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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 25.1907

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Beck, Paul A.: Das Lyzeum bezw. Gymnasium in Rottweil vor 100 Jahren, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.18486#0115

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leicht geeigneter gewesen, in den ersten
Kurs des Lyzenms einzutreten nud mit
den philosophischen Fächern zu beginnen;
allein da ich erst fünfzehn Jahre zählte,
trng man Bedenken nnd veranlaßte mich,
wieder in die Klasse der Rhetorik und
Poetik einzutreten, wo ich die meisten
meiner früheren Mitschüler wieder traf
nnd es sich bald herausstellte, daß unser
Eifer etwas erkaltet war, obgleich wir
nicht gerade für unfleißige Schüler gelten
konnten. Unsere häuslichen Verhältnisse
hatten sich jetzt angenehmer gestaltet. Die
einförmige, ganz verknöcherte Lebensweise
unseres Hausherrn und seiner Familie
war Wocher und mir zuletzt fast uner-
träglich geworden, und wir sahen uns
um angemessenere, behaglichere Unter-
kunft um, die wir im Hause einer Witwe,
der Kassierin Bänerle, Schwiegermutter
des später so rühmlich bekannt gewordenen
Kirchenratsdirektors von Cam er er/)
fanden. Diese Frau, an Jahren schon
weit vorgerückt, war eine Stndentenmntter
im eigentlichen Sinne. Sie hatte dnrch
eine Reihe von Jahren die zahlreichen
Söhne des Direktors neben anderen Kost-
gängern, die zum Teil bedeutende Männer
geworden sind, in ihrem Hause beherbergt
und die mannigfaltigen guten und schlimmen
Eigenschaften junger Leute wahrzunehmen
volle Gelegenheit gehabt, wodurch sie zur
Pädagogin geworden war. Heiteren Tem-
peraments und wohlwollenden Charakters,
waren ihre Erziehungsgrundsätze sehr
liberal. Sie gönnte der Jugend gerne
ein gewisses Maß von Freiheit, beobachtete
aber genau die Schritte und Gewohn-
heiten jedes einzelnen und ließ ihn unge-
hindert gewähren, solange sie nicht be-
sorgen mußte, daß er auf Abwege gerate.
Ju diesem Falle erfolgten zunächst War-
nungen, die wie im Scherze ganz zufällig
ausgesprochen schienen, aber als sehr tref-
fend erkannt werden mußten. Halfen diese
Winke nicht, so folgten sehr ernste Vor-
stellungen unter vier Augen, die so ein-
dringend überzeugend und tief aus dem
Leben gegriffen waren, daß sie ihre Wir-
kung in der Regel nicht verfehlten. Anch
konnte sich der Betreffende öfter zu seinem

2) Johann Baptist Bernhard Cam er er, ge-
boren in Rottweil 1765, gestorben in Stuttgart
als katholischer Kirchenratsdirektor 1836.

)3 —

Erstaunen überzeugen, daß der alten Fran
seine geheimsten Schritte nnd Neigungen
nicht unbekannt geblieben waren.

Infolge der großen politischen Ereig-
nisse der Jahre 1813 nnd 1814, welche
ganz Europa eine andere Gestalt gaben,
sollte auch das ruhige, harmlose Städtchen
Rottweil in große Bewegung gerateu und
mit schweren Drangsalen heimgesucht werden.

Ende November begann der große Völker-
znz der verbündeten Mächte nach Frank-
reich. Ein Teil der österreichischen Armee
mit ihren stattlichen Regimentern zu Fuß
und zu Roß uuter Führung der Erz-
herzoge Ferdinand von Este und Ludwig
und der Generale Fürst Windischgrätz nnd
Bianchi eröffneten den Reigen und brachten
uns Studenten viel Unterhaltung und
Unterbrechung unserer Studien. Denn wer
hätte hinter den Büchern sitzen können,
wenn die Feldmusik erklaug und diese sieg-
reichen Scharen, welche so stolz vou ihreu
Pserden blickten, in voller kriegerischer
Pracht zu Tausenden durch die Straßen
des Städtchens zogen. Noch besonders
lebhaft ist mir erinnerlich, wie Fürst
Windischgrätz, der stattliche Mann, an der
Spitze seines unvergleichlichen Kürassier-
regiments, den Landvogt von Rottweil,
Grafen von Waldburg-Zeil, seinen
Schwager, der ihm entgegen geritten war,
znr Seite, seinen Einzug hielt. Die Erde
schien zu dröhnen unter der Wucht dieser
Eisenmänner. Auch die Studien zu Hause
wurden oft dnrch die neuen kriegerischen
Erscheinungen unterbrochen. Unsere Haus-
frau erhielt fast täglich Einqnartiernng
von österreichischen Offizieren, die sich
gerne mit uns jungen Lenten unterhielten.
Besonders vertraulich wurden wir mit
einem blutjungen Kürassieroffizier, der
selbst noch kürzlich Student gewesen war.
Er beredete mich, seine Rüstung anzu-
ziehen, fchnallte mir selbst den Küraß fest
nnd setzte mir den Helm zurecht. Das
Schwert an der Seite, fühlte ich in diesem
Eisengewand zum erstenmal einen kriege-
rischen Geist iu mir erwachen. Ich dachte
mir, wie schön es wäre, mit diesen statt-
lichen Scharen gegen die verhaßten Fran-
zosen über den Rhein zu ziehen nnd als
Sieger heimzukehren. Ungerne ließ ich
mich wieder entwaffnen, um auch ferner
hinter den Bücheru zu sitzen.
 
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