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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0083

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Blick auf seine Komposition in Bezug aus die Darstellung
des historischen Vorwurfs werfen.

In der Nähe von Konstanz, dessen Thürme zu sehen
sind, ist auf einer lichten Anhöhe der Scheiterhaufen, aus
großen Bündeln Holz und Stroh bestehend, die um einen
entlaubten Baum aufgethürmt sind, errichtet. Einer der
Henker bringt noch mehr Holz heran, drei andere sind be-
reit, Hand an den Gefangenen zu legen. Bewaffnete um-
geben den Richtplatz, in dessen Mitte das Banner der
Stadt Konstanz weht. Die Henker haben brennende Fackeln
in der Hand, und wartend stützt sich der eine auf den Schaft
der Fackel, während ein anderer, die Arme in die Seite
gestemmt, einen Strick zum Binden des Gefangenen hält,
auf den er mit ungeduldigen Augen blickt. Huß, in ge-
ringer Entfernung vom Scheiterhaufen, liegt auf Len Knien,
inbrünstig betend. Durch leichte Wolken bricht die Sonne
hervor und erleuchtet sein gegen den Himmel gewendetes
Antlitz, ans welchem Glauben und Zuversicht sprechen.
Beim Niederknieen ist die Papiertappe von seinem Kopfe
gefallen, die unter drei darauf gemalten Teufeln die In-
schrift „Erzketzer" trägt. Bewaffnete Bürger der niedrig-
sten Klaffe, in verschiedenen mittelalterlichen Kostümen, theils
mit Hellebarden, theils mit Schwertern bewaffnet, sind dem
Gefangenen gefolgt; der Vorderste derselben, in den Farben
der Stadt, roth und weiß gekleidet, hat die Papierkappe
aufgehoben und ist im Begriff, sie Huß aufs Haupt zu
setzen; ein zweiter, vorwärts gebeugt, die eine Hand auf
das Knie, die andere auf das Schwert gestützt, wirft zor-
nige Blicke auf ihn; ein dritter, im Panzerhemd, droht
mit geballter Faust dem betenden Huß. Während der Ge-
fangene und sein Gefolge die Anhöhe erstiegen haben, sind
die Anführer in der Ebene geblieben; Herzog Ludwig von
Bayern, mit der Aufsicht über die Hinrichtung vom Kaiser
beauftragt, ist im Vordergründe zu Pferde, mit dem Kom-
mando-Stabe in der Hand zu sehen; er wendet sich halb
um zu einem Bischof, der gleichfalls zu Pferde sitzt, und
außer diesen Beiden ist noch die Figur eines Kardinals auf
dem Gemälde. Unmittelbar hinter dieser Gruppe trägt
ein junger Krieger das Banner des Herzogs von Bayern.
Zwischen den Pferden des Herzogs und Bischofs sieht
voller Neugierde ein alter Franziskaner-Mönch durch sein
Augenglas auf Huß. So zeigt die rechte Seite des Ge-
mäldes seine Gegner, während auf der linken seine Anhänger
gruppirt sind. Ein junges Mädchen steht an der Spitze die-
ser linken Gruppe, ihre Augen voll tiefen Mitgefühls auf
Huß gerichtet; hinter einem Felsen verbirgt sie ihren Ro-
senkranz, zu schüchtern, ihre Gefühle öffentlich zu zeigen.
Ein böhmischer Ritter ans dem Gefolge des Huß betet
offen für ihn; ein Bürger der Stadt, der ebenfalls von
dem Gefühle der Menschlichkeit ergriffen zu sein scheint.
Weiterhin unter den Zuschauern erblickt man noch ein
junges Weib, mit Blicken voller Mitleid ans Huß schauend
und das Gesicht einer alten Frau, aus dem nur Neu-
gierde spricht, ferner den Kopf eines Jünglings, eines
jungen Mädchens rc. Ein Mönch vom Orden der Trini-
tarier, im Vordergründe, ist nicht so tief ergriffen wie der
Augustiner Mönch hinter ihm, der, mit dem Kopfe zur
Erde gebeugt, die Hände auf der Brust gefaltet, vor sich
hinstarrt. Nahe dem Scheiterhaufen steht ein junger Böhme
aus der Zahl derer, die Huß nach Kostnitz begleiteten.
Die Figur eines böhmischen Bauern, der mit geballten
Fäusten seinen Stock unter dem Arnie hält und Blicke
vvller Zorn auf den Herzog von Bayern wirft, giebt Zcng-
niß der Leidenschaften, die der Tod des Huß in Böhmen
erregte, und die einen der blutigsten und grausamsten Kriege
veranlaßten, welche die Geschichte Europas aufznweisen hat.

