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der Italien gefährdet. Kein Atensch, kein Tier auf dem endlosen Felde, nur Lerchensang als einzige
Stimme der Natur aus der blauen, sonnigen Höhe. So geht es lange Zeit geradeaus; endlich zeigen
sich ein paar Häuser an der Kreuzung mit einer anderen grötzeren Stratze, der Via Clodia des Altertums.
Die Bauten gehören zur Osteria Nuova, die gelangweit auf seltene Besucher wartet. Ein paar Säulen-
stümpfe des römischen Galera sagen hier den ersten Grutz des gestorbenen Ortes. Das Reich des Todes
beginnt; er verkörpert sich düster und eindrucksvoll, schon bevor man Galera betritt. An der Stratze, die
jenseits der Kreuzung immer weiter geradeaus nach Westen sührt, breitet sich unerwartet inmitten der
grenzenlosen Einsamkeit ein grotzer Friedhof aus. Weitz und hoch stehen seine Mauern in der weiten Ebene
da, schwarzgrüne Zypressen wachsen darüber hinaus in die blaue Lust, eine Kirche fügt sich daran, ohne datz
menschliche Wesen zu sehen sind, sür die Priester oder Totengräber ihres Amtes walten könnten. Es ist ein
Anblick von unheimlicher Kraft:
eine Wohnung der Toten in einer
Gegend, in der es keine Lebenden
zu geben scheint. Santa Maria
di Galera nennt sich die Kirche,
die schon zu dem Gebiete des ver-
lassenen Ortes gehört. Und nun
erblickt man auch ihn selbst: ienen
breiten, grauen, grünumwucherten
Grabhügel, aus dem der einsame
Kirchturm hoch hervorschaut.
Einen eigentlichen Weg dort-
hin gibt es nicht. 1'lber eine Gras-
fläche hinweg mutz man sich vor-
sichtig um eine Herde von lang-
hörnigen, silbergrauen Lampag-
nastieren wegstehlen, die drohend
herüberschauen. Ietzt ösfnet sich
auch ein von dichtem Gesträuch
umwachsener, schmaler Pfad. Er
senkt sich, wird zum Hohlweg,
in dem eine feuchte Fieberlust brütet, und nun sieht man plötzlich eine der tussumwehrten Schluchten
unter sich, die das Merkmal der Gegend sind. Aber ausnahmsweise sührt eine festgewölbte Brücke hinüber,
und am jenseitigen Aser hat man unmittelbar vor sich, was übrig ist von Galera. Stolz und mächtig tritt
heute noch das Orsini-Kastell, schützend an den Eingang des Ortes gestellt, über dem sröhlich in der Tiefe
plaudernden Arrone hervor. Mächtiges Mauerwerk aus uralter Zeit bildet nach dem Flutz hinunter ein
ehrwürdiges Futzgestell für die mittelalterliche Burg. Ein erster Torbogen hier, der das Wappen der Orsini
trug, ist vor ein paar Iahren eingestürzt, ein zweiter aber steht fest auf seinen steinernen Füßen und bewacht
Galera, wenn er es mit seiner leeren Torösfnung auch nicht mehr verteidigen kann. Hoch und glatt steigen
darüber die Mauern hinan, auf der Innenseite mit einem steinernen Kreise geschmückt, hoch und glatt gehen
auch innerhalb der Stadt an den Seiten des Weges gleich seste Mauern empor. Aber wie wenig sieht
man von ihnen! Wie hat von allen Seiten andrängendes Grün sie verdeckt und versteckt! Mit baum-
starken Armen hat sich der Efeu das Mauerwerk erobert, von dessen Höhe nun sein blankes Laub in grünen
Fluten herabstürzt. Feigenbäume haben ihre Wurzeln in die Steinspalten gebohrt und schweben droben,
scheinbar erdelos, nur von Lust und Sonne lebend. Waldrebe gesellt sich hinzu, deren leichte, zarte Ranken
anmutig im warmen Winde schweben. Rnd Ankraut wuchert ringsum in ungekannter Üppigkeit und Fülle
mannshoch empor. Hohe weitze Blütendolden stehen stolz über dem Grün, gestorbene Pflanzen dauern in
unveränderter Form als graue Gerippe daneben fort, alle Wege sind umsponnen und belagert, und aus
der Burg der Orsini wird mehr und mehr ein Dornröschenschloß, in das kein Ritter mehr hineindringen
der Italien gefährdet. Kein Atensch, kein Tier auf dem endlosen Felde, nur Lerchensang als einzige
Stimme der Natur aus der blauen, sonnigen Höhe. So geht es lange Zeit geradeaus; endlich zeigen
sich ein paar Häuser an der Kreuzung mit einer anderen grötzeren Stratze, der Via Clodia des Altertums.
