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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

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Heft 23 (1. Septemberheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0170

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Vom tzeute fürs Morgen

Zdealisten und Nealisten

an kann sie anch noch anders nen--
nen, Phantasten und Müchterlinge,
Ideenmenschen und Tatmenschen, Künst--
lernaturen und Handwerker, Direktoren
und Arbeiter, Schwungmenschen und
Pedanten usw. In diesen Bezeichnun--
gen soll keinerlei Kritik liegen, wir
führen sie nur der schärferen Heraus-
arbeitung des Gegensatzes wegen an.
Auser Herrgott hat sie nämlich beide
nötig, und darum sollte jeder ver->
suchen, mit dem andern Typ so gut
auszukommen, wie er nur irgend ver-
mag.

Heute herrschen unumschränkt die
Tatmenschen, die nüchternen Naturen.
Die Gegenwart steht ja völlig unter
dem Drucke der eisernen Notwendig-
keit. Sie will allein zweckmäßiges
Wirken, peinlich genaues Ausführen
knifflicher Befehle, korrektes, pflichtbe-
wußtes Handeln, klares logisches Den-
ken und Tun. Das sind durch die
Zeitverhältnisse gebotene Notwendig-
keiten, deshalb dominieren heute die
Realpolitiker und schauen mit nur
mühsam verhehlter Verachtung auf die
unpraktischen Träumer, die himmel-
blauen Idealisten und Phantasten, die
sich der stahlharten Wirklichkeit so gar
nicht anzupassen vermögen, die mit
ihren Lräumen und Ideen weiter hau-
sieren möchten.

Die Idealisten standen niemals so
niedrig im Kurse wie heute. Ob sie.
sich von dieser Basis erholen werden?

So tüchtige Menschen die Nüch-
ternen auch sein mögen, so brauchbar
und notwendig ihr Tun auch ist, mehr
als ausführen, was andere erdacht, er-
sonnen und ersehnt haben, das könneu
sie ja nicht. Mehr sollten sie freilich
auch nicht leisten wollen. Daß diesen
Leute heute, wo wir gar nicht genug
fleißige und gewissenhafte Praktiker
einstellen können, ein wenig der Kamm
geschwollen ist, ob ihrer riesigen Be-
deutung und Unersetzlichkeit, das soll-
ten aber die Idealisten ihnen doch
nicht im Ernst übel nehmenl Morgen
ruft die Welt doch wieder die Ideen-
träumer und Gedankenmenschen an die

Front und bittet um neue Direktiven.
Das gesamte Leben würde ja veröden
und vermechanisieren ohne sie. Herr-
schaftsgelüste der Nur-Praktiker zer-
flattern dann von selber im Winde.

Nur warten müssen wir können und
dürfen nicht der Massensuggestion ver-
fallen, daß die Nüchterlinge die Krone
der Schöpfnng seien.

Heinrich Scharrelmann

Neue Nomane und Novellen

ie Raumnot drängt zu äußerster
Kürze und auch dazu, Nicht-Zu-
sammengehöriges ohne vermittelnde
Worte nacheinander zu besprechen.

E. v. Keyserling zwingt den
Leser immer in seinen Bann. Man
kann sich vielleicht eine Definition der
Kunst oder der Poesie ausdenken (wie
es heute viele Iüngere tun) und dann
feststellen, die Romane dieses Verfassers
gehörten nicht dazu. Das Lndert nichts
daran, daß noch nicht fünf Lebende
eine solche Feinfühligkeit und Aber-
legenheit haben wie Kehserling. Von
welcher Menschenart, von welcher Ge-
gend des Daseins er auch erzählen mag,
bald ist der Leser zum Kenner der See-
len, zum Wissenden der vielen Ver-
flochtenheiten und Bedingungen dieses
Stückes Leben erhoben, bald weiß er:
so sieht es von außen, so von innen
aus. And dabei bleibt Keyserling, so
tiefe Einblicke er auch eröffnet, immer
„taktvoll"; er lächelt nicht hämisch, er
reißt nicht Wunden auf, „seziert" nicht
kühl und teilnahmelos, er entschleiert
nur Seiendes mit kluger Hand und
nicht ohne Liebe. Das alles erschüttert
nicht und krampft niemand das Herz
zusammen, aber es bannt. Aud das
Ganze ist nicht zufälliger Ausschnitt,
nicht mühsam in Eins verwobene
Menge von Begebenheiten, sondern bei
aller Lebendigkeit des Einzelnen doch
ein „Ganzes", mit Auftakt, allmäh-
lichem Beginn, Höhepunkten, Aus-
klang; und nicht nur entschleiertes Le-
ben, sondern höchst „unterhaltende" Er-
zählung sogar für den, der über die
Liefen hinwegliest. Keherlings neueste
Erzählung heißt „Fürstinnen" und
 
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