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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Frank, Willy: Ein neues Grabmal von Hermann Obrist
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0174

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HERMANN OBRIST—MÜNCHEN.

Grabmal (Vorderansicht).

EIN NEUES GRABMAL VON HERMANN OBRIST.

Nicht ohne Widerspruch hat Hermann
Obrist den neuen Kunst-Prinzipien,
denen seine hauptsächlichsten Bemühungen
gelten, Durchbruch verschaffen können.
Seine Plastik hat sich bisher beinahe aus-
nahmslos von dem grossen Probleme der
menschlichen Gestalt fernegehalten und hat
dafür eine stummere, verhülltere Schönheit
aufgesucht als die, die in den bedeutungs-
vollen Linien und schimmernden Flächen
des menschlichen Körpers zu Tage tritt.
Obrist vertritt mit Energie die Ansicht, dass
es für die Kunst auch andere als organische
Formen gebe, dass sie auch von dem bereits
existierenden Tier- und Pflanzenleben ab-
sehen und abstrakte Dinge, Bewegungen
und psychologische Momente, gestalten
könne. Das unterscheidet seine Plastik einer-
seits von der bildhauerischen Menschen-Dar-
stellung, andererseits aber auch von der rein
ornamentalen Kunst. Denn seine Linien
haben einen tieferen Sinn als nur den einer
schmückenden Zutat, einer blossen Deko-
ration : sie wollen etwas gestalten, was sonst
dunkel und vermummt durch die Seele und
das Material geht, sie wollen Dinge nach-
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schaffen, die eine zwar abstrakte, darum
jedoch nicht weniger echte Realität besitzen.
Obrist hat daher zum Gegner niemand ge-
ringeren als den ungeheuren Anthropo-
morphismus, der die Seele jedes Menschen
von Natur beherrscht, der in der Kunst stets
organische Gegenstände sehen will und in
jedem Fall in der menschlichen Gestalt die
Krone aller künstlerischen Objekte erblickt.
Die versunkene, wortlose Schönheit von
Obrists Kunst findet vor diesem Richter-
stuhle höchstens eine nachsichtige, jedoch
selten eine anerkennende Beurteilung.

Und doch ist es Schönheit, was aus
diesen stummen, dunklen Linien an unser
Herz spricht. Wären sie nicht mehr als ein
verfehltes Experiment, wie könnten sie da
so energisch zum Nachschaffen, zum Ein-
dringen in ihren Sinn auffordern, wie wir
das besonders bei dem grossen Erbbegräb-
nis erleben, das Obrist im Auftrage der
Familie des Geheimen Kommerzienrat O.
hergestellt hat? Nur echte Schönheit kann
diese suggestive Kraft ausüben, nur Werke,
in die Vieles hineingearbeitet ist, geben die
Möglichkeit wieder so Vieles zu entdecken.
 
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