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Teoman.
"voriFriedrichIacobserr

lFoi-Iseimng.l
rels Erwähnung des Gendarmen brachte Bagge in heftige
Erregung. Wütend entgegnete er: „Die Pest über den
Kerl; ich sah ihn gerade noch recht kommen und kroch
hinter einen Busch; das war übrigens die teuerste Pfeife
Tabak in meinem Leben."
Es dunkelte, als sie die nächste Herberge erreichten, einen ein-
samen Heidekrug, in dem zwei Handwerksburschen sahen. Sie kamen
von Hamburg her, hatten Brot auf den Dörfern zusammengebettelt
und vertranken es nach Art der Stromer in Schnaps.. Die Penn-
wirte nehmen ihnen das Brot ab und füttern die Schweine damit.
Die Brüder waren nicht mehr nüchtern und kauerten gedrückt in
der Ecke. Der Gendarm, der dagewesen war und Musterung ab-
gehalten hatte, schien etwas Besonderes hinterlassen zu haben, denn
sonst treffen sich die Bursche zu solcher Zeit wie Enten auf dem Hof
nach dem Gewitter. Der Wirt machte ein mißtrauisches Gesicht,
als die neuen Gäste eintraten, und unterzog ihre Papiere einer
genauen Prüfung. Er wurde erst freundlicher, als Arel durch seinen
Pah nachwies, dah er von Bremen gekommen und den anderen als
Reisekameraden bezeichnete. Niels Bagges Papiere ergaben freilich
darüber nichts, aber wenn zwei Handwerksburschen zusammen auf-
treten, gehören sie auch meistens zueinander.
Es fiel Arel auf, dah die Blicke der Gäste im Krug sich ab und
zu nach einer Ecke des Zimmers verirrten; er sah einen roten Zettel
hängen und trat näher, um den Inhalt zu lesen. Der Anschlag
enthielt eine Bekanntmachung der Königlichen Staatsanwaltschaft
zu Lüneburg über die tags zuvor entdeckte Ermordung eines einsam
wohnenden Heidebauern. Den alten Mann fand man erschlagen
im Bett; der Täter muhte seinen Weg durch das eingedrückte Küchen-
fenster genommen haben, schien aber keine grohe Beute gemacht
zu haben; als fehlende Dinge konnten vorläufig nur ein Paar grau-
wollene, mit „G. H." gezeichnete Strümpfe aufgeführt werden.
Der Wirt stellte sich neben Arel und sagte: „Das ist eine un-
heimliche Geschichte, wer soll da noch seines Lebens sicher sein? Ich
habe den Ermordeten gut gekannt, er handelte mit Besen aus Heide-
kraut und kam weit herum; Reichtümer hat der keine gesammelt.
Wenn sie den Kerl nur bald kriegen — der Gendarm meinte, es
würde auch noch eine Belohnung ausgesetzt werden."
Auch Bagge war herangekommen und blies seinen Tabaksrauch
gegen das Blatt. Er fragte den Wirt: „Wo ist das geschehen?"
„Südöstlich von Lüneburg; das Haus lag mitten in der Heide;
der alte Georg Hahn wohnte allein darin. Denken Sie, die Strümpfe
hat ihm der Mörder ausgezogen, denn der Alte schlief in den Kleidern."
Die beiden Hamburger rüsteten zur Ruhe und machten ihr Lager
auf der Bank zurecht. Niels Bagge sah sich in der Stube um und
fragte: „Könnten wir beide nicht oben im Stroh schlafen? Es ist
hier ein wenig knapp für vier Mann."
„Meinetwegen," sagte der Wirt, „aber dann müssen die Pfeifen
abgeliefert werden; ich will nicht, dah man mir das Dach überm
Kopf anzündet."
Wortlos gab Bagge seinen Stummel ab, und Arel tat das gleiche.
Dann stiegen sie die Bodenleiter hinauf und wühlten sich unter dem
Dach ins Stroh. Ein kleines Fenster war in ihrer Nähe, und der
Mond schien hindurch. Arel wollte seinen Rock davor hängen.
„Lah nur," brummte Niels, „ich schlafe nicht gern im Dunkeln.
Hast du Tabak und Streichhölzer?"
„Ja, aber du willst doch nicht .,. .? Unsere Pfeifen liegen ja
unten."
Der alte Raucher sagte grinsend: „Mein Junge, für solche Fälle
bin ich doppelt beschlagen."
Er holte aus der Brusttasche eine kurze Bauernpfeife mit Por-
zellankopf und Deckel, wie die Landleute sie führen. Auf den Kopf
war das Bild Napoleons III. in plumper Weise gemalt.
Are! nahm die Pfeife in die Hand, besah sie im Mondlicht und
fragte: „Mensch, wo hast du das her? Du rauchst sonst doch nur
deine schwarze Kalkbrösel!"



