Kinderstimmen klangen munter herauf. Da
trat ein glücklicher, zärtlicher Ausdruck in Agnes Holsts Augen; sie
sah Hedwig hochaufgerichtet über den Platz kommen und rief ins
Zimmer: „Kurt, Valeska, Hedwig kommt."
Die Brautleute traten ans Fenster. Valeska eilte voll inniger
Freude zu Albert Pahlzow und flüsterte ihm zu: „Unsere liebe Mutter-
kommt, sie trägt einen Strauß roter Rosen in der Hand. Sie sind
für dich, Vater."

QU UNlMLNBUÜ MN

1- Einzug der Eroberer in Lzernowitz (S. 654). — Zum dritten Male ist in der
Nacht vom 2. zum 3. August 1917 die schwergeprüfte Hauptstadt der Bukowina, Lzerno-
witz, von den Russen befreit worden. Durch dreifachen Vormarsch auf die Stadt
wurden die Russen gezwungen, Czernowitz fluchtartig zu räumen; doch geschah dies
immerhin noch in guter Ordnung, so daß sie den einziehenden Truppen eine nennens-
werte Beute nicht hinterließen. Wohl aber haben sie vor ihrem Abzüge den erst
vor Kriegsbeginn vollendeten, schönen Bahnhof und die Pruthbrücken vollkommen
zerstört — doch sind letztere schon nach Stunden von österreichischen Pionieren durch
Behelfsbrücken ersetzt worden. Nachdem bereits am Nachmittage des 2. August
kroatische und Honvedpatrouillen die Stadt durchstreift hatten, zogen am 3. August
vormittags die Spitzen der Infanteriekolonnen ein, denen mittags der Heeresfront-
kommandant Erzherzog Joseph mit Abteilungen des Infanterieregiments Nr. 13
unter dem Jubel der Bevölkerung folgte. Auf dem Ringplatze wurde der Erzherzog
von der Stadfvertretung und der Geistlichkeit begrüßt. Drei Tage später, an:
6. August, empfing die Stadt dann den Besuch Kaiser Karls, zu dessen Einzug sich
auch zahlreiche Offiziere und Mannschaften aufstellten, die als russische Gefangene
sich beim Abzüge des Feindes in Lzernowitz verbargen und so die Freiheit wieder-
erhielten. Czernowitz, bei Kriegsausbruch eine blühende Stadt von über 90 000 Ein-
wohnern, zählte beim Einzuge der Verbündeten kaum mehr als 25 000 Menschen;
der Rest war vor der am 18. Juni 1916 begonnenen, dritten russischen Besetzung
geflohen. Als eine Pflegstätte des Deutschtums — die Hälfte der Bevölkerung ist
deutsch — mit ihrer 1875 eröffneten Franz-Josephs-Universität, einer Hochburg
deutscher Gelehrsamkeit an der Schwelle des Orients, ist sie uns lieb und wert, und es
steht zu hoffen, daß ihr nunmehr ein neuer, ungestörter Aufschwung beschieden ist.
-k Lm zusammengebrochener englischer Ravallerieangrisf(S. 658 u. 659).— Trotz
aller Fehlschläge wiegen sich die Engländer bei ihren neuen Offensiven stets in der
Hoffnung, die deutschen Linien völlig durchbrechen zu können. Es ist immer wieder
der unausrottbare Eigendünkel des Engländers, der nicht zugeben will, daß eine andere
Nation ihm überlegen ist. So haben die Engländer auch in grenzenloser Verblen-
dung, ganz gegen jede neuzeitliche Kriegführung, öfters Kavalleriemassen gegen
die deutsche Front anrennen lassen — und Roß und Reiter sah man niemals wieder!
Die Maschinengewehre mähten alles nieder. Mehrfach haben sie größere Reiter-
truppen dicht hinter der Front bereitgestellt, die nach dem erwarteten Durchbruch die
Verfolgung in großem Stile aufnehmen sollten. So war es auch Mitte Juni 1917
nach der Riesensprengung bei Messines. Am 11. Juni stießen die Reitergeschwader
westlich dieses Ortes vor; deutsche Artillerie und Maschinengewehre taten hier
furchtbare Arbeit, und nur Trümmer konnten sich retten.
In -er Kathedrale von St.Tuentin (S. 661). — Schon im Frieden hat die
englische Presse durch tendenziöse Entstellungen der Wahrheit viel erreicht, im Krieg
macht ihr Lügensystem Schule. Auch die französischen Zeitungen leisten in unwahren
Beschuldigungen Ungeheuerliches. Nachdem ihre Fabeln von der Zerstörung der
Kathedrale in Reims durch Deutsche über Erwarten viel Gläubige gefunden haben,

