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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1918)
DOI Artikel:
Kamphoevener, Elsa Sophia von: Vom Schweigen des Morgenlandes
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0168

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versenkt wieder seine Sinne in das große lichtdurchflutete Schweigen
ringsum. —

So sieht den alltäglichen, kleinen Ereignissen gegenüber die Frucht
dieses Schweigens des Morgenlandes aus. Es zeigt sich im Leben des
einzelnen, vom Kleinsten bis zum Höchsten, deren jeder sich gleich achtet
im Angesichte des Denkens. Mag seiu, daß es eine Kraft ist, die sich
dem modernen Fortschritt entgegenstemmt; aber ist der moderne Fort-
schritt, soweit er sich auf Außerliches bezieht, denn immer etwas Er-
strebenswertes? Man ist gewohnt, ihm die Krone aller Dinge zuzu-
erkennen und ihn und seinen Oberpriester, den äußeren Erfolg, demütig
anzübeten. And bedenkt fast nie, daß er ist wie der Wagen Iuggernauts,
des Gottes der Zerstörung, unter dessen schwertbewehrten Rädern sich
unzählige Seelen verbluten. Um ihre Todesschreie nicht zu hören, wird
ja auch jener Rmzug mit Musik und Freudenrufen begleitet, die wie
das Triumphgeschrei der Anhänger des .Fortschrittes klingen mögen.
Aber was unter den Rädern verblutet? Ist das, was untergeht, auch
immer reif zum Itntergange? Gibt es nicht geistige Kräfte, die so fein
und unfaßbar sind, daß sie nicht in den Kampf mit Realitäten gestellt
werden können, Kräfte, die schon vor dem erbarmungslosen Lichte des
fragenden Zweifels in sich zerfallen, und dennoch Kräfte sind? Wer weiß
denn, ob nicht vielleicht gerade aus ihnen Wurzeln trieben, aus denen
Großes hätte wachsen können?

Das ist die allertiefste Frage der Orienterschließung: wie ist es mög-
lich, das Schweigen des Morgenlandes, welches seiner Seele innerstes
Geheimnis und ihre Kraft bedeutet, in Einklang zu bringen mit der fort-
schrittlichen Entwickelung eines neuzeitlichen Staates? Erst wenn man
das beantworten kann, kann man darauf hoffen, des Orients innerstes
Wesen in Einkkang zu bringen mit dem Fortschritt, und die Vergangenheit
mit der Zukunft zu verrnählen. Alle die Auseinandersetzungen, die über
die Notwendigkeit kultureller Annäherung an den Orient teils klar und
gut, teils weniger sachverständig gepflogen worden sind, alle die sozial-
politischen Probleme, die bei solchen Gelegenheiten erörtert worden sind,
lassen nur allzugerne diese innerste Frage aus, welche eben doch den
Kernpunkt des Ganzen bedeutet.

Es wird jetzt immer an den Orient herangetreten, als sei er ein Land
wie alle andern, nur etwas mehr kulturbedürftig, als die übrigen, und
darum reichlicher mit Reformen zu versehen. Aber das Morgenland
ist zu diesem Range der Beurteilung sozusagen von heute auf morgen
gekommen, und hat doch seinerseits gar keine Nötigung von innen her,
sich urplötzlich damit abzufinden. Ganz gleich, wie es politisch steht, es
bleibt der gleiche Orient in seiner Wesensäußerung, der es schon vor
Iahrhunderten war und mindestens noch in Iahrzehnten sein wird. Denn
der Orient lebt langsam, weil er tief lebt. Er nimmt das Leben in sich
auf, wie ein wissender Trinker aus goldneür Pokale Tropfen um Tropfen
über seine Zunge fließen läßt. Das Leben ist dem Orient keine Not-
wendigkeit; soll er es verlieren, gut, so verliert er es; mit dieser Erden-
runde ist ihür die Welt ja nicht beschlossen. Doch hat er das Leben,
so genießt er es langsam, dsn Blick auf deur Goldgrund des Bechers. Da
kommt man nun, schlägt ihm den Becher aus der Hand und ruft ihm zu:
„Schnell, schnell, denn wir haben keine Zeit, auf dich zu warten, wir müssen
weiter, weiter!" Wir — was gehn ihn diese Wir an? Der im Orient
 
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