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Denkmalpflege: Auszug aus d. stenograph. Berichten d. Tages für Denkmalpflege 1900 - 1912 — 2.1913

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I. Die Praxis der Denkmalpflege
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9. Bemalung und Konservierung mittelalterlicher Holz- und Steinskulpturen
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https://doi.org/10.11588/diglit.29655#0252
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Pflege mittelalterlicher Skulpturen.

besonders aber in unserem Bereiche alles, nicht nur «so“, sondern auch anders
machen kann, so gibt es für den, der der Kritik gewärtig und auf sie zu
hören veranlaßt und gespannt ist, keine undankbarere, ja verzweifeltere Auf-
gabe als das Denkmalpflegen, denn nirgends wohl gibt es klügere, auch
bösere und anmaßendere Kritiker. Infolgedessen sind die Fälle doch gar
nicht selten, in denen der die Entscheidung Gebende, hin und her geängstigt
von den Ratgebern, schließlich nach der bewährten Manier des 18. und 19. Jahr-
hunderts verfährt (welcher Zeiten naturalistisches Verfahren im Denkmal-
pflegen ja überhaupt schon anfängt von besten Männern als Muster vorgestellt
zu werden —), daß er nämlich den Gegenstand verschwinden, zusammenfallen
läßt, abträgt oder ins Brennholz tut. Wollen wir uns aber nur einfach, da
eine weitere Übereinstimmung doch unerreichbar ist, in dem Zugeständnis
vereinigen, daß der Denkmalpfleger keine Sünde, sondern nur seine Pflicht
tut, wenn er sich nicht versagt, wo er beim Angriffe an das Außere oder
beim Eingriffe in die Substanz eines ihn angehenden Werkes zugezogen wird,
daß er vielmehr selbst auch da, wo angestrebt wird, was er von sich aus zu
erstreben Bedenken tragen würde, berufen ist, nach bestem Wissen und
Können teils zu raten, teils zu helfen: dann haben wir einen genügenden
Grund gelegt, um mit Erfolg dieser Betrachtung weiter gemeinsam pflegen
zu können.

Denn ob jemand ein Recht hat, einen Gegenstand, sei es ein Gebäude,
sei es sonst ein Kunstwerk, in den ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen,
das zu erörtern können wir uns eigentlich ersparen, da es nach dem in den
«deutschen“ Landen nun einmal geltenden römischen Rechte dem Eigentümer
ja doch niemand verwehren kann — mögen auch die Gründe noch so gut
und beachtenswert erscheinen, mit denen man jenem freien Verfügungsrechte
entgegentritt.

Auf dem Gebiete der Malerei scheint man bezeichnenderweise noch
nicht zu solcher Schärfe der Gegensätze und der Folgerungen vorgedrungen,
daß man erklärte, Wiederherstellungen, wenn sie doch unvermeidlich, müßten
richtigerweise im Geiste und Geschmack der wiederherstellenden Zeit ge-
schehen. Hier arbeitet der Restaurator noch in der alten Art fort, um das
geschädigte Werk treuestens im Sinne und Geiste der Urheber zu erhalten
und herzurichten; er sucht es weder als malerische oder auch scheußliche
Ruine mit dem ganzen Bewuchs von Firnisschuppen, Schimmel, Bazillen und
Flechten zu bewahren, tatsächlich es dem Verfalle überlassend, noch sieht er
sich veranlaßt, es im Geschmacke des Jugendstils aufzumuntern. Ihm ist
Pflicht nur das Vertiefen in den Gegenstand, das Vollständig-Hineinsinken,
und der Verzicht auf jeden Ausdruck des eigenen, sachlichen oder stilistischen
Könnens und Wollens.

Dabei ist ein solcher Bilderrestaurator kein Götzendiener des Stoffes;
er verfügt über ihn aufs freieste. Wenn er so das Bild von der Leinwand
gelöst hat, von dem Holze, von der Wand, ja von der Grundierung fast alles
an ihm weggetan hat, was Materie gewesen, dann kann er gerade auf dem
allein rechten Wege sein, und er darf auf keine Vorurteile hören. Der be-
rufene Meister greift natürlich nicht weiter ein und tiefer als nötig, aber er
hat genau so weit und tief einzugreifen als nötig, ohne Angst und Scheu.
Indem er der Sache dient, herrscht er über sie, indem er über sie herrscht,
dient er ihr.
 
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