Die Bauten gehören zur Osteria Nuova, die gelangweit auf seltene Besucher wartet. Ein paar Säulen-
stümpfe des römischen Galera sagen hier den ersten Grutz des gestorbenen Ortes. Das Reich des Todes
beginnt; er verkörpert sich düster und eindrucksvoll, schon bevor man Galera betritt. An der Stratze, die
jenseits der Kreuzung immer weiter geradeaus nach Westen sührt, breitet sich unerwartet inmitten der
grenzenlosen Einsamkeit ein grotzer Friedhof aus. Weitz und hoch stehen seine Mauern in der weiten Ebene
da, schwarzgrüne Zypressen wachsen darüber hinaus in die blaue Lust, eine Kirche fügt sich daran, ohne datz
menschliche Wesen zu sehen sind, sür die Priester oder Totengräber ihres Amtes walten könnten. Es ist ein
Anblick von unheimlicher Kraft:
eine Wohnung der Toten in einer
Gegend, in der es keine Lebenden
zu geben scheint. Santa Maria
di Galera nennt sich die Kirche,
die schon zu dem Gebiete des ver-
lassenen Ortes gehört. Und nun
erblickt man auch ihn selbst: ienen
breiten, grauen, grünumwucherten
Grabhügel, aus dem der einsame
Kirchturm hoch hervorschaut.
Einen eigentlichen Weg dort-
hin gibt es nicht. 1'lber eine Gras-
fläche hinweg mutz man sich vor-
sichtig um eine Herde von lang-
hörnigen, silbergrauen Lampag-
nastieren wegstehlen, die drohend
herüberschauen. Ietzt ösfnet sich
auch ein von dichtem Gesträuch
umwachsener, schmaler Pfad. Er
senkt sich, wird zum Hohlweg,
in dem eine feuchte Fieberlust brütet, und nun sieht man plötzlich eine der tussumwehrten Schluchten
unter sich, die das Merkmal der Gegend sind. Aber ausnahmsweise sührt eine festgewölbte Brücke hinüber,
und am jenseitigen Aser hat man unmittelbar vor sich, was übrig ist von Galera. Stolz und mächtig tritt
heute noch das Orsini-Kastell, schützend an den Eingang des Ortes gestellt, über dem sröhlich in der Tiefe
plaudernden Arrone hervor. Mächtiges Mauerwerk aus uralter Zeit bildet nach dem Flutz hinunter ein
ehrwürdiges Futzgestell für die mittelalterliche Burg. Ein erster Torbogen hier, der das Wappen der Orsini
trug, ist vor ein paar Iahren eingestürzt, ein zweiter aber steht fest auf seinen steinernen Füßen und bewacht
Galera, wenn er es mit seiner leeren Torösfnung auch nicht mehr verteidigen kann. Hoch und glatt steigen
darüber die Mauern hinan, auf der Innenseite mit einem steinernen Kreise geschmückt, hoch und glatt gehen
auch innerhalb der Stadt an den Seiten des Weges gleich seste Mauern empor. Aber wie wenig sieht
man von ihnen! Wie hat von allen Seiten andrängendes Grün sie verdeckt und versteckt! Mit baum-
starken Armen hat sich der Efeu das Mauerwerk erobert, von dessen Höhe nun sein blankes Laub in grünen
Fluten herabstürzt. Feigenbäume haben ihre Wurzeln in die Steinspalten gebohrt und schweben droben,
scheinbar erdelos, nur von Lust und Sonne lebend. Waldrebe gesellt sich hinzu, deren leichte, zarte Ranken
anmutig im warmen Winde schweben. Rnd Ankraut wuchert ringsum in ungekannter Üppigkeit und Fülle
mannshoch empor. Hohe weitze Blütendolden stehen stolz über dem Grün, gestorbene Pflanzen dauern in
unveränderter Form als graue Gerippe daneben fort, alle Wege sind umsponnen und belagert, und aus
der Burg der Orsini wird mehr und mehr ein Dornröschenschloß, in das kein Ritter mehr hineindringen