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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Wolff, Fritz: Der Neubau des Warenhauses Wertheim in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0285

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Dr. Fritz Wolff—Berlin:

front, der neue Teil am Leipziger Platz.
Eines Hauses Fassade ist nicht das wich-
tigste an ihm. Aber sie ist nun einmal das-
jenige, was eine ungleich grössere Zahl von
Menschen, als die Besucher des Inneren sie
ausmachen, kennen lernt und täglich vor
Augen hat; sie vermittelt sozusagen die
öffentliche Rolle, die das Gebäude spielt,
und die Bildwirkung ist vielleicht die erste
und letzte Frage zugleich. Messel hat für
sie eine Lösung gefunden, die seine ihm
mehr oder weniger zugetanen Kollegen
möglicherweise kritisieren, aber jedenfalls
nicht übertreffen können. Denn er hat in
ihr die beiden Elemente verbunden, die in
eins gegossen werden müssen und mit denen
es einem durchschnittlich Begabten trotzdem
nie gelingen wird: den Ort und die Idee,
den Sinn, den Zweck.

Sicher lag die Aufgabe hier so schwer
wie möglich. Der Bauplatz liegt in der Ein-
mündung der allerwildesten, lärmendsten
Berliner Verkehrs - Strasse, der Leipziger
Strasse, auf dem Leipziger Platz, dessen ziem-
lich breites Oval von stillen, vornehmen
Häusern im Palais - Charakter, Ministerien,
grossen Bureaus und Privathäusern umstanden
ist. Sie alle treten vom Ufer des grossen
Verkehrsstromes zurück, indem nur eine
Axialstrecke den Platz von Osten nach
Westen überquert. Alte Bäume und weite
Rasenplätze scheiden die Gebäude der Um-
fassung vom Trubel des Fussgänger-Verkehrs
und der unzähligen Wagen.

Diesem grundverschiedenen Charakter des
Platzes und der Strasse in einem und dem-
selben Eckgebäude gerecht zu werden, konnte

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eigentlich als unmöglich gelten. Aber man
müsste die Geschichte des Städtebaues nur
einmal daraufhin ansehen, wie unzählige der
vollkommen bewältigten Bauplätze von vorn-
herein auch für den Laien als ganz unbrauch-
bar erscheinen mussten. Und man wird ein-
sehen, dass die dreidimensionale Kunst der
Architektur in dieser Beziehung kein Hinder-
nis kennt, dass eine Lösung immer möglich
bleibt. Diese eine zu finden, ist freilich nur
die Sache grosser Meister. Und Messel ist
es geglückt.

Das Grundstück spielt in seiner Lage
die Rolle des Brückenkopfes, Das Gefühl
des Beschauers, der von Westen, also vom
Platz her, in die unabsehbar lange Leip-
ziger Strasse hineinschreitet, erwartet, schon
auf weite Entfernung diesen Anfangspunkt
aufs stärkste betont zu sehen, eine kraft-
volle Einleitung zu fühlen. Eine Auf-
gabe, die in Berlin schon unzähligemale
gegeben war, die aber, wenn man von dem
trivialen und bis zum Widerwillen wieder-
holten Eckturm-Motiv absieht, nirgends ernst-
haft gelöst worden ist. Abgesehen davon,
dass Messel ein solches abgetrabtes Mittel
nicht verwenden würde, verbot sich die Auf-
stellung einer steilen Vertikalen gegen den
Platz hin auch aus der ruhig-vornehmen, hori-
zontalen Gliederung all der Gebäude an
seiner Peripherie, weil sie das ganze Bild
des Baukomplexes förmlich aufgespiesst hätte.
Diese Erwägungen, dass die Front von
einigen zwanzig Pfeilern, wie sie an der
Leipziger Strasse an den älteren Teilen des
Gebäudes steht, nicht auf den Platz um-
biegen dürfe, dass ihn das revolutionieren
 
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