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die wahre Persönlichkeit vermissen, wir vergessen niemals
in schöner Ueberwältigung den Meister, sondern nehmen
Alles wohlbewußt als dessen Anschauung und Bekenntnis;
hin. — Ein anderes Verfahren sucht darin den nach-
drücklichsten Effekt, daß es geradezu nach der rohen Sinn-
lichkeit greift oder die nackteste Leidenschaft zn schildern
unternimmt. Diese Richtung vergißt nicht allein, daß die
Leidenschaft an und für sich.durchaus kein ästhetisches
Objekt sehn könne, sie vergißt auch, das; diese nackte Lei-
denschaft empirisch gar nicht vorkommt und bei dem
schlimmsten Menschen noch immer mit einigen besseren
Gefühlen wie mit der Regung des Gewissens gemischt
bleibt; ihr entgeht endlich, daß die koncentrirte Leidenschaft
als niedriger brutaler Trieb nicht mehr zur Menschennatur
zählt, deswegen Eckel, Abscheu, Verachtung erzeugt , und
unsere Vernunft empört anstatt sie reinigend zu beschäf-
tigen. Die absolute Begierde ist ein Aufstand gegen das
Vernünftige, eine Negation des Menschlichen und der voll-
kommenste Gegensatz des Schönen.
Deutschlands größter Dichter hat allerdings seine
Mitwelt mit ihren Vorzügen und Schwächen, ihren Fä-
higkeiten, Seelenzuständen, Einsichten und Jrrthümern
dargestellt, und wer jene Zeit kennt oder ihren Ausgangs-
punkt noch mit durchlebte, wird bekennen, daß der spröde
Stoff nicht leicht zu überwinden war; allein wenn seine
Personen im Kampf mit den Leidenschaften nicht immer
gar siegreich bleiben, so behauptet doch der Poet immer
das Schlachtfeld; er weiß stets, wo nicht mit einem stär-
kenden, doch mit einem versöhnenden Ausgange zu schlie-
ßen, und überwindet sich sogar, wo ihn der Abschluß
unbefriedigt läßt, nachträglich eine klare Lösung zu ver-
suchen. Nach einer geistigen Harmonie im ganzen Kunst-
werke wollen oder können die wenigsten der modernen
Dichter trachten, der Gesammteindruck läuft auf ein ödes
unbehagliches Gefühl, auf den Mißmnth getäuschter Er-
wartung hinaus, es steht etwas Unfertiges, Hohleö vor
uns da, wir sind nicht erkenntliche Schuldner sondern un-
willige Gläubiger geworden und haben nicht in einer schönen
Menschheit den mangelhaften Menschen lieben, nein, in
dem widerwärtigen Menschen die Menschheit verachten ge-
lernt.
Solche vernunftlose Produktion rührt großentheils
von der gemeinen Spekulation auf den rohen Erfolg
her. Gelesen und gekauft zu werden ist der nächste, oft
der einzige Zweck, und unter den Mitteln wird weder mit
Geschmack noch mit Gewissenhaftigkeit gewählt. Zu allen
Zeiten haben sogenannte Schriftsteller mit Heißhunger nack-
ergreifenden Stoffen und bestechenden Appreturen herum-
gesucht, und in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts
wurde dieser Handwerksunfug auf das schamloseste und
sogar mit thörichter Unbefangenheit getrieben. Wer findet
es nicht natürlich, wenn der Gebildete und der Zelote
sich von dieser abscheulichen Kost des Pöbels abwandteu
. und unter dem schlechten Gerölle auch viele edle Pflanzen
erstickten? Es liegt im Zeitcharakter, nur an das Haben,
nicht aber an das Soll zu denken. Aus der traurigen Po-
litik der Massen nahmen die Autoren die Untugend herüber,
weniger auf ihre Pflichten als auf ihre Honorare Bedacht zu
nehmen,ja man darf sägen, das; die Mehrzahl sich um garkeine
Verbindlichkeit mehr kümmerte und das „Helfe was helfen.
