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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Schulze, Paul: Künstlerische Krawatten-Stoffe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0145

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KÜNSTLERISCHE KRAWATTEN-STOFFE.

Dass auf ornamentalem Gebiete viel ge-
sündigt worden ist, dass der wüste
Schmuck, wie er sich aus Gips und sonstigen
Stuckmassen an unseren Haus- und Zimmer-
wänden in den letzten Jahrzehnten vorigen
Jahrhunderts breit gemacht hat bis zur voll-
ständigen Gefühlsroheit jedem ästhetischen
Empfinden gegenüber ausgeartet ist, braucht
hier kaum erwähnt zu werden. Hand in
Hand hiermit ging die Überladung mit Or-
namentwerk auch auf allen sonstigen Ge-
bieten kunstgewerblichen Schaffens. Wie
weit seit Eintritt der neuen künstlerischen
Bewegung hierin Wandel geschaffen worden
ist, ist für Jeden, der sehen kann und
will, leicht zu erkennen. Es ist kein Aufbauen
vom Einfachen, von der Zelle bis zum reich-
organisierten Wesen, sondern vorläufig noch
ein Abbröckeln von der langeingewurzelten
Überkultur, ein schrittweises Zurückgehen
zu immer grösserer Einfachheit. Die Ab-
schaffung jedes Ornamentes ist jedoch eine
Forderung, die die Praxis nie zulassen wird.
Fabrikant und Kaufmann ist durch den
steten Modewechsel gezwungen, immer
Neues zu erfinden und zu schaffen. Wo liegt
jedoch die Möglichkeit, einen Gegenstand
bei gleicher Gebrauchsfähigkeit zu ändern?
In dem Wechsel der ihm gegebenen Zier-
form, sei diese plastischer Art oder dem
Flächenschmuck angepasst.

Rückkehr zur Natur ist ein Schlagwort,
welches immer aufkam, wenn die Kunst-
form entartet, wenn das Ornament kon-
ventionell geworden war. Auch jetzt ist
der Ruf nach Natur wieder laut geworden,
doch wie anders entwickelt sich heut das
Studium derselben gegenüber früheren Zeiten.
War es ehedem die Blüte in ihrer plastischen
Schönheit mit voller Licht- und Schatten-
wirkung, die studiert wurde, so ist es heute
die Struktur des Blattes, der Schnitt durch
den Fruchtknoten oder die Knospe, der
Stengel-Ansatz oder die schematische Dar-
stellung des Blatt- und Blütenstandes, ferner
die Welt der kleinen und kleinsten Lebe-
wesen in ihrem unermesslichen Formen- und
Farbenreichtum. Nicht das ganze Tigertier,

1906. it. 7.

der Vogel oder der Schmetterling werden
wieder gegeben, sondern kleine Teile des
Felles, des Gefieders oder der buntfarbigen
Beschuppung werden nach eingehendem
Studium zu neuem Flächenschmuck ver-
wendet. Welche Fülle der Anregung steigt
da vor dem findigen Künstler auf, wie geht
ihm das Gefühl für Gesetzmäßigkeit und
Regelmäßigkeit in der Kunst auf, wenn er
hinabschaut bis in die Welt, die ihm das
Mikroskop eröffnet!

Formen, die dem angedeuteten Studium
ihr Entstehen verdanken, sind es, welche
die Firma Andiger & Meyer in Crefeld ver-
wendete, um damit ihre Krawattenstoffe zu
schmücken. Bei der heutigen Mode unserer
Herrenkleidung, wo die hochgeschlossene
Weste nur wenig von der Krawatte sehen
lässt, wäre eine solche ohne Ornament recht
schlecht am Platze. Sie ist berufen, auf dem
kleinen ihr zur Verfügung gestellten Raum
sich so bemerkbar als möglich zu machen;
das kann sie nur, indem sie durch Form
und Farbe in genügender Weise wirkte und
diese richtige Weise zu finden ist zu einer
Kunst geworden, die sich in Crefeld zu einer
Sonderheit herausgebildet hat, welche ton-
angebend für die gesamte Krawattenstoff-
Industrie nicht nur Deutschlands, sondern
auch der übrigen, Seidenstoffe herstellenden
Länder ist. Im eigenen Atelier der Firma,
der die abgebildeten Muster ihr Entstehen
verdanken, werden junge talentvolle Kräfte
durch geeignete Naturstudien künstlerisch
gebildet, um dann nach weiteren technischen
Erfahrungen in die Lage zu kommen, Ent-
würfe zu liefern, deren Ausführbarkeit auf
dem Webstuhl gewährleistet ist, ein Um-
stand, der gerade bei der so überaus zu-
sammengesetzten Webtechnik von beson-
derem Werte ist. Nur durch das zielbewusste
Hand in Hand arbeiten von Kunst und Tech-
nik, welches bei der Firma unter einer, auf
beiden Gebieten gleich gut beschlagenen
Leitung vor sich geht, ist es möglich, Muster
von so hoher Vollendung und vorbildlichem
Werte zu schaffen, wie die hier abgebildeten
es tatsächlich sind. paul schulze—crefeld.

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