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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1918)
DOI Artikel:
Cauer, Paul: Willenserziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0121

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Interessen in den Kampf rnfem Sind auch diese materiell und selbstisch, so
bleibt der alte Zusrand,- sind sie von edlerer Art, so muß dieser Vorzug, um
zu wirken, erst erkannt sein. Ihn denen sichtbar machen, die kein Auge
dafür hatten, heißt sie von falscher Ansicht befreien. Ls ist nicht anders: wer
ein Geistiges und Sittliches zur Herrschaft bringen will, kann nicht unmittel-
bar an den Willen sich wenden, sondern muß die Erkenntnis zu Hilfe nehmen
— und mehr als nur zur Hilfe.

Denken wir an die Schule, wo der gescheiteste Lehrer, wenn er schwach und
unentschlossen ist, erfolglos sich abmüht, oder an das öffentliche Leben, an
den Staatsmann, der die Schar seiner Beamten, das Parlament, mit dem
er regieren muß, die Nation, der er dienen möchte, zu erziehen hat. Aberall
soll ein fester Wille, der Widerstrebende zwingt, in den Dienst überlegener
Einsicht gestellt werden, die einen Aberwundenen auch innerlich zu gewinnen
vermag. Wo nicht ein ethisches Moment dem starken Willen die Richtung
bestimmt, da mag wohl Widerstand gebrochen, eine Gleichmäßigkeit des Ver-
haltens, der Außerungen, auch Ler Interessen erzengt werden; Lrziehung
aber, die emporhebt und innere Krast verleiht, kommt nicht zustande. Ein
Vergleich der Wirkungen, die von Stein und die von Bismarck ausgegangen
sind, würde weiter führen. Bleiben wir jedoch beim Einzelmenscheu!

Der griechische Weise, der das Gewissen entdeckt hat, hielt es für undenkbar,
daß jemand wissentlich etwas Anrechtes tun könnte. In Sokrates selber, mit
seinem gesunden und klaren, von Schwächen und Leidenschaften unbeirrten
Sinne, gab es keinen Zwiespalt; daher sein unbegrenztes Vertrauen auf die Kraft
der Belehrung, das doch durch den Erfolg seiner eignen erzieherischen Tätigkeit
nicht überall gerechtfertigt worden ist. Lrschütternd auf der andern Seite eine
Selbstanklage wie des Apostels Paulus: daß er nicht vollbringe, was er
als gut erkannt habe, sondern das Böse tue, gegen das er sich sträube, Das
klingt wie ein Bekenntnis der Schwäche, und so war es gemeint; im Grunde
ist es der erste Schritt zur Selbstbefreiung, daß man die unsichtbaren Fesseln
fühlt und gegen sie anstrebt. Wer redlich an sich selber arbeitet, muß diesen
Weg gehen; kein andrer öffnet sich dem Erzieher. Dienstfertige Dialektik, zu-
nächst zu eigner Verteidigung, und das Geständnis des Anterliegens in der
Durchführung guter Vorsätze; beides bringt die jugenüliche Seele ihm ent-
gegen. Seine Sache ist es, ein Wachstum, solange es noch biegsam ist, richtig
zu lenken, zu sorgen, daß jenes beschämende Gefühl nicht in selbstgenügsamer
Resignation sich beruhige, sondern den Stachel zum Handeln entwickle. Das
geschieht, wenn die Lust am Folgern und Beweisen, die von Natur an den
Ich-Dienst gebunden ist, für allgemeine Erwägungen fruchtbar gemacht wird.
Wie von selber regt sich dann der Zweisel, ob jenes ein würdiges Bündnis sei.
Von da zu dem Entschluß, es abzuschütteln, ist zwar noch ein steiler Weg;
aber das Ziel liegt in der eingeschlagenen Richtung, greifbar vor Augen.

Für diese ganze Aufgabe, der Erziehung durch Besinnung, geben die Er-
fahrungen des Krieges, im Bösen wie im Guten, vielfachen Anhalt. Der
zum Himmel sich türm-ende Bau einer vermeintlichen Weltkultur geht krachend
in Trümmer. Man ruft nach „Verständigung", die doch eben deshalb versagt
hat, weit jeder seinen eigenen Verstand nur ins Ioch seiner eigenen Interessen
eingespannt hielt. Was in Zeiten des Friedens nicht geübt war, konnte
unter Sturm und Angewitter nicht plötzlich gelingen, aus eingefahrenen Ge-
leisen hinaus und empor zu lenken zu freierem Amblick. Einstweilen ist
das Ideal einer völkerumspannenden Gerechtigkeit ferner gerückt als je. Er-
strebt werden könnte es vernünstigerweise erst dann, wenn das näherliegende
einigermaßen erreicht wäre: im Innern zwischen streitenden Gruppen, den
politischen und wirtschaftlichen Mächten, den Kampf so zu führen, daß das
Bewußtsein gemeinsamer Güter und verbindender Zwecke lebendig bleibt. Wi«
schwer auch dies ist, sehen wir täglich. Der Krieg bringt zum' Vorschein, was
in den Menschen steckte, indem er ihre Leidenschaften steigert und ihr Denken
hilfloser noch denn sonst dem Begehren untertan inacht. — Nun die andere

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