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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Scheffers, Otto: Künstler und Perspektive, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0045

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Künstler und

Prüft man mit einiger Aufmerksamkeit
neuere Werke der Malerei, so findet
man auf ihnen zahllose, oft recht ge-
waltsame Verstösse gegen die Gesetze
der Perspektive. Obwohl kein Kunstfreund
ein Werk, das sonst hohe künstlerische
Qualitäten aufweist, seiner perspektivischen
Inkorrektheiten wegen verdammt, so muss
doch selbst der Nachsichtigste zugestehen,
dass der Wert eines sonst tüchtigen Werkes
durch unmotivierte Fehler in der Zeichnung
keineswegs gehoben wird. Ich betone
das Wort unmotiviert, um von vornherein
dem Einwand zu begegnen, dass ja auch
die grossen Meister der Renaissance hier
und da der Perspektive ein Schnippchen
geschlagen hätten. Wo nämlich die
Grossen der Vergangenheit sich einmal
über die Gesetze der Perspektive stellten,
findet man unschwer auch gewichtige
Gründe für dieses Verfahren. Im all-
gemeinen kann man die Behauptung auf-
stellen, dass die grossen Maler früherer
Zeiten auch Meister in der Beherrschung
der Perspektive waren. Ganz das Gegen-
teil gilt von vielen modernen Künstlern,
deren perspektivische Fehler, weil sie in
der Regel gerade da auftreten, wo sie am
wenigsten angebracht sind, nur allzu deut-

Perspektive.

lieh den Mangel an Verständnis 'für die
Gesetze der Perspektive, überhaupt einen
gewissen Mangel an anschaulichem räum-
lichen Denken erkennen lassen.

Wenn z. B. jemand eine Fischer-Flottille
malt und die in der Ferne segelnden Schiffe
dreimal so gross darstellt, als sie auf Grund
einer richtig durchgeführten Konstruktion,
die übrigens nur zwei Hilfslinien erfordert,
sein müssten, so arbeitet er der Tiefen-
wirkung des Bildes direkt entgegen, und
der Fehler wirkt um so unangenehmer
je mehr man sonst am technischen Raffine-
ment des Bildes das Bestreben heraus-
erkennt, eine möglichst naturalistische
Tiefenwirkung zu erzielen. Ein sonst vor-
zügliches Gemälde, das mir zu Gesicht
kam, wäre nicht wirkungsloser geworden,
wenn der Künstler die rückwärts ver-
laufenden Kanten der im Vordergrunde
stehenden Fischerhütten im statt über dem
Horizonte des offenen Meeres, welches
das Bild nach hinten zu abschloss, vereinigt
hätte. — Die argen Verstösse, welche
Klinger gegen die Gesetze der Perspektive
auf seiner sonst so meisterhaften Radierung
»eineMutter« macht, könnte man höchstens
damit entschuldigen, dass der Künstler
die Absicht gehabt habe, eine zur Stimmung
 
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