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Menschlichen auf ewige Gesetze zurückführen läßt. Die
Poesie hat, um dergleichen Einsichten zu gewähren, un-
streitig die reichsten unerschöpflichsten Mittel, im augen-
blicklichen und scharfen Eindrücke wird ihr dagegen die
bildende Kunst schon darum überlegen sein, weil sie durch
das sinnliche Objekt direkt wirkt und keiner vermittelnden
Phantasie bedarf, welche das poetische Wort oft sehr un-
glücklich in Gestalten übersetzt. Stellen wir einen em-
pfänglichen Menschen in die Mitte eines gothischen Domes.
Er sieht das himmelgleich schwebende Gewölbe, die fröh-
lich aufwachsenden Säulen, die in Farben leuchtenden
Fenster, das versteinerte Blumenwerk, es umfängt ihn eine
mystische feierliche Dämmerung, selbst aus dem ehrwürdigen
Schatten scheint wieder Licht zu sprühen. Er ist alsbald
ergriffen, es wehet zuerst ein unbestimmtes, leise erregendes
Gefühl durch seine Seele, das endlich in eine erhabene
Bewegung übergeht. Er betrachtet dann forschend die
Einzelheiten, er sucht nach den Ursachen der außerordent-
lichen Wirkung, seine Aufmerksamkeit zerstreut sich neu-
gierig in alle Theile, um endlich wieder in eine mächtige
Empfindung zusammen zu fließen und sich zum befriedigen-
den Bewußtsein einer unendlichen, ideellen Größe zu ver-
klären. Fragen wir ihn, was denn eigentlich eine solche
Macht auf ihn ausgeübt habe, so wird er auf kein einzelnes
Objekt Hinweisen können und uns vielleicht schlechten Dank
wissen, wenn wir ihn etwa durch die nüchterne Zergliederung
der Schönheiten jener prachtvollen Rose, jenes gleich einem
goldnen Riesengewächse aufragenden Altares oder jener
sublimen Säulenstellung in seiner andächtigen Stimmung
stören. Das Unbeschreibliche, das Unfaßliche, Unendliche ist
ihm in endlicher Gestalt vor das staunende Auge getreten
— was will er mehr, was geben ihm unsere sinnreichsten
Erklärungen Besseres? Es könnte sogar sein, daß er an
frommer Begeisterung verliert, was er an Einsicht gewinnt,
daß er es beklagen müßte, wenn er sich seine glückliche
Anschauung in unsere Vorstellungswelse übertragen ließe!
Und soll ihm denn sein Resultat nicht genügen können,
sollte es nicht reich an geistigen Konsequenzen sein, ohne erst
durch unsere theoretischen Vorrichtungen graduirt zu werden?
Die Kunst hat nicht die Aufgabe, uns zu bürgerlichen
und moralischen Tugenden abzurichten, aber sie arbeitet
allen erdenklichen Tugenden vor, indem sie die Gemeinheit
bekämpft, aus welcher alle sittlichen Uebel entspringen.
Die Gemeinheit kennt nur sinnliche Triebe und Zwecke,
sie benutzt die Intelligenz lediglich als Werkzeug zur Be-
friedigung ihrer Instinkte, sie weiß von keinem Fortschritt
in der Zukunft, von keiner Vollkommenheit, daher auch von
keiner absoluten Tugend, sie liebt in thierischer Selbstsucht
blos die nackte Lust, niemals die keusche Freude, haßt
deswegen das natürlich wie künstlerisch Schöne, verfolgt
einen Gegensatz, der sie demüthigt, einen Lichtstrom, der
ihr blödes Auge blendet, den reinen Spiegel einer Voll-
kommenheit, worin sie ihre kalibanische Gestalt gewahrt.
