Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1918)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Vom Schmerzenskind Kino
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0019

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
überall von Beamten und Hilfsarbeitern ausgeübt, die reich an Linsicht und
frei von Vorurteilen sind, aber ihre Mißgriffe schaden doch schwerlich ebenso-
viel, wie ihre Gutgriffe immerhin nützen. Anch ästhetische Entgleisungen sind
hier so lange noch keine Rnglücksfälle, wie sie nur Lntgleisungen bleiben. Die
„Dramen"? Man könnte sie sehr wohl auf den reinen Augengenuß hin be-
arbeiten oder neu machen, ein paar „Zettel" dazwischen würden auch nicht
wesentlich stören — und dann: das „Drama" ist nun einmal der wichtigste
Lräger der gemütlichen Beteiligung im Kino. Es ist einem Volksbildungs-
mittel in Form öffentlicher Unterhaltung, einer „moralischen Schaubühne"
mindestens so lange unentbehrlich, bis wir zahlreiche, gute Volkstheater haben,
also jedenfalls noch auf lange hinaus. Das „Kinodrama" kann schlecht, es
kann aber auch gut gemacht werden. Ferner: man kann ja neben dem
Drama" noch Gutes zeigen. Wie man im Anfang gar nicht selten ver-
suchte: geräde allerlei für den bessern Geschmack, gerade dies und das, was
der Durchschnittsmann anfangs eben nur hinnahm, was ihm aber dann so
nach und nach die Augen für Besseres öffnete. Mir scheint, das wäre sogar
der gebotene Weg, um vorwärts zu kommen. Aber —

Aber, man darf das Kino nicht dem Geschäft allein übcr-
lassen. Das hat man getan, da lag die Dummheit und da lag der riesen-
große Fehler. Das Kino ist überall verderbt worden, wo man es ausschließ-
lich als kapitalistisches Unternehmen entwickelt hat. Und das geschah ja so
gut, wie überall. Wir reden Leitartikel, Flugschriften, Bücher lang von der
Bedeutung des Kinos als Volksbildungs- oder Volksverbildungsmittel. Wir
fordern uns gegenseitig auf, doch nur die Augen zu öffnen, um die Wichtig-
keit zu sehn, die diese nicht widerwillig,, sondern bis zur Gierigkeit schau-
willig besuchten zehntausend strahlenden Häuser der Volksbildung allabendlich
schon gewonnen haben und mit jedem Iahre mehr gewinnen müssen; wir
haben schon Eingeweihte, die behaupten: nur noch Schule, Kirche, Presse und
Heer überträfen darin das Kino schon jetzt. Wir verlangen auch achtzehn bis
dreißig Millionen vom Landtage für den Neubau eines einzigen Hoftheaters.
Aber wir überlassen die ganze öffentliche Ausnutzung, die ganze öffentliche
Entwickelung, die ganze öffentliche Gestaltung des Kinowesens ausschließ-
lich der Anternehmer-Frage: Wie mach' ich das meiste Geld damit?
Was der Geschäftsmann antwortet, davon sprachen wir eben, nur, selbstverständ-
lich, sagt er's nicht so „grob". Durch das, was den meisten gefällt, also durch
das, was die Köpfe am sanftesten weiterschlafen läßt oder am sensationellsten
antölpelt. Durch das, was der M a s s e n psychologie entspricht, die ja au
alle Kulturarbeit das Bleigewicht hängt. Durch die Förderung der am wei-
testen verbreiteten Instinkte, also derer, die wir mit den Tieren gemeinsam
haben. Durch das Moden-, also Herdenmäßige, durch den Drang, immer
„das Neueste" zu bieten. Dem allen hat unsre Sorte von Kulturpslege das
wichtigste neue Volksbildungsmittel glatt ausgeliefert, indem es das Kino dem
Geschäft überließ.

Als ich vor mehr als drcißig Iahren im Kunstwart das „Nouveaute-Weseil"
als eine der größten Gefährdungen jeglichen ästhetischen Fortschritts hinstellte, er-
regte das heftigen Widerspruch: gerade das Nouveaute-Wesen mit seiner Forde-
rung fortwährenden Wcchsels verbürge und bringe ihn. Lebt heute noch je°
mand, der diesen Satz verteidigen würde? Es scheint aber, als sähe man gar
nicht, daß unser ganzes Kinowesen so gut wie ausschließlich unterm Aouveaute-
Rummel steht. Was „abgespielt" ist, verschwindet nicht in der Versenkung, aus
der was wieder heraufkommen kann, sondern in der Grube, aus der es über die
Rieselfelder der „Provinz" hin weggeschwemmt wird auf Nimmerwiedersehn.
Ob's gut oder schlecht war! Wo sind die besten alten Filme? Wo
finden wir sie, wenn wir von ihnen lernen Wollen? Wo werden sie
wieder vorgeführt? Euer ganzer Filmbetrieb ist ja nichts weiter als
ein Theater, das ununterbrochen Nouveautes abkurbelt und nicht nur keinen
Weiteraufbau auf dem Erreichten, sondern nicht einmal ein Aufbewahren des
 
Annotationen