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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 68.1931

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Michel, Wilhelm: Kunstausstellung Mathildenhöhe Darmstadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.9248#0296

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Kunstausstellung Matliildenhöhe Darmstadt

Darmstädter Sezession eine unumschriebene
Gesamthaltung, bei der man höchstens gefühls-
mäßig ein Ausgehen vom deutschen Expressio-
nismus feststellen kann. Dazu gesellte sich noch
die Frauengruppe des „Dreistädtebundes" und
einige kleinere Vereinigungen.

Für den Kenner der hessischen Gegenwarts-
kunst gibt es beim Durchwandern der Ausstel-
lung manche erfreuliche Beobachtung in bezug
auf das geistige und künstlerische Weiterkom-
men der einzelnen Persönlichkeiten. So sieht
man bei Alexander Posch, dem Führer der
„Darmstädter Gruppe", ein unverdrossenes,
zähes Streben nach völliger Neugestaltung der
Palette am Werk. Er bringt diesmal wertvolle
porträtistische Arbeiten. Die ganze „Gebung"
ist in der koloristischen und formalen Zeichen-
setzung viel frischer als früher, die Sprache ist
von wechselnden Lichtern belebt, die Töne
ordnen sich um kräftige Dominanten (wie um
das schöne Rot im Selbstbildnis), alles ist trok-
kener, bestimmter und momentaner als vordem.
Auf den jungen Offenbacher Adolf Bode hat
eine Pariser Studienreise wie Champagner ge-
wirkt, so prickelnd und warmherzig ist seine
Kunst von dort zurückgekehrt. Sie hat dort
sozusagen die direkte Rede gelernt, die spritzige
Andeutung, die nette, kecke Gesamtfassung,
die heitere Lust am Augenblick. Zu den Land-
schaften, die geistreich und dichterisch eine
Straßenecke, ein Stadtbild, ein im Schnee ver-
grabenes Dorf schildern, treten hier Menschen-
darstellungen, wie die „Mädchen in der Bar";
farbig ein wunderhübsches Gefüge aus samt-
igem Braun mit Olivgrün, stumpfem Rot, Blau-
grün und einem grellgeschminkten Mund als
Hauptakzent, das Ganze mit Renoir'schem Ap-
petit gesehen, nicht ohne daß eine gewisse
Schärfe aus französischem Illustratorengeist
darüber läge. Erich Martin, gleichfalls aus
Offenbach (wo überhaupt gegenwärtig ein an-
geregtes künstlerisches Schaffen lebt), zeigt sich
in dem „Mädchenbildnis", das ganz in Braun
und Weiß liegt, mit wenigen zartblauen Spuren,
von der Seite zärtlichsten Empfindens. Es liegt,
ohne daß man von äußerer Anknüpfung spre-
chen könnte, ein ähnlicher Klang vor wie in
den frühen Menschenschilderungen Picassos.
Marcel W. Richter (Darmstadt) ist in seinen
Landschaften, namentlich einem Sandbruch,
hell, gediegen und heiter wie bisher, während
Richard Walter, früher intim und liebenswür-
dig, in seinen neuesten Arbeiten mit den schwe-
ren, rußigen Farben keine günstige Entwick-
lung zu nehmen scheint.

Dem Weg Reinhold Ewalds ist nicht ganz
leicht zu folgen. Sein früheres ausschließliches

Interesse an der Form und dem Bildaufbau tritt
heute hinter dem Interesse für die „Taten des
Lichtes", die Farbenspiele, zurück. Vom Lido
und vom Mainufer stammen diesmal seine Mo-
tive. Man sieht Menschengestalten in reich-
fließendem Licht und samtigem, sehr farbigen
Schatten, als Haupttöne Rosa, Grün, Lila, die
Gesamtstimmung weich und gelöst, fast etwas
schmachtend und bühnenmäßig. Arthur Grimm
(Baden-Baden) ist mit einigen seiner malerisch
interessanten Landschaften vertreten, Karl
Gunschmann mit Bildnissen, HermanKeil
mit einer Tänzerinnen-Gruppe. Der junge Darm-
städter Gottfried Diehl hat eine sehr strenge,
scharfe Art der Menschenschilderung, die man
dem „magischen Realismus" zuweisen könnte,
weil sie einen Hintersinn von düsterem Fana-
tismus mit sich führt. Sein Herrenbildnis bewegt
sich zwischen olivgrün, graublau, terrakottrot
und gelb; in Linie und Ausdruck herrscht Ge-
spanntheit. Der Bildhauer Well Habicht zeigt
seine „Sportlerin", die kürzlich an dieser Stelle
reproduziert war, zwei seiner famosen Tier-
Majoliken und eine Klinkerplastik, die von
den schönen Möglichkeiten dieser von ihm er-
fundenen Technik einen Begriff gibt. Sehr viel-
versprechend sieht eine Anfängerarbeit, die
„Sitzende Frau" der jungen Darmstädter Bild-
hauerin Lotte Rose — einer Schülerin von
Well Habicht — aus, merkwürdig fein und
suggestiv im Körpergefühl und Bewegung, die
Formen des Aktes vielleicht etwas summarisch,
aber der Kopf eine plastische Studie von her-
vorragender, lebensvoller Gekonntheit. Ein de-
likates Stück Malerei ist Willy Reues „Anger-
meyerstraße in Schwabing ", ein Straßeneinblick,
der sich an Rasenflecken, alten Zäunen, schie-
fen Hütten mit intimer Freude am Raum und
Detail entlang tastet. Aus französischen Anreg-
ungen, namentlich im Farbengeschmack, bestrei-
tet Fritz Gils seine Landschaften und Figuren.
Eine Landschaft mit Eisenbahnbrücke ist dafür
besondersbezeichnend: AlleFarben weitgehend
mit einem Grau geschwächt, das sich seit Corot
auf der französischen Palette erhalten hat, die
künstlerische Substanz etwas dünn, der Ge-
samteindruck aber recht geschmackvoll. Von
dem Mainzer K u f i 11 i c h, der mit der „Darm-
städter Gruppe" ausstellt, sind belebte Abbil-
dungen südländischen Straßenlebens da, in
einer lockeren, spritzig - geistvollen Malerei.
Unter den plastischen Arbeiten sind noch der
frisch gegebene Musikerkopf (Willem de Haan)
mit der lichtfangenden, gekörnten Oberflächen-
behandlung von Fanny Wolfskehl, sowie die
stehende Mädchenfigur des Binger Bildhauers
Fritz Schwarzbeck verdienstlich, letztere in
 
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