Verfolgen wir das Gefühl des Schönen bis zur Quelle,
so werden wir trotz der gewandtesten ästhetischen Anatomie
zuletzt auf ein innerstes Vermögen geführt, das wir nicht
weiter erklären können und als ein Gegebenes zu betrachten
haben'. Das Schöne ist daher auch nicht im Objekte,
sondern im Subjekt enthalten, es entsteht im Auge der
Seele und existirt nicht für diejenigen, welchen dieses Auge
fehlt oder verschlossen ist. Der Künstler, welcher das
Objekt erzeugte, war dabei durch das gleiche Vermögen
thätig, das er durch dieses Objekt wieder in Thätigkeit
setzt, er bringt daher durch den Genuß des Schönen einen
ähnlichen Zustand hervor, wie er ihm zur Produktion nö-
thig gewesen, und wird durch Belebung der Idee begeistern,
wie sie ihn selbst begeistert hat. Erkennen wir zugleich als
richtig an, daß die Ideen im Geiste juuzertrennlich sind,
so werden in diesem Zustande sich alle übersinnlichen Kräfte
zu einer vernünftigen Gesammtrichtung vereinigen.
Hier möchten sich nun den kaltblütigen Realisten auch
die Männer der ernsten Wissenschaft mit dem Einwurfe
anschließen, daß die Doktrin auch ohne die Vermittlung
des Schönen denselben geistigen Erfolg erreichen und die
Philosophie eben so gut fähig sein müsse, den Drang nach
Vernunftbildung zu entzünden. Sie können es in ihrer
Stellung für selbstverständlich und für keine Intoleranz
gegen die Kunst halten, daß der Philosoph der letzteren,
auf seinem direkten Wege zur Wahrheit, nicht begegnen
will und von ihrem Zusatz an Sinnlichkeit eher eine Ver-
dunklung seines klaren Zieles fürchtet als eine glückliche
Erleuchtung hoffet. Die Unempfänglichen sind keiner Wi-
derlegung werth. Die Philosophen werden aber nicht zu
dieser Fahne schwören wollen und wahrscheinlich durch
einen kleinen Zunftueid zu einem Mißverständniße hinge-
rissen sein, das übrigens in den Personen, nicht in der
Sache liegt. Hat die Doktrin Ursache zur Eifersucht, so
muß sie sich irgend einer Schwäche bewußt sein und be-
sorgen, es könne ihr der Rang abgelaufen werden. Oder
erlaubten sich die Künste so ernste Angriffe, als sei es auf
den Besitz der Katheder abgesehen? Dieselben haben nie
gegen den Einfluß der Schule geeifert, während die Schule
manchen ungestümen Angriff auf die Künste gemacht und
sich an ihnen, wenn nicht immer durch unverstellte Gering-
schätzung, doch häufig durch vornehme Gleichgültigkeit
bitter versündigt hat. Poesie und Philosophie, Kunst und
Wissenschaft, sind zwei ebenbürtige Geschwister, die Eitel-
keit der Künstler und Philosophen verwandelte sie in zwei
feindselige, zanksüchtige, unverträgliche Weiber. Verdient
die Kunst einen Vorwurf, so besteht er darin, daß sie sich
gar zu wenig um die Doktrin bekümmerte, aber nie war
sie dem Ansehen derselben nachtheilig, noch trachtete sie
deren Stelle auszufüllen. Es bedarf keines außerordent-
lichen Scharfsinnes, um zu begreifen, daß sie bei der di-
daktischen Tendenz aus ihrer Freiheit heraustritt und im
Nebenzweck zu Grunde geht. Zugegeben, daß die Wissen-
schaft eben so mächtig für die höchsten Dinge begeistern
könne wie die Kunst, so hängt doch dieser Effekt wieder
von den Subjekten ab, ans welche sich die Einwirkung er-
streckt. Hier gewahren wir dann alsbald, daß die Kunst
für Viele bestimmt sei, die Wissenschaft verhältnißmäßig
nur für sehr Wenige bestimmt sein könne. Die Kunst
beschäftigt sich mit dem Volke, mit der Nation, mit Allen,
die aus der Schule in das Leben eingetreten sind, die
Wissenschaft wirkt auf den Kreis ihrer Schüler; diese setzt
ernste Vorbereitungen voraus, jener genügt eine empfäng-
liche warme Seele.
(Fortsetzung folgt.)