mag" auf ihre Fahnen schrieb. Die Folgen sind überaus kläg-
lich gewesen. Die schöne Literatur, welche als feinster Aus-
druck der geistigen Kultur früher wohl für eine sehr glänzende
Dignität galt, sank durch das Arbeiten nach Geld und
auf Bestellung zum Handwerk und fabrikmäßigem Gewerbe
herab, der Schriftsteller, sonst im höchsten, ehrenhaftesten
Sinne als Erzieher des Volkes thätig, gerieth als Be-
lustiger der Menge in deren Botmäßigkeit, das verdammende
Geschrei der Pedanten wurde mehr und mehr zur bittern
Wahrheit, und wer seine Feder lukrativ machte, fragte
wenig nach der Gediegenheit und Würde des Berufes.
Der erhabene Zweck, die Vernunft zu entwickeln, das Herz
zu erwärmen, die Gesinnung zu veredlen, war denn durch
das wohlfeile Lesefutter nicht mehr zu erreichen, und das
furchtbare Jahr 1848 hat uns geoffenbaret, welche Ab-
gründe von Rohheit unter der gleißenden Hülle scheinbarer
sittlicher Fortschritte verborgen liegen. Solchen Produ-
centen, welche lediglich für den Markt arbeiteten und daher
auch alle Marktschreiereien auöübten, lag gar nichts an
der Nationalität, sie konnten vielmehr bei ihrer Rechnung
auf die träge gedankenleere Neugier, die. nur durch drastische
Mittel zu befriedigen war, eine so ernste und lautere
Tendenz nicht verfolgen, ihre Erzeugnisse lebten und starben
mit dem Augenblicke, das Publikum verlor dabei die Ach-
tung und zog keinen anderen Gewinn als eine die Em-
pfänglichkeit aufreibende Tadelsucht.
Das Theater, obschon es in seinen löblichen Versuchen,
nationalzu werden, verunglückte, war gleichwohl sehr nahe dar-
an, ein Bedürfniß der Nation zu sein; es waren seine Leistungen
auf den prächtigen Hosbühnen so willkommen wie zwischen
den Brettern der Scheune, Alles wollte spielen und spielen
sehen. Allein auch hier wurde der blinde Beifall bald der
Maaßstab des Geschmackes, die Zuschauer rissen das Di-
rektorium an sich, man bequemte sich, um volles Haus
zu machen, nach den beschränkten Fähigkeiten desselben,
ging zur ordinärsten Faßlichkeit zurück und that alles Mög-
liche, um endlich die wahre Poesie als einen langweiligen
ermüdenden Wortprunk erscheinen zu lassen. Ein Theater,
das von seinem Publikum gar keine Vorbereitung mehr
verlangen darf, das für ein durchschnittliches Wohlgefallen
arbeitet und einem Kerne von Gebildeten entsagt, muß
unfehlbar verloren sein. Ein Bedürfnis; des Geistes und
der Herzen füllt bereits nicht mehr die Schauspielhäuser,
man besucht sie, um die Zeit tobt zu schlagen und neben-
her durch Konversation amüsirt zu werden, Niemand mag
seinen Kopf anstrengen, Viele schämen sich, gerührt zu sein,
einen nachhaltigen Eindruck verlangt und erreicht man nicht.
Die deutsche Bühne hat ohne Zweifel schwere Sünden
begangen, und ihre trefflichsten Dichter sind über ihr Ver-
hältnis zum Volke niemals klar geworden, setzten vielmehr
ein Publikum nach ihrem Sinne ohne Umstände voraus,
allein trotz aller Verirrungen war sie doch der Pflug,
welcher das Erdreich auflockerte, um es für guten Saamen
empfänglich zu machen, sie erzeugte die ersten lebhaften
Neigungen für geistige Genüsse und übte eine außeror-
dentliche Gewalt über die Herzen aus. Bei der allgemei-
nen sentimentalen Stimmung glich sich auch mancher aus-
gelassene Spott über Ehe, Tugend, Unschuld u. dgl., der
in unserer materialistischen Zeit höchst verderblich wirken
mußte, einigermaaßen wieder aus. (Schl, folgt.)
