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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Kolbe, Peter: Das Bindungsmodell virtueller Gegenständlichkeit - ein Beitrag zur Gestaltung von virtuellen 3D-Szenarien und Interaktionsräumen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0089

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Peter Kolbe

Das Bindungsmodell virtueller
Gegenständlichkeit
- ein Beitrag zur Gestaltung
von virtuellen 3D-Szenarien
und Interaktionsräumen

1. Einleitung

Die virtuelle Welt ist eine informationelle
Welt mit Produkten, die auf informations-
tragenden Modellbeschreibungen und tech-
nischen Trägermedien basiert. Grundlage für
diese Welt ist die Trennung von materieller
StoffIichkeit und Information oder - allgemei-
ner - die Trennung von 'Geist und Körper' im
künstlichen Produkt.

Mit der Trennung von informationsverarbei-
tenden, 'legislativen' Steuerungssystemen
und materiell-stofflichen, 'exekutiven'Träger-
medien werden grundsätzlich neue Fragen
im Umgang mit künstlichen Produkten und
Welten aufgeworfen. Das betrifft etwa die
Fragen, ob derartige Systeme überhaupt zu
Denkleistungen fähig sind, die mit denen des
Menschen vergleichbar sind (siehe hierzu u.a.
[Penr91]) und in welcher Art und Weise sich
menschliches Wissen konzeptuell beschreiben
und „externalisieren" läßt [WinFI89].

Die Trennung von'Geist und Körper' ist aber
offensichtlich mit wesentlichen Vorteilen ver-
bunden; auch in der Evolution „natürlicher"
Produkte (etwa der höheren Lebenwesen)
hat ein derartiger qualitativer Entwicklungs-
schritt stattgefunden: Informations-Bearbei-
tung ist effizienter, flexibler und vielfältiger
zu realisieren als Material-Bearbeitung.

Im alltäglichen Umgang mit künstlichen Pro-
dukten besitzt eine derartige Trennung je-
doch einen grundlegenden Nachteil: dem in-
formationellen Produkt, d.h. primär dem
Programmcode der Software, fehlt das
sensomotorische Gestalt- und Aktionspoten-
tial der materiellen Produkte - und damit die
natürlichen Grundbausteine für eine anschau-
lich und operational fundierte Auseinander-
setzung mit dieser Welt und für die Ausprä-

gung effizienter Handlungsweisen im Um-
gang mit den virtuellen Gegenständen.
Während in der realen Welt das Material und
auch die konstruktiven Verfahrenstechno-
logien auf die sinnbildlich wahrnehmbare
Produktgestalt „durchschlagen" fehlt den
informationellen Produkten der virtuellen
Welt primär dieses Vermögen. Damit verfü-
gen derartige Produkte nicht über das natür-
liche Gestaltpotential für eine Kodierung von
Produktfunktionalität, die aber gerade die
Grundlage für den effizienten Produkt-
gebrauch darstellt und die 'produktsprach-
liche' Arbeit des Designers wesentlich be-
stimmt. Darüber hinaus wird mit der Un-
möglichkeit zum direkten Gebrauch und der
drastischen Verarmung des operationalen
Aktionspotentials von informationellen Pro-
dukten ein unmittelbares Erleben von Funk-
tionalität verhindert und damit eine wesent-
liche Voraussetzungen für die Effizienz von
Handlungen außer Kraft gesetzt.

Betrachtet man führende 3D-Modelling- und
Animationspakete, dann wird das Dilemma
der gegenwärtigen Interface- und virtuellen
Werkzeug-Gestaltung sehr deutlich:
Einerseits stellen diese Softwarepakete infor-
mationelle Werkzeuge mit z.T. sehr komple-
xer Funktionalität zur Verfügung, mit denen
man in der Lage ist, qualitativ hochwertige
Designlösungen zu realisieren. Andererseits
ist das phänomenale Potential dieser Werk-
zeuge selber drastisch reduziert. Wir treffen
auf „Produkt-Oberflächen", die lediglich eine
'tabellarische' Ansammlung von Funktions-
Bezeichnungen sind. Die gleichartig beschrif-
teten Etiketten der Menues - von gleicher
Größe und Form - sorgen für eine uniforme
Erscheinung, die kaum differenzierbar ist und
aus der sich unterschiedliche Funktionalität
nur schwer „ablesen" läßt. Dasselbe gilt für
die Operationalität dieser Werkzeuge. Gleich-
artige, stereotype Interaktionen wie 'Klick'
und Doppelklick' sorgen für eine uniforme
Handhabbarkeit, bei der unterschiedliche
Funktionalität nicht mehr differenziert aus-
geführt und erlebt wird.

Aus diesem Dilemma leitet sich das Ziel der
nachfolgenden Betrachungen und der Ent-
wicklung des Bindungsmodells virtueller
Gegenständlichkeit'ab: Die Übertragung der
Handlungseffizienz des Menschen im Um-
gang mit den Dingen' seiner natürlichen,
räumlich-gegenständlichen Umgebung auf

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