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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Bergius, Hanne: Ästhetische Imaginationen zum künstlichen Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0015

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wurde, schrieb er: „Es lebe die Stadt Albrecht
Dürers." (7)

2. Romantik - Kritik am Schein

Die Romantik ahnte, daß mit zunehmender
Durchsetzung eines mechanistischen Weltbil-
des Mensch und Automat in der Bewertung
austauschbar würden - der Automat men-
schenwürdig und der Mensch automaten-
würdig. Sie stellte daher skeptisch Fragen
zum Verhältnis von Realität und Virtualität.
In der Erzählung „Der Sandmann" (1817) (8)
von E. Th. A. Hoffmann zerbricht Nathanael
an seinem Leben, weil er der künstlich kon-
struierten Puppe Olimpia verfällt, während
er seine Braut als „lebloses, verdammtes Au-
tomat" beschimpft. Zur Täuschung seines Blik-
kes trug vor allem ein Perspektiv bei, das ihm
der Alchemist Coppola verkaufte. Dieses In-
strument diente ihm nicht zur Erweiterung
der Sinneswahrnehmung - wie es noch der
Manierismus schätzte -, sondern raubte ihm
seine Erkenntnisfreiheit.

Zweifel an Wissenschaft und Vernunft wer-
den auch manifest in dem 1818 geschriebe-
nen Roman „Frankenstein" (9) von Mary W.
Shelley. Als „modernen Prometheus" bezeich-
net sie den Wissenschaftler, der aus Leichen-
teilen einen menschlichen Körper zusammen-
setzte und durch galvanische Ströme belebte.
(Abb. 3). In dieser englischen Gothic Novel,
die 1931 von James Whale verfilmt wurde,
verband sie Motive des Phantastischen mit
aufklärerischen und sozialrevolutionären Pro-
jektionen des Neuen Menschen als Gutem
Wildem und Racheengel an der schlechten
Gesellschaft: der nach Liebe und Anerken-

Abb. 3: Der künstliche Mensch

aus dem Film "Frankenstein"

nung suchende, aber überall abgewiesene
Kunst-Mensch tötet schließlich seinen gewis-
senlosen Erfinder. Bei Paraphrasen von
Schöpfungsmythen ging es der Romantik
nicht nur um dämonisierte und mystifizierte
Kunst-Wesen, sondern auch um real- und so-
zialkritische Anliegen.

3. Mensch - Maschine - Elektrizität
im 19. Jahrhundert

Die Mensch-Maschine-Gleichung, die in den
physiologischen Erkenntnissen des positivisti-
schen 19. Jahrhunderts weitergeführt wurde,
rief - wie in der Romantik - viele Kritiker auf
den Plan, unter ihnen Morris, Ruskin, Marx,
Engels, Carlyle: „Die Menschen", so letzterer,
„sind in ihren Herzen und Köpfen ebenso
mechanisch geworden wie in ihren Händen".
(10)

Die Analogie Mensch-Maschine konnte im
Zeitalter der Industrialisierung in die Analo-
gie Maschine-Mensch umschlagen: Die Ma-
schine trat nicht nur auf, um die unvollkom-
mene Mechanik des Menschen zu verbessern,
sondern sie trat als Ersatz des Menschen auf.
Dies begann mit der mechanischen Spinnvor-
richtung, die die Rationalisierung in der eng-
lischen Baumwollindustrie einleitete: die
neue Maschine wurde personifiziert: Ihr Er-
finder J. Hargraves nannte sie (1767) nach
seiner Tochter „Jenny". Das Zeitalter der
„Junggesellen-Maschinen" brach an.

Besonders zu steigern schien derartige per-
sonifizierende Konnotationen das neue Me-
dium der Elektrizität, die seit 1880 in Indu-
strie und Alltag gleicherweise eingesetzt
wurde. Villiers des L' Isle-Adam verbindet in
seinem Roman „L' Eve Future" (1886) (11)
den Mythos um Edison, den Erfinder der
Glühbirne, mit einem Schöpfungsmythos.
Induktionstastaturen, fluktuierende Visionen,
Elektrizität, Nervenfluida, metallische Dräh-
te und belebende Ströme lassen die Andreide
entstehen - die Nachbildung der unzulängli-
chen Geliebten seines Freundes Lord Ewald.
Der Wissenschaftler war so stolz auf seine
makellose Schöpfung, daß er sie mit wei-
teren Innovationen des 19. Jahrhunderts
ausstattete. Nicht nur nimmt er die Photo-
graphie zu Hilfe, urn die äußere Gestalt na-

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