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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1888

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Heft 1/2
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Gmelin, L.: Ein verlorener Kirchenschatz: Mittheilungen aus dem "Heilthumbuch" der St. Michaels-Hofkirche zu München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7906#0012

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behaupten, daß sie nur theilweise auf Geheiß des Herzogs
verfertigt wurden, fo kann man dagegen bei den Altar-
gefäßen, bei den Rannen und Becken, bei den Leuchtern
und Zimbeln, fast nur auf ihn und feine Gemahlin als
Besteller schließen; die Wappen des. herzoglichen Paares
bilden sozusagen ein von den Silbersachen unzertrennliches
Ornament. Damit ist schon gesagt, daß all' diese Stüde
aus der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts stammen;
die bei aller Schlichtheit oft außerordentliche Schönheit der
Formen gibt ein erfreuliches Bild des seinen Geschmackes
sowohl des Herzogs als seiner Silberschmiede.

Damit gelangen wir zur Darlegung des kunstgewerb-
lichen Charakters des Airchenschatzes. Die zuletzt
genannten Altargefäße und Geräthe sind zum Theil ganz
ohne jede Ornamentirung; aber auch da, wo nur conven-
tionelles Mrnament angewendet ist — wie an dem im
Original nicht viel größeren Aännchen Figur 2 —, und
wo die Vergoldung sich auf einzelne Glieder, auf ein

Wappen u. f. w. beschränkt, ist die Gesammtwirkung fast -
immer von jenem brauch des Liebreizes übergossen, der
stets als das Produkt wahrer künstlerischer Empfindung
zu uns spricht. Größerer Reichthum zeigt sich dann an
den Leuchtern, den postienbüchsen und den Rauchfässern;
einige unifasseuder ornamentirte Stücke — wie ein Weih-
becken, ein paar Aännchen — erscheinen ganz vergoldet.
Weitaus am reichsten entfaltet sich aber die ganze fürstliche
Vornehmheit der Renaissance an denjenigen Stücken, welche
zur Aufbewahrung der heiligsten Gbjekte, welche die Airche
besaß, bestimmt waren und an welche eine strenggläubige
Zeit auch die höchsten Anforderungen hinsichtlich der Aus-
stattung stellte, an den Reliquienbehältern.

Die einfachsten unter djesen sind Aassetten aus Eben-
holz, entweder mit Silber- und Goldornamenten oder mit
gestickten Einsätzen verziert; andere Aassetten sind ganz
mit Stoff und Goldstickerei überzogen (vgl. die Fig. st und
(0), wieder andere bestehen ganz aus Metall. Die aus
gothischer Zeit stammende häufigste Form der Reliquiarien —
ein Glascylinder mit mehr oder weniger reicher Fassung —
ist auch hier häufig vertreten und zwar theils in der gewöhn-
lichen Form der Monstranzen mit schlankem Metallfuß,
seitlicher Fassung und hoher, luftiger Bekrönung, — theils
in polztäfelchen gefaßt, die meist einen strengen architekton-
ischen Aufbau mit Pilastern und vollständigem Gebälk besitzen.

Unter den letzteren müssen einige eine sehr beträchtliche ksöhe
(8 Fuß) erreicht haben. Zu den kleineren dieser »tabulae«
gehören mit die hervorragendsten Stücke der ganzen Samm-
lung; eines von diesen ist, wie schon bemerkt, ungeachtet der
Wechselfälle dreier Jahrhunderte in ziemlich gutem Zustand
erhalten geblieben und die Aostbarkeit und Zierlichkeit seiner
Ausstattung lassen uns auf die Pracht der übrigen Stücke
schließen.

Der Verschiedenheit der Ausstattung läuft eine ebenso
große Manchfaltigkcit der Technik parallel. Die
tabernakelartigen Reliquiarien und die tabulae sind natürlich
vorwiegend Schreinerarbeit; ihre sehr zierliche Profilirung
und die Besetzung des schwarzen Holzes mit Edelmetall-
Vrnamenten entrücken sie dem Areise alltäglicher Arbeiten.
Mit besonderer Vorliebe sind Goldstickereien zur Verwen-
dung gelangt; ihr häufiges Vorkommen, die Art ihrer
Verwerthung und Ausführung läßt auf den hohen Grad
von Fertigkeit schließen, mit der diese Technik damals ge-
handhabt wurde. Zu den interessantesten Beispielen gehört
ein Aissen mit einer Reliquie des Apostel Philippus; es ist von
dunkelgrauer Farbe, an den Ecken und Aanten durch Gold-
knöpfe und Schnüre eingefaßt und durch leicht bewegte
goldgestickte Ranken in rhombische Felder getheilt, auf
welchem buntgestickte Blümchen äußerst reizvoll vertheilt sind.

Selbstverständlich spielen bei der überwiegenden Zahl
von Arbeiten aus Edelmetall die verschiedenen Metall-
techniken die bedeutendste Rolle; unter den Altargeräthen
und -Gefäßen herrscht die getriebene, bei den Schaustücken
die gegossene Arbeit vor. Der durchbrochen gegossenen
und auf Ebenholzgrund aufgelegten Silber-Mrnamente
wurde schon oben gedacht; an einer Aasseite scheint bunt-
farbiges Leder den Grund für das durchbrochene Silber-
Vrnament zu bilden.") Auch für die reichste Entfaltung der
Goidschmiedekunst in der Verwerthung von Email, Niello,
Steinen und perlen finden sich mehrere Beispiele; an zwei
Stücken treten sogar geschnittene Steine — Gemmen —
bis zur Länge von q. cm auf.") Mit ganz besonderm Ge-
schick wird dem Email eine bevorzugte Stelle eingeräumt,
am zierlichsten vielleicht an einigen Fibeln (Fig. (s), welche
idie Enden der eine gestickte Aassette schließenden Band-
schleifen umfassen. An einigen Aassetten treffen wir auf
die Verwendung von farbigen Steinen, namentlich der
Halbedelsteine: Achat und Lasursteine. Merkwürdig ist
eins aus Silber und vergoldeter Bronze bestehende Reliquien-
kassette namentlich dadurch, daß ähnlich«, theilweise ohne
Zweifel nach denselben Modellen gefertigte noch in einigen
Sammlungen zu sehen sind: in der kgl. Akademie in
Lissabon, in den, zu Frankfurt a. M. verbliebenen Theil
der Aarl v. Rothschild'schen Sammlung und im „Grünen
Gewölbe" zu Dresden. Sämmtliche vier Stücke weichen
nur insoweit von einander ab — wie aus den betr. Photo-
graphien zu schließen ist — daß keines derselben als das
in dem Heilthumbuch abgebildete anzuerkennen ist.

Die naheliegende Frage nach den Verfertigern oder
nach dem Herstellungsort dieser Aostbarkeiten muß
mangels des hierzu nöthigen Raumes bei Seite gelassen
werden; wenigstens lassen sich hierüber nur allgemeine An-

n) Hierzu gehört das unter Fig. (3 dargestellte Mittelstück.
12) Siehe Tafel 8 dieses Heftes.

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