Menschlichen auf ewige Gesetze zurückführen läßt. Die
Poesie hat, um dergleichen Einsichten zu gewähren, un-
streitig die reichsten unerschöpflichsten Mittel, im augen-
blicklichen und scharfen Eindrücke wird ihr dagegen die
bildende Kunst schon darum überlegen sein, weil sie durch
das sinnliche Objekt direkt wirkt und keiner vermittelnden
Phantasie bedarf, welche das poetische Wort oft sehr un-
glücklich in Gestalten übersetzt. Stellen wir einen em-
pfänglichen Menschen in die Mitte eines gothischen Domes.
Er sieht das himmelgleich schwebende Gewölbe, die fröh-
lich aufwachsenden Säulen, die in Farben leuchtenden
Fenster, das versteinerte Blumenwerk, es umfängt ihn eine
mystische feierliche Dämmerung, selbst aus dem ehrwürdigen
Schatten scheint wieder Licht zu sprühen. Er ist alsbald
ergriffen, es wehet zuerst ein unbestimmtes, leise erregendes
Gefühl durch seine Seele, das endlich in eine erhabene
Bewegung übergeht. Er betrachtet dann forschend die
Einzelheiten, er sucht nach den Ursachen der außerordent-
lichen Wirkung, seine Aufmerksamkeit zerstreut sich neu-
gierig in alle Theile, um endlich wieder in eine mächtige
Empfindung zusammen zu fließen und sich zum befriedigen-
den Bewußtsein einer unendlichen, ideellen Größe zu ver-
klären. Fragen wir ihn, was denn eigentlich eine solche
Macht auf ihn ausgeübt habe, so wird er auf kein einzelnes
Objekt Hinweisen können und uns vielleicht schlechten Dank
wissen, wenn wir ihn etwa durch die nüchterne Zergliederung
der Schönheiten jener prachtvollen Rose, jenes gleich einem
goldnen Riesengewächse aufragenden Altares oder jener
sublimen Säulenstellung in seiner andächtigen Stimmung
stören. Das Unbeschreibliche, das Unfaßliche, Unendliche ist
ihm in endlicher Gestalt vor das staunende Auge getreten
— was will er mehr, was geben ihm unsere sinnreichsten
Erklärungen Besseres? Es könnte sogar sein, daß er an
frommer Begeisterung verliert, was er an Einsicht gewinnt,
daß er es beklagen müßte, wenn er sich seine glückliche
Anschauung in unsere Vorstellungswelse übertragen ließe!
Und soll ihm denn sein Resultat nicht genügen können,
sollte es nicht reich an geistigen Konsequenzen sein, ohne erst
durch unsere theoretischen Vorrichtungen graduirt zu werden?
Die Kunst hat nicht die Aufgabe, uns zu bürgerlichen
und moralischen Tugenden abzurichten, aber sie arbeitet
allen erdenklichen Tugenden vor, indem sie die Gemeinheit
bekämpft, aus welcher alle sittlichen Uebel entspringen.
Die Gemeinheit kennt nur sinnliche Triebe und Zwecke,
sie benutzt die Intelligenz lediglich als Werkzeug zur Be-
friedigung ihrer Instinkte, sie weiß von keinem Fortschritt
in der Zukunft, von keiner Vollkommenheit, daher auch von
keiner absoluten Tugend, sie liebt in thierischer Selbstsucht
blos die nackte Lust, niemals die keusche Freude, haßt
deswegen das natürlich wie künstlerisch Schöne, verfolgt
einen Gegensatz, der sie demüthigt, einen Lichtstrom, der
ihr blödes Auge blendet, den reinen Spiegel einer Voll-
kommenheit, worin sie ihre kalibanische Gestalt gewahrt.
