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Ness, Wolfgang
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 10, Teil 2): Stadt Hannover — Braunschweig, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.44415#0120

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Dazu gehörte der Bau ansehnlicher öffent-
licher Gebäude (z.B. zwei Rathäuser: 1882,
1897), die Gründung von Höheren Lehranstal-
ten in Linden-Mitte und die Planung repräsen-
tativer Straßen und Plätze. Es folgten Bestim-
mungen zur Fassadengestaltung, auf deren
Einhaltung besonders in den „Hauptstraßen“
geachtet wurde. Durch den Ankauf zusam-
menhängenden Geländes (z.B. ehemaliger
Küchengarten, Minister-Stüve-Straße, Quar-
tier um den Bethlehemplatz, Pfarrlandplatz),
das einheitlich beplant und nur unter verpflich-
tenden Auflagen zur Lage (teilweise Vorgär-
ten), zur Fassade (ansprechender Dekor, hel-
le Farbgebung) und zur Wohnungsgröße
(mindestens 4 Zimmer, Bad) an Bauwillige ab-
gegeben wurde, sicherte sich die Stadt - oh-
ne Bauherr zu sein - ihren Einfluß auf das
Stadtbild. Gleichzeitig ließ sie jedoch eine typi-
sche großstädtische Bauverdichtung zu, denn
das System erlaubte den spekulierenden
Bauherren eine hohe Grundstücksnutzung:
Bis 1896 reichte V* der Parzelle für Hoffläche
aus; die anschließend vom Lindener Magistrat
erlassene Not-Bauordnung steigerte den Hof-
anteil auf 73. Das führte - trotz der Einwände
der „Stadthygieniker“ - zu weitgehender

Überbauung der Grundstücke durch rückwär-
tige Flügel, gewerbliche und bewohnte Hinter-
häuser (z.B. Kochstraße, Weberstraße). Es
entstand ein Häusermeer an relativ engen
Straßen mit schmalen Höfen ohne Grün
(„Steinernes Linden“) in unmittelbarer Nach-
barschaft der emittierenden Fabriken und Ge-
werbebetriebe.
Noch einmal einen Blick auf die historische
Ansicht des Merianstiches und auf das aktuel-
le Panorama: Schon der Vergleich läßt ahnen,
daß das historische Dorf nicht nur überformt,
sondern bis auf ganz wenige Relikte in der 2.
Hälfte des 19. Jh. und im 20. Jh. eleminiert
wurde, und daß sich hier nebeneinander
Denkmale der bürgerlichen Repräsentation,
einzelne Fabriken, vor allem aber Architektur
für Werktätige finden.
LINDENER BERG
Im Mittelalter ließen sich von hier die Zufahrts-
straßen kontrollieren; als sich die aufstreben-
de Marktsiedlung Hannover im 14. Jh. mit ei-
ner Landwehr sicherte, baute man 1392 auf
der kahlen Kuppe des Hügels eine Warte, die
das älteste vorhandene Bauwerk in Linden

Am Lindener Berg 44, Friedhof, Brunnen


Am Lindener Berg 27, Wasserhochbehälter, 1876/78, Architekt 0. Wilsdorf


Am Lindener Berg 27, Wasserhochbehälter,
1876/78, Architekt O. Wilsdorf


Am Lindener Berg 29, ehern. Wartturm/
Windmühle


darstellt (Am Lindener Berg 29). Nach dem
Dreißigjährigen Krieg verfügte Herzog Georg
Wilhelm die Einrichtung einer Mühle mit dreh-
barer Kappe - die erste mit holländischer
Technik in Hannover - in dem inzwischen
längst aufgegebenen Wartturm. Diese Mühle
löste 1651 die Calenberger Amtsmühle als
Zwangsmühle für Linden und die umliegen-
den Dörfer ab, sie wurde 1856 privatisiert und
1927 stillgelegt. Die heutige Anlage besteht
aus einem runden, aus Kalkbruchsteinen auf-
gemauerten Turm - der eigentlichen Warte -
mit einspringendem verputztem Obergeschoß
und flachem kegelförmigen Dach. Der einge-
schossige umlaufende Anbau stammt aus
dem 19. Jh. Der Kalkstein, aus dem der Turm
besteht, kam vermutlich aus den Steinbrü-
chen, die am Osthang des Lindener Berges la-
gen (vgl. Merianstich). Spätestens seit dem
14. Jh. gewannen hier die Stadt Hannover, der
Landesherr und andere Interessenten Mate-
rial für ihre verschiedenen Bauvorhaben. Kalk
wurde seit dem späten 17. Jh. in einem gräfli-
chen Brennofen hergestellt. 1803 pachtete
Johann Egestorff die gräfliche Kalkbrennerei.
Er brachte nach und nach fast den ganzen Lin-
dener Berg mit Steinbrüchen und weiteren
Kalkofen an sich und legte so den Grundstock
für seine zahlreichen Unternehmungen. Im
späteren 19. Jh. lohnte sich der Betrieb offen-
bar nicht mehr; das zerklüftete Gelände wurde
zugeschüttet und zum „Volkspark Linden“ mit
Kampfbahn (eröffnet 1922) umgestaltet: heu-
te Lindener Stadion und umgehende Grünan-
lagen mit 1935 gesetztem Egestorffdenkmal
von Georg Herting. Etwas weiter östlich mar-
kiert der Mauerrest (1718) die historische
Grenze zum ehemaligen gräflichen Park.
Der Lindener Berg hatte für die Stadt Hanno-
ver nicht nur als Warte und Steinbruch Bedeu-
tung: Da sowohl im Dreißig- als auch im Sie-
benjährigen Krieg feindliche Heere von hier
aus die Residenz angegriffen hatten, ließ
1761 Prinz Friedrich August von Braun-
schweig als Verteidigungsmaßnahme die ver-
schwundene Stern- oder Georgenschanze
um die Mühle aufwerfen. Nach den Befrei-
ungskriegen schlug G.L.F. Laves u.a. den Lin-
dener Berg als Standort für ein Waterloo-Mo-
nument vor, das aber schließlich am Water-
looplatz entstand (vgl. Hannover Teil I, S. 91).
Eine andere Planung wurde dagegen reali-
siert: Spekulierend auf das moderne bürgerli-
che Bedürfnis nach Landpartien ließ J. Ege-
storff 1825 auf der Kuppe neben der Mühle
durch Laves das sogenannte „Berghaus“, ein
Ausflugslokal für die hannoverschen Bürger,
errichten.
Dieses Gebäude mußte 1876 dem Hochbe-
hälter (Am Lindener Berg 27) weichen, der als
Reservoir für die erste hannoversche Frisch-
wasserleitung 1878 eingeweiht wurde. Das
Wasser, in der Ricklinger Marsch gewonnen,
wurde mit Hilfe von Pumpen (das alte Pum-
penhaus in der Stammestraße, Ricklingen,
1974 abgerissen) auf den Lindener Berg
transportiert und von hier zentral in das Lei-
tungsnetz Hannovers und einiger Lindener
Straßen abgegeben. Die Anlage ist nach
jüngst erfolgter vollständiger Sanierung und
Entkernung wieder in Betrieb. Erhalten blieb
weitgehend die architektonische Gestaltung
nach Plänen Otto Wilsdorfs, der dem breit auf

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