Hildesheim, Marktplatz mit Rathaus und Tempelhaus
Nachkriegsbebauung verschwand die parallel
zum Hohen Weg verlaufende schmale Gasse
„der Hoken“, der bis dahin auch einen nord-
westlichen Zugang vom Hohen Weg besaß, in
der heutigen Zeit erhielt dieser „Hinterhof“ eine
nördliche und südliche Zufahrt von der Rat-
haus- und Marktstraße. Als einzige Gebäude
überstanden, wenn auch mit schweren Schä-
den, das Rathaus und das Tempelhaus den
Zweiten Weltkrieg. Zusammen mit dem nach
heftigen Kontroversen in den 80er Jahren des
20. Jh. rekonstruierten Marktensemble bilden
beide Gebäude heute den Mittelpunkt und die
bekannteste Traditionsinsel der Stadt.
Die parallel in Ost-West-Richtung zueinander
verlaufenden Straßenzüge Markt- und Rathaus-
straße umschreiben eine langgezogene, recht-
eckige Platzfläche. Durch die Einfügung des
Rathausgebäudes entstand an der Westseite
der Marktplatz. Die Rathaus- und Marktstraße
steigen nach Osten vom Hohen Weg zum
Marktplatz deutlich an wie der gesamte östliche
Innenstadtbereich. Auch beim Hohen Weg
nach Süden in Richtung Schuhstraße ist dieser
Höhenunterschied ebenso deutlich nachvoll-
ziehbar wie an der weiter südlich liegenden
Kreuzstraße.
Rathaus und Tempelhaus gehören zu den weni-
gen überkommenen Relikten des Mittelalters in
der Hildesheimer Altstadt. Wenn auch die
Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges nicht
spurlos an ihnen vorübergegangen sind, so ist
doch das aufgehende Mauerwerk weitgehend
in der historischen Bausubstanz erhalten.
Altstädter Rathaus
Geprägt wird der Marktplatz nach Osten durch
die Fassade des während der Bombardierung
1945 ausgebrannten Rathauses, Markt 1. Der
heutige Sandsteinbau aus Quader- oder
Bruchsteinmauerwerk mit seinen An- und
Umbauten aus verschiedenen Epochen ist aber
in seinem Kern wohl gegen 1325 entstanden,
wobei möglicherweise ein Vorgängerbau aus