Verfolgen wir das Gefühl des Schönen bis zur Quelle,
so werden wir trotz der gewandtesten ästhetischen Anatomie
zuletzt auf ein innerstes Vermögen geführt, das wir nicht
weiter erklären können und als ein Gegebenes zu betrachten
haben'. Das Schöne ist daher auch nicht im Objekte,
sondern im Subjekt enthalten, es entsteht im Auge der
Seele und existirt nicht für diejenigen, welchen dieses Auge
fehlt oder verschlossen ist. Der Künstler, welcher das
Objekt erzeugte, war dabei durch das gleiche Vermögen
thätig, das er durch dieses Objekt wieder in Thätigkeit
setzt, er bringt daher durch den Genuß des Schönen einen
ähnlichen Zustand hervor, wie er ihm zur Produktion nö-
thig gewesen, und wird durch Belebung der Idee begeistern,
wie sie ihn selbst begeistert hat. Erkennen wir zugleich als
richtig an, daß die Ideen im Geiste juuzertrennlich sind,
so werden in diesem Zustande sich alle übersinnlichen Kräfte
zu einer vernünftigen Gesammtrichtung vereinigen.
Hier möchten sich nun den kaltblütigen Realisten auch
die Männer der ernsten Wissenschaft mit dem Einwurfe
anschließen, daß die Doktrin auch ohne die Vermittlung
des Schönen denselben geistigen Erfolg erreichen und die
Philosophie eben so gut fähig sein müsse, den Drang nach
Vernunftbildung zu entzünden. Sie können es in ihrer
Stellung für selbstverständlich und für keine Intoleranz
gegen die Kunst halten, daß der Philosoph der letzteren,
auf seinem direkten Wege zur Wahrheit, nicht begegnen
will und von ihrem Zusatz an Sinnlichkeit eher eine Ver-
dunklung seines klaren Zieles fürchtet als eine glückliche
Erleuchtung hoffet. Die Unempfänglichen sind keiner Wi-
derlegung werth. Die Philosophen werden aber nicht zu
dieser Fahne schwören wollen und wahrscheinlich durch
einen kleinen Zunftueid zu einem Mißverständniße hinge-
rissen sein, das übrigens in den Personen, nicht in der
Sache liegt. Hat die Doktrin Ursache zur Eifersucht, so
muß sie sich irgend einer Schwäche bewußt sein und be-
sorgen, es könne ihr der Rang abgelaufen werden. Oder
erlaubten sich die Künste so ernste Angriffe, als sei es auf
den Besitz der Katheder abgesehen? Dieselben haben nie
gegen den Einfluß der Schule geeifert, während die Schule
manchen ungestümen Angriff auf die Künste gemacht und
sich an ihnen, wenn nicht immer durch unverstellte Gering-
schätzung, doch häufig durch vornehme Gleichgültigkeit
bitter versündigt hat. Poesie und Philosophie, Kunst und
Wissenschaft, sind zwei ebenbürtige Geschwister, die Eitel-
keit der Künstler und Philosophen verwandelte sie in zwei
feindselige, zanksüchtige, unverträgliche Weiber. Verdient
die Kunst einen Vorwurf, so besteht er darin, daß sie sich
gar zu wenig um die Doktrin bekümmerte, aber nie war
sie dem Ansehen derselben nachtheilig, noch trachtete sie
deren Stelle auszufüllen. Es bedarf keines außerordent-
lichen Scharfsinnes, um zu begreifen, daß sie bei der di-
daktischen Tendenz aus ihrer Freiheit heraustritt und im
Nebenzweck zu Grunde geht. Zugegeben, daß die Wissen-
schaft eben so mächtig für die höchsten Dinge begeistern
könne wie die Kunst, so hängt doch dieser Effekt wieder
von den Subjekten ab, ans welche sich die Einwirkung er-
streckt. Hier gewahren wir dann alsbald, daß die Kunst
für Viele bestimmt sei, die Wissenschaft verhältnißmäßig
nur für sehr Wenige bestimmt sein könne. Die Kunst
beschäftigt sich mit dem Volke, mit der Nation, mit Allen,
die aus der Schule in das Leben eingetreten sind, die
Wissenschaft wirkt auf den Kreis ihrer Schüler; diese setzt
ernste Vorbereitungen voraus, jener genügt eine empfäng-
liche warme Seele.
(Fortsetzung folgt.)