behaupten sie neuerdings das gleiche von der Basilika in St. Quentin, obwohl deut-
scherseits alle Anstrengungen gemacht wurden, das ehrwürdige Baudenkmal zu
schützen. Der gesunkene Mut der Franzosen braucht aufhetzende Greuelmeldungen.
Das französische Hauptquartier behauptete am 16. August, daß die Kathedrale in
St. Quentin ein Opfer deutscher Brandstiftung geworden sei. „Agence Havas"
stellte sich, um die Deutschen zu verdächtigen, unwissender, als sie ist. Sie meldete
am 17. August: „Es ist unmöglich über die Ursachen des Brandes Aufschluß zu geben.
Jedenfalls können die Deutschen nicht behaupten, er sei durch unsere Granaten ver-
ursacht, denn seitdem sich St. Quentin in der Nähe unserer Linien befindet, ist kein
einziges französisches Geschoß auf die Stadt gefallen. Wir wissen noch nicht, was
die Deutschen veranlaßt hat, sich des in der Gegend einzigartigen Beobachtungs-
postens, den ihnen die hohen Türme der Kathedrale bieten, nicht zu bedienen." Die
Türme wurden — so soll man aus dieser Meldung herauslesen — nicht beschossen, weil
sie merkwürdigerweise von den Deutschen nicht militärisch benützt wurden. Noch
merkwürdiger ist freilich, daß die hohen Türme gar nicht existieren, niemals existiert
haben! Tatsache ist aber, daß laut deutschem Heeresbericht 3000 Granaten auf
St. Quentin fielen, wodurch das Pfarrhaus und hierauf auch die Kathedrale in Braud
geriet. Wie rücksichtslos die Franzosen diese hervorragend schöne Kirche zur Ruine
verwandelt haben, bezeugen die Momentphotographien, die deutlich die Richtung
und Wirkung der Geschosse erkennen lassen, und eine große Anzahl französischer
Blindgänger liefert den unwiderleglichen Nachweis, wer der Prandstifter gewesen ist.
Die Bewohner von St. Quentin werden nicht wenig erstaunt gewesen sein, zu hören,
daß in der letzten Zeit kein Geschoß auf ihre Stadt fiel, und daß hohe Türme ihrer
Kathedrale in Schutt zerfallen seien, die sie doch bisher noch nie zu Gesicht bekamen.
Deutsche Soldaten beim Bau von artesischen Brunnen im wasserarmen Syrien
(S. 662). — Da die Schlagfertigkeit einer Armee nicht zuletzt von der Beschaffung
einwandfreien Trinkwassers und der damit zusammenhängenden Verhütung typhöser
Erkrankungen abhängt, hat man im Weltkrieg die Wasserversorgung von vornherein
nach Möglichkeit organisiert. Schon 1915 erprobte ein türkischer Erkundungszug,
der bis in die Gegend östlich des Suezkanals gelangte, ob neuzeitlich ausgerüstete
Truppen mit Train und schweren Geschützen durch die wege- und wasserlose Wüste
dringen können. Der Versuch glückte, und seither sind die gemachten Erfahrungen —
auch die mit der Wünschelrute—immer weiter ausgenützt. Wird Grundquellwasser an
einer Stelle vermutet, so machen sich die Pioniere an die Bohrung artesischer Brunnen.
Diese nach der Landschaft Artois, wo sie schon im 12. Jahrhundert angewendet wurden,
benannten Springbrunnen, können überall da angelegt werden, wo sich zwischen zwei
undurchlässigen Erdschichten in muldenförmiger Lagerung ein hydrostatischer Druck
auf angesammeltes Grundquellwasser ausüben läßt. Wird das Bohrloch eingetrieben,
so steigt das Wasser im Bohrloch in die Höhe. Die oberhalb der tiefer gelegenen Bohr-
stelle gelagerte wasserdichte Schicht bewirkt durch ihren Druck, daß das Wasser in
einem Strahl aus der Erde schießt. Den Truppen wäre das zähe Aushalten in den
wüsten Gegenden unmöglich, ohne die dankenswerte Versorgung mit Wasser.
 
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