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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1918)
DOI Artikel:
Corwegh, Robert: Strömungen und Richtungen der gegenwärtigen Malerei, 1
DOI Artikel:
Hartwig, Ernst: Ein politisch Lied - ein leidig Lied
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0133

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muß. Die größten Schreier (nicht Künstler) der drei modernsten Richtun-
gen, Lxpressionismus, Kubismus und Futurismus, sind allerdings Slawen
und Italiener, selbstverständlich neben den in moderner Malerei unum--
gänglichen Franzosen. Man hilft sich dann bei allem Unerklärlichen, wie
bei Kandinskys neuester Richtung, mit „Stammeln der russischen Seele",
oder prägt solche Klischees wie „Vegetative des Denkprozesses", das hier
Form gesunden habe. Eine Form für Stammeln kann nach meineM Er-
achten nur wacklig sein. Wenn man allerdings mit solchen schleierhaften
Formulierungen das schwere Problem dieser Kunst noch mehr verdunkelt
hat, hilft man sich damit, aggressiv gegen den Leser zu werden, der gerade,
weil ihm Unverständliches in dieser Art Kunst begegnet, Belehrung suchte.
Man sagt: Die meisten Menschen können eben bildende Kunst nicht „rein
formal" sehen. Man erklärt aber gar nicht, was rein formales Sehen ist.
Ich bestreite, daß irgend ein Mensch überhaupt „rein formal" sehen kann.
Das Schöpferische unsres mit dem Verstand und Gefühl verbundenen Seh-
organs verhindert das. Selbst im Ornament spüren wir Gefühlswerte in
Linien, Stimmungen, in Farben. Beinahe alle Farben haben symbolische
Werte, wenn auch nicht für alle Menschen die gleichen. Gegen diese
Phrasen vom „rein Formalen" macht der Expressionismus durch seine
bloße Existenz Opposition, und hierfür gehört ihm wiederum unsre Sym-
pathie. Immer entrollt er die Fahne des Geistigen, und sucht seinen Aus-
druck in der naiven Kunst. („Naiv" im Sinne Schillers gebraucht.)

(Schluß folgt) Robert Corwegh

Ein Politisch Lied — ein leidig Lied

vieles ist so bezeichnend für das heutige Deutschland, wie die
M Beliebtheit dieses Wortes, das Goethe einen trinkendeu angehenden
^ v'Philister sagen läßt. Warum aber gilt so vielen unter uns die Politik
für unerfreulich, das politische Gespräch für peinlich? Weil Politik „unge-
mütlich" ist, weil man regelmäßig über sie „in Streit gerät", das dürften
so die landläufigen Antworten sein. Aber es leuchtet sogleich ein, daß dies
keine letzten Antworten sind, daß diese „Ursachen" sich vielmehr noch auf
tiefere Arsachen zurückführen lassen müssen, welche erst ihrerseits die letzten
uns erkennbaren sind. Welche Dinge sind denn in der Negel „ungemüt-

lich", welche Gegenstände führen in der Negel zum Streit? Ein altes Wort

sagt: „Aber Geschmacksachen läßt sich nicht streiten." Dieses Wort ist fast
ebenso töricht wie es bejahrt ist, denn es kommt bei jedem Gegenstand,
auch bei den sogenannten Geschmacksachen, nur darauf an, wer darüber
streitet, eigentlich: wie gestritten wird. Der wenige Sinn, den das Wort
hat, lautet, herausgelöst, so: wenn zwei über irgendeine Sache nichts zu
sagen haben oder entschlossen sind, nichts zu äußern, als ihr ganz subjektives
Meinen ohne Begründung und Ausführung, dann sollen sie lieber nicht
streiten. Denn es streiten niemals in der Welt durch Worte zwei Meinungen
miteinairder, immer nur zwei Shsteme von Gründen und Folgerungen. Ein
vernünftiges Gespräch ergibt einen Austausch von Gedanken, nicht aber
den Sieg eines Gedankens über einen andern. Das klingt beinahe Phantastisch,
denn ganz offenbar zielen die meisten Menschen darauf ab, ihre Gespräch-
genossen zu überzeugen, ganz offenbar erstreben sie gerade den „Sieg" ihrer
über jener Gedanken, und es scheint wider die Natur, ihnen beibringen zu
wollen, das sei unvernünftig. So ist es denn auch nicht gemeint. Verschieden
von dem, was einer im Gespräch will, ist das, was zwei vom Gespräch haben.
Das Gespräch lebt vom Aberzeugenwollen, aber es ergibt in der Regel Nicht-
Aberzeugte; und nur ein gut geführtes Gespräch ergibt Bereicherte. Das ganze
 
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