„Gekauft," knurrte Niels kurz, „das Ding gefiel mir, ich habe
doch meine fünf Jahre Fremdenlegion abgerissen.^
Arel sagte bestimmt: „Morgen früh kannst du es wieder kriegen;
hier zwischen dem Stroh will ich so sicher sein wie der Wirt."
Mit tückisch blinzelnden Augen sah Bagge, wie sein Genosse die
Pfeife einsteckte. Ein paar Augenblicke lang schien es, als ob er
die Fäuste brauchen wollte, aber das war nun nicht mehr wie vor
vierzehn Jahren. Mit dem baumlangen Friesen konnte er es nicht
mehr aufnehmen. Mürrisch warf er sich auf den Rücken und begann
zu schnarchen. Bald darauf schlief auch Arel ein.
Um Mitternacht wurde er von langhinrollendem Donner ge-
weckt. Der ganze Boden schien in Flammen zu stehen; ein schweres
Wetter tobte über die Heide hin. Niels Bagge kauerte in einer
Ecke und hielt die Hände vors Gesicht. Sein Gebaren erschien Arel
seltsam; der alte Seemann hatte doch mehr als hundertmal ganz
andere Naturereignisse erlebt. Er rückte ihm näher und legte die
Hand auf seine Schulter.
„Niels," sagte er, „weißt du noch, wie wir hinter dem Wall lagen
und auf die Araber warteten? Damals wolltest du mir was sagen,
dich aussprechen, aber es kam nicht dazu. Ich glaube, diese Nacht
ist besser dazu."
„Du bist ein Narr!"
„Ich war bisher dein Freund, und kann auch schweigen, Niels."
„Kannst du das wirklich? Viel Worte brauch' ich nicht zu machen.
In einer Nacht wie diese — bei Donner und Blitz ging er über
Bord."
„Wer?"
„Der Alte — unser Kaptein! Tausendmal hatte er's verdient,
der Leuteschinder!"
Arel sagte tiefaufatmend: „Ich verstehe; eine Meuterei, und ihr
habt ihn ,ausgeschifft'."
„Meuterei? Na ja, einig waren wir ja wohl, aber ich selbst habe
nicht mit Hand angelegt, das taten zwei andere, der Koch und der
Zimmermann. Sie sind beide längst tot."
„Und der Steuermann?"
„Mußte uns schwören und ins Logbuch schreiben, daß die See
den Kaptein geholt hätte. Es war beim Kap, da ist immer grobe
See."
„Hat er sein Wort gehalten?"
„Ich weiß nicht," knurrte Bagge mürrisch. „Ich hab's nicht
abgewartet. Wir hatten Fracht auf Marseille, und da ging ich durch
die Lappen; zur Fremdenlegion."
„War's ein Hamburger Schiff, Niels?"
„Ja-"
„Und jetzt bist du auf dem Wege in deine Heimat?"
„Das will ich; heute werden sie nichts mehr herausschnüffeln —
schließlich gibt's auch eine Verjährung."
„Ja, wenn kein Blut dabei ist."
„Ich sagte dir ja, ich habe ihn nicht über Bord geschafft. Von
Blut ist da keine Rede."
Sie schwiegen beide und legten sich wieder zum Schlafen. Am
nächsten Morgen wanderten sie weiter. Bagge schien seine zweite
Pfeife vergessen zu haben, er forderte sie wenigstens nicht zurück;
auch Arel dachte nicht mehr daran, er hatte sie in der Nacht in seinen
Ranzen gesteckt.
Je näher sie Hamburg kamen, desto unruhiger wurde der alte
Matrose. Immer wieder kam er auf die Geschichte mit der Meuterei
zurück und erklärte damit gleichsam sein seltsames Benehmen. Da
sie nicht bettelten und ihre Papiere in Ordnung waren, brauchten
sie keine Polizei zu fürchten. Wiederholt kam es vor, daß Bagge
hinter Büsche kroch, wenn sich von weitem ein Gendarm zeigte.
Arel fragte einmal, wie er es denn in Hamburg zu halten gedächte.
Niels machte eine großartige Handbewegung und sagte: „Du bist
wohl noch nie in Hamburg gewesen, mein Junge, sonst würdest du
nicht so dumm fragen. Als wir in der Wüste marschierten, da flog
unserem Kapitän mal der Ring vom Finger, wie er einen Kerl
schlug. Hundertundzwanzig Mann haben wir danach im Sande ge-
sucht und nichts gefunden — so ungefähr ist es, wenn einer in Ham-
burg untertaucht; da hat die Polizei ein übles Fischen."
Am Abend dieses Tages, als es schon seit langem dunkel ge-
worden war, sahen sie am Horizont einen rötlichen Schein. Arel,
der die großen Städte Amerikas kannte, wußte, daß es der Dunst
 
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