Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

DOI Artikel:
Schur, Ernst: Individuum und Gesamtheit: Intime Kunst und dekorative Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0202

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ernst Schur:

INDIVIDUUM und GESAMTHEIT

INTIME KUNST UND DEKORATIVE KUNST.

Wir schwanken ewig zwischen Intimität
und der grossen dekorativen Linie,
zwischen persönlichem Innenleben und sicht-
barer Anschauung. Wir werden ein gut
Stück weiter gekommen sein, wenn wir uns
darüber klar geworden sein werden, welche
Gebiete persönlich behandelt sein wollen,
bis zu welchem Grade, mit Rücksicht auf
den Zweck, und wiederum welche Gebiete
ihre Gesetze einer grösseren Allgemeinheit
entnehmen, von welcher Stufe ab, mit Be-
ziehung auf den Sinn. Das heisst: uns fehlt
ein Sinn, der direkte Sinn für das Organische.
*

Unser Weg ist abwärts gegangen, immer
kleiner wurden die Kreise. Nun leben wir
in engbegrenzten Staaten. Ein Staat ist
eine grosse Familie. Darum fühlen wir inner-

m

halb dieser Grenzen intim. Dann wieder
können wir uns nicht der Welt entziehen
und sehen Kreise der Welt in unsere Staaten-
welt übergreifen. Und wir möchten »welt-
lich« und nicht »staatlich« fühlen. Für die
Welt bedeuten Menschenleben nichts. Sie
sind ersetzbar in ihrer Einzelexistenz. So
denken wir auch zuweilen.

Für den Staat — dessen Existenz den
Schwachen und Mittelmäßigen zu gute kommt
— ist jede Einzelexistenz kostbar, bedeutsam
und an ihren Platz gestellt. Sein Ordnungs-
sinn, seine »moralische« Bestimmung will es
so. So denken wir auch zuweilen. Und
dieses ewige »Zuweilen« tötet unseren Mut.
*

Wir tappen immer nach dem Licht,
suchen Auswege und gehen irrend herum
 
Annotationen