> Dies ist das äußerliche Arrangement des Lessing'schen
Gemäldes. Die Frage, wie ein französischer oder belgischer
Malerjdieses Motiv aufgefaßt hätte, wäre wohl von Inter-
esse, würde uns aber zu weit führen. Jedenfalls würde
ein solcher s die vorhandenen Gegensätze überall schärfer
kontrastirt haben, sowohl in kompositioneller und koloristi-

scher, wie namentlich in physiognomischer Beziehung. An
Effekt der Action, d. h. an dramatischer Lebendigkeit würde
das Gemälde dadurch vielleicht gewonnen haben, ob an
Intensität der ideellen Wirkung wäre zu bezweifeln.
Diese koncentrirt sich bei Lessing fast ausschließlich in
dem Kopf und der ganzen Haltung des Huß. Denn den
Reflex dieses Eindrucks auf die Zuschauer in dem Ge-
mälde, auf den ein französischer Maler vorzugsweise den
Accent der dramatischen Wirkung gelegt hätte (wir erin-
nern an das Bild Delarocke's „Maria Antoinette vor
dem RevolntionStribunal") hat Lessing nicht ohne Absicht
so maaßvoll gehalten, weil er eö verschmähte, indirekt zu
wirken. Seine Intention geht offenbar dahin, das eigent-
liche, ideelle Wirkungsmoment in Huß zu koncentriren
und durch Nichts in dem Bilde selbst abschwächen zu
lassen. Aber mit welcher Tiefe und Kraft hat er Dies zu
erreichen gewußt! Man blicke auf das bleiche Antlitz voll
schmerzensreicher und doch so freudiger Glaubenszuversicht,
auf diese hohe, edle Stirn, worin sich die feste Zuversicht
eines gläubigen Herzens mit der Glorie des duldenden Mär-
tyrers verschmilzt, diese krampfhaft in heißem Flehen zum
Erlöser ineinandergeschlungenen Hände —: Niemand, der
sich in diese Anschauung versenkt, vermag sich der Ehrfurcht
vor diesem Helden des Glaubens, des tiefen Mitgefühls
mit den schrecklichen Leiden, die im nächsten Augenblick
seiner warten, erwehren. So gewaltig, so tief einschnei-
dend in das Herz ist dieser Eindruck, daß das Gefühl
der Bewunderung vor der Künstlerhand, die Solches schuf,
erst dann zum Bewußtsein kommt, wenn man, sich von
jenem Eindruck losreißcnd, zu einer ruhigeren Betrachtung
der Einzelheiten des Bildes gesammelt hat.

Es bliebe uns nur noch Etwas über die Technik des
Gemäldes (dies Wort im weitesten Sinne gefaßt) zu sa-
gen. Im Allgemeinen haben wir diese, was das Kolorit
betrifft, bereits in der Einleitung zu charakterisiren ver-
sucht. Neben der harmonischen Einfachheit und edlen
Anspruchslosigkeit, welche das Gepräge seiner technischen
Behandlung bildet, ist jedoch noch ein Vorzug namhaft
zu machen, der das Werk als deutsches in eminenter
Weise kennzeichnet, peinlich die Solidität und liebevolle
Sorgfalt der Durchführung. Diese ist in der Thal be-
wundernswerth. Ohne eine Spur von Penibilität oder
Glätte tritt uns überall ein Respekt vor der Natur, eine
Wahrhaftigkeit des Lebens entgegen, die ungemein wohl-
thucnd wirken und die auch nach dieser Seite hin dem
Künstler nicht nur unsere Bewunderung, sondern unsere
Liebe erobern. Wenn sich hiermit, nach der Seite des
physiognomischen Typus der Figuren, ein wenig mehr
historische Objektivität, oder wenn man will Stil, ver-
bunden hätte, so würde dies Gemälde für uns, als ein
Werk deutscher Historienmalerei, geradezu vollkommen da-
stehen; denn ans einige Details, die leichthin an die Rhe-
torik der alten Düsseldorfer Scbnle erinnern, wie z. B.
die nickt hinlänglich motivirte und darum assektirt erschei-
nende Seitenwendung des Herzogs, dessen Pferd übrigens,
wie uns dünkt, mit dem Hintcrtheil etwas zu niedrig
steht, legen wir kein besonderes Gewicht.

Soviel aber steht, um das Facit unserer Betrachtung
zu ziehen, fest, daß dies Werk Lessings, wie es das be-
deutendste von allen ist, die wir von ihm kennen, als ein
nicht hoch genug zu schätzendes Specimcn der deutschen
Historienmalerei neuerer Zeit dasteht, welches — wenn
irgend eins — seinen Platz in einer deutschen und zwar
öffentlichen Galerie haben müßte. Unsere Nationalgalerie
würde damit eine Bedeutung gewinnen, die sie bis jetzt
noch nicht hat. Denn gerade ein solches großes deutsches
Historiengemälde — deutsch in seiner Darstellung, deutsch
als Werk des größten deutschen Historienmalers der Neu-
zeit, deutsch endlich als Darstellung eines der größten Mo-,
mente deutscher Reformationsgescklchte — würde den Glanz-
punkt dieses von Preußens Herrscher gegründeten deutschen
Kunstinstituts bilden. M. Sr.
 
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