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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Wolff, Fritz: Der Neubau des Warenhauses Wertheim in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0284

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PRÜF. ALFRED MESSEL—BERLIN.

Warenhaus Wertheim in Berlin.

Der Neubau des Warenhauses Wertheim in Berlin.

Es gibt ein Buch, das nur Wenige kennen
mögen, weil es so unliterarisch als eben
möglich ist, und doch ist es eine wahre Fund-
grube unvergesslicher Eindrücke: Es ist das
statistische Jahrbuch der Stadt Berlin. Lebt
Phantastik wirklich nur in den Tagen der
Vorzeit, nur in den Riesengestalten von
hundert Ellen Höhe, die mit Sieben-Meilen-
Stiefeln über die Länder gingen? Ich meine,
aus diesem Buch steigt zwar nicht die Phan-
tastik einer dunklen Überlieferung, aber eine
andere empor, die in hellster, lebendigster
Gegenwart wurzelt: die der gigantischen
Zahlen. Ein neues Märchen, das entsteht,
wie auch die andern, alten entstanden sind.
Wie dort jeder Erzähler, jeder Hörer ein
Weniges hinzutut, dass die Gewaltigkeit
der Figuren, die Ungeheuerlichkeit ihrer
Taten unaufhörlich wächst, so bringt hier
jedes neue Jahr ein gewaltiges Anschwellen,
ein Wachstum der Zahlenriesen, das nicht
abzusehen ist. Freilich das Buch allein kann
den Leser mit dieser neuen, modernsten
Phantastik nicht erfüllen, das kann dem
Fremden, dem West- und Süddeutschen und
allen denen, die eine stille Abneigung gegen
diese als nüchtern, kalt und norddeutsch ver-

1905. V. 1.

schrieene Riesenstadt hegen, einzig und allein
eine Stunde geben, die sie in diesen Tagen
im Getümmel der Leipziger Strasse zu ver-
bringen vermöchten. Aus dieser Stunde
müssten sie, wenn sie einer Deutung solcher
Erlebnisse fähig sind, die Gewissheit mit-
nehmen, dass hier aus diesen wilden, nicht
einzudämmenden Äusserungen des Lebens,
trotz aller sprichwörtlichen Kunstfremdheit
der Stadt und ihrer Bewohner, eines Tages
eine Kunstform steigen muss, die heute wie
zu allen Zeiten der oberste Abschluss solcher
riesiger Lebensäusserungen sein wird. Auf
die Gegenwart mag der Pariser, der Münch-
ner, der Wiener ein wenig ahnungslos noch
herabsehen. Dass die Zukunft eine andere,
grössere sein wird, das ist heute kein vager
Optimismus mehr, keine blosse Redensart.
Den Fremden kann man an eine Stelle
der Stadt führen, wo er selbst vor diesem
Anfang steht, vor ein Haus, von dem ich
wohl nicht allein glaube, dass seine geschicht-
liche Stellung als Ausgangspunkt einer
neuen Entwicklung verbürgt ist. Es ist
das Werk Alfred Messels, das Warenhaus
Wertheim, und ganz im besonderen der Ab-
schluss des ganzen Gebäudes an der Haupt-

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