Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten (15.1904-1905)

Künstler und Perspektive.

PROF. JOSEF HOFFMANN—WIEN.

oberflächlich abgetan wird, nicht mehr zu
helfen. Der Fach-Mathematiker dagegen
weiss die Lehren zwar wohl zu begründen,
aber er versteht es nicht, sie in ein praktisches
Instrument umzuwandeln, das dem Künstler
solche Dienste zu leisten vermöchte wie
Pinsel und Meissel. Aber die Unkenntnis in
perspektivischen Dingen bei unsern Künst-
lern liegt auch an der ungleichen mathe-
matischen Vorbildung der Hörer an den Kunst-
akademien, deren Verständnis die Professoren
ihre Vorträge anpassen müssen. Man kann
wohl dreist behaupten, dass selbst bei der
klarsten Darstellungsform seitens der Pro-
fessoren von i o Hörern im allgemeinen höch-
stens zwei imstande sind, den Ausführungen
mit genügendem Verständnis zu folgen.
Die Ursache hierfür wiederum liegt, wie ich

Kaminpartie eines Salons.

glaube, in der Organisation unseres Schul-
wesens überhaupt. An den Volksschulen ist
das zu bewältigende mathematische Pensum
zu klein, an den höheren Schulen viel zu
gross. Die Volksschüler kommen in das
eigentlich wissenschaftliche Denken gar nicht
hinein, die Schüler der höheren Schulen
werden mit so vielem algebraischen Formel-
kram überfüttert, dass kaum noch Zeit für
Ausbildung des anschaulichen Denkens übrig
bleibt, und das um so weniger, als der Zeichen-
Unterricht, der den Mathematik-Unterricht
hier wesentlich unterstützen könnte, von den
Schulbehörden meist als ein Fach betrachtet
wird, das mit keiner Sache weniger zu tun
habe, als mit dem logischen Denken.

Soll daher an einer Kunstakademie mit
wirklichem Erfolg in Perspektive unterrichtet

127