die wahre Persönlichkeit vermissen, wir vergessen niemals
in schöner Ueberwältigung den Meister, sondern nehmen
Alles wohlbewußt als dessen Anschauung und Bekenntnis;
hin. — Ein anderes Verfahren sucht darin den nach-
drücklichsten Effekt, daß es geradezu nach der rohen Sinn-
lichkeit greift oder die nackteste Leidenschaft zn schildern
unternimmt. Diese Richtung vergißt nicht allein, daß die
Leidenschaft an und für sich.durchaus kein ästhetisches
Objekt sehn könne, sie vergißt auch, das; diese nackte Lei-
denschaft empirisch gar nicht vorkommt und bei dem
schlimmsten Menschen noch immer mit einigen besseren
Gefühlen wie mit der Regung des Gewissens gemischt
bleibt; ihr entgeht endlich, daß die koncentrirte Leidenschaft
als niedriger brutaler Trieb nicht mehr zur Menschennatur
zählt, deswegen Eckel, Abscheu, Verachtung erzeugt , und
unsere Vernunft empört anstatt sie reinigend zu beschäf-
tigen. Die absolute Begierde ist ein Aufstand gegen das
Vernünftige, eine Negation des Menschlichen und der voll-
kommenste Gegensatz des Schönen.
Deutschlands größter Dichter hat allerdings seine
Mitwelt mit ihren Vorzügen und Schwächen, ihren Fä-
higkeiten, Seelenzuständen, Einsichten und Jrrthümern
dargestellt, und wer jene Zeit kennt oder ihren Ausgangs-
punkt noch mit durchlebte, wird bekennen, daß der spröde
Stoff nicht leicht zu überwinden war; allein wenn seine
Personen im Kampf mit den Leidenschaften nicht immer
gar siegreich bleiben, so behauptet doch der Poet immer
das Schlachtfeld; er weiß stets, wo nicht mit einem stär-
kenden, doch mit einem versöhnenden Ausgange zu schlie-
ßen, und überwindet sich sogar, wo ihn der Abschluß
unbefriedigt läßt, nachträglich eine klare Lösung zu ver-
suchen. Nach einer geistigen Harmonie im ganzen Kunst-
werke wollen oder können die wenigsten der modernen
Dichter trachten, der Gesammteindruck läuft auf ein ödes
unbehagliches Gefühl, auf den Mißmnth getäuschter Er-
wartung hinaus, es steht etwas Unfertiges, Hohleö vor
uns da, wir sind nicht erkenntliche Schuldner sondern un-
willige Gläubiger geworden und haben nicht in einer schönen
Menschheit den mangelhaften Menschen lieben, nein, in
dem widerwärtigen Menschen die Menschheit verachten ge-
lernt.
Solche vernunftlose Produktion rührt großentheils
von der gemeinen Spekulation auf den rohen Erfolg
her. Gelesen und gekauft zu werden ist der nächste, oft
der einzige Zweck, und unter den Mitteln wird weder mit
Geschmack noch mit Gewissenhaftigkeit gewählt. Zu allen
Zeiten haben sogenannte Schriftsteller mit Heißhunger nack-
ergreifenden Stoffen und bestechenden Appreturen herum-
gesucht, und in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts
wurde dieser Handwerksunfug auf das schamloseste und
sogar mit thörichter Unbefangenheit getrieben. Wer findet
es nicht natürlich, wenn der Gebildete und der Zelote
sich von dieser abscheulichen Kost des Pöbels abwandteu
. und unter dem schlechten Gerölle auch viele edle Pflanzen
erstickten? Es liegt im Zeitcharakter, nur an das Haben,
nicht aber an das Soll zu denken. Aus der traurigen Po-
litik der Massen nahmen die Autoren die Untugend herüber,
weniger auf ihre Pflichten als auf ihre Honorare Bedacht zu
nehmen,ja man darf sägen, das; die Mehrzahl sich um garkeine
Verbindlichkeit mehr kümmerte und das „Helfe was helfen.
mag" auf ihre Fahnen schrieb. Die Folgen sind überaus kläg-
lich gewesen. Die schöne Literatur, welche als feinster Aus-
druck der geistigen Kultur früher wohl für eine sehr glänzende
Dignität galt, sank durch das Arbeiten nach Geld und
auf Bestellung zum Handwerk und fabrikmäßigem Gewerbe
herab, der Schriftsteller, sonst im höchsten, ehrenhaftesten
Sinne als Erzieher des Volkes thätig, gerieth als Be-
lustiger der Menge in deren Botmäßigkeit, das verdammende
Geschrei der Pedanten wurde mehr und mehr zur bittern
Wahrheit, und wer seine Feder lukrativ machte, fragte
wenig nach der Gediegenheit und Würde des Berufes.
Der erhabene Zweck, die Vernunft zu entwickeln, das Herz
zu erwärmen, die Gesinnung zu veredlen, war denn durch
das wohlfeile Lesefutter nicht mehr zu erreichen, und das
furchtbare Jahr 1848 hat uns geoffenbaret, welche Ab-
gründe von Rohheit unter der gleißenden Hülle scheinbarer
sittlicher Fortschritte verborgen liegen. Solchen Produ-
centen, welche lediglich für den Markt arbeiteten und daher
auch alle Marktschreiereien auöübten, lag gar nichts an
der Nationalität, sie konnten vielmehr bei ihrer Rechnung
auf die träge gedankenleere Neugier, die. nur durch drastische
Mittel zu befriedigen war, eine so ernste und lautere
Tendenz nicht verfolgen, ihre Erzeugnisse lebten und starben
mit dem Augenblicke, das Publikum verlor dabei die Ach-
tung und zog keinen anderen Gewinn als eine die Em-
pfänglichkeit aufreibende Tadelsucht.
Das Theater, obschon es in seinen löblichen Versuchen,
nationalzu werden, verunglückte, war gleichwohl sehr nahe dar-
an, ein Bedürfniß der Nation zu sein; es waren seine Leistungen
auf den prächtigen Hosbühnen so willkommen wie zwischen
den Brettern der Scheune, Alles wollte spielen und spielen
sehen. Allein auch hier wurde der blinde Beifall bald der
Maaßstab des Geschmackes, die Zuschauer rissen das Di-
rektorium an sich, man bequemte sich, um volles Haus
zu machen, nach den beschränkten Fähigkeiten desselben,
ging zur ordinärsten Faßlichkeit zurück und that alles Mög-
liche, um endlich die wahre Poesie als einen langweiligen
ermüdenden Wortprunk erscheinen zu lassen. Ein Theater,
das von seinem Publikum gar keine Vorbereitung mehr
verlangen darf, das für ein durchschnittliches Wohlgefallen
arbeitet und einem Kerne von Gebildeten entsagt, muß
unfehlbar verloren sein. Ein Bedürfnis; des Geistes und
der Herzen füllt bereits nicht mehr die Schauspielhäuser,
man besucht sie, um die Zeit tobt zu schlagen und neben-
her durch Konversation amüsirt zu werden, Niemand mag
seinen Kopf anstrengen, Viele schämen sich, gerührt zu sein,
einen nachhaltigen Eindruck verlangt und erreicht man nicht.
Die deutsche Bühne hat ohne Zweifel schwere Sünden
begangen, und ihre trefflichsten Dichter sind über ihr Ver-
hältnis zum Volke niemals klar geworden, setzten vielmehr
ein Publikum nach ihrem Sinne ohne Umstände voraus,
allein trotz aller Verirrungen war sie doch der Pflug,
welcher das Erdreich auflockerte, um es für guten Saamen
empfänglich zu machen, sie erzeugte die ersten lebhaften
Neigungen für geistige Genüsse und übte eine außeror-
dentliche Gewalt über die Herzen aus. Bei der allgemei-
nen sentimentalen Stimmung glich sich auch mancher aus-
gelassene Spott über Ehe, Tugend, Unschuld u. dgl., der
in unserer materialistischen Zeit höchst verderblich wirken
mußte, einigermaaßen wieder aus. (Schl, folgt.)