George Minne ■ St. JSIaertens-Laethem
BARON GEORGE MINNE—LAETHEM »DENKMAL GEORGES RODENBACH«
Künstler waltet, der ästhetische Empfindungen Er hat sie dargestellt, die zurückgezogenen
darstellt, sondern ein Mensch, durch welchen Jünglinge, welche erschauernd wie eine Blume
das Leben selber sich voller Schönheit offen- sich schließen vor der Unendlichkeit der Nacht,
bart. Man kann fast kein einziges Werk von die sich selber erhalten wollen, sich in sich
Minne aufweisen, das nicht direkt aus seiner selbst verbergen wollen; in sich in sich selbst
tiefsten Menschlichkeit entstanden ist. So, wie zurückgehen, wie eine Schnecke in ihr Haus,
die Jünglinge vom Springbrunnen, belauscht er „Der kleine Niedergekniete", „Der kleine Ver-
das Aufsprudeln des heiligen Brunnens in sich, wundete,, entsprechen dieser Lebensanschau-
voller Demut und frommer Ehrfurcht. Dieser ung, während der „St. Jan Baptist", aber be-
Narcis sucht nicht nur das Bild seines eignen sonders „Die Nonne" Äußerungen sind von der
Ichs zu unterscheiden, sondern vor allem das sich nach Gott sehnenden Seele. „Der Halb-
Wesen seines Innern zu betrachten, das Wesen erwachsene" (1902) ist ein pathetisches An-
allen Lebens. Wenn er sich aufrichtet und sich rufen des Lebens um die Tat der Erlösung aus
als Künstler ausspricht, ist alles Individuelle der inneren Verzweiflung. Aber erst 1928 be-
von ihm abgefallen und nur das große Mensch- kommen wir im „David" das Bild der selbst-
liche ist geblieben. Er gestaltet in aller Einfach- bewußten Kraft, die es wagt, dem Lebensriesen
heit, was er sieht, nicht das Lebensbild des mit ruhigem Stolz entgegenzutreten. Es gibt
Realisten, welches nur Schein ist, nicht das des keine Unentschlossenheit beim Helden, keine
abstrahierenden Denkers, welches eine Formel Lebensfurcht und keine Seelenreue, sondern
ist, sondern das Lebensbild des Propheten, das die Sicherheit des Starken, der sich selbst in
einzige wahre, welches in jeder Formbegren- seiner Macht hat und sich wie Christophorus
zung eine Offenbarung des unbegrenzten Welt- in Dienst des Stärksten stellte,
alls ausspricht. Er kennt die Tragik der Seele, Der Entwicklungsgang von George Minne,
die nach Freiheit dürstet, die sich eingekerkert so, wie wir ihn in seinem Wesen erfassen kön-
fühlt im Individuum. Aber, er kennt auch nen, ist ein Läuterungsweg durch die Leiden
die Tragik des Ichbewußtsein, welches das kos- eines Schopenhauerischen Lebensverneinens
mische Ewige drohend um sich sieht; der tiefe bis zur Lebensbejahung. Die „Mütter" aus
Abgrund, der es einst verschlingen wird. dem Jahre 1886 tragen tote Kinder auf ihren
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BARON GEORGE MINNE—LAETHEM »DENKMAL GEORGES RODENBACH«
Künstler waltet, der ästhetische Empfindungen Er hat sie dargestellt, die zurückgezogenen
darstellt, sondern ein Mensch, durch welchen Jünglinge, welche erschauernd wie eine Blume
das Leben selber sich voller Schönheit offen- sich schließen vor der Unendlichkeit der Nacht,
bart. Man kann fast kein einziges Werk von die sich selber erhalten wollen, sich in sich
Minne aufweisen, das nicht direkt aus seiner selbst verbergen wollen; in sich in sich selbst
tiefsten Menschlichkeit entstanden ist. So, wie zurückgehen, wie eine Schnecke in ihr Haus,
die Jünglinge vom Springbrunnen, belauscht er „Der kleine Niedergekniete", „Der kleine Ver-
das Aufsprudeln des heiligen Brunnens in sich, wundete,, entsprechen dieser Lebensanschau-
voller Demut und frommer Ehrfurcht. Dieser ung, während der „St. Jan Baptist", aber be-
Narcis sucht nicht nur das Bild seines eignen sonders „Die Nonne" Äußerungen sind von der
Ichs zu unterscheiden, sondern vor allem das sich nach Gott sehnenden Seele. „Der Halb-
Wesen seines Innern zu betrachten, das Wesen erwachsene" (1902) ist ein pathetisches An-
allen Lebens. Wenn er sich aufrichtet und sich rufen des Lebens um die Tat der Erlösung aus
als Künstler ausspricht, ist alles Individuelle der inneren Verzweiflung. Aber erst 1928 be-
von ihm abgefallen und nur das große Mensch- kommen wir im „David" das Bild der selbst-
liche ist geblieben. Er gestaltet in aller Einfach- bewußten Kraft, die es wagt, dem Lebensriesen
heit, was er sieht, nicht das Lebensbild des mit ruhigem Stolz entgegenzutreten. Es gibt
Realisten, welches nur Schein ist, nicht das des keine Unentschlossenheit beim Helden, keine
abstrahierenden Denkers, welches eine Formel Lebensfurcht und keine Seelenreue, sondern
ist, sondern das Lebensbild des Propheten, das die Sicherheit des Starken, der sich selbst in
einzige wahre, welches in jeder Formbegren- seiner Macht hat und sich wie Christophorus
zung eine Offenbarung des unbegrenzten Welt- in Dienst des Stärksten stellte,
alls ausspricht. Er kennt die Tragik der Seele, Der Entwicklungsgang von George Minne,
die nach Freiheit dürstet, die sich eingekerkert so, wie wir ihn in seinem Wesen erfassen kön-
fühlt im Individuum. Aber, er kennt auch nen, ist ein Läuterungsweg durch die Leiden
die Tragik des Ichbewußtsein, welches das kos- eines Schopenhauerischen Lebensverneinens
mische Ewige drohend um sich sieht; der tiefe bis zur Lebensbejahung. Die „Mütter" aus
Abgrund, der es einst verschlingen wird. dem Jahre 1886 tragen tote Kinder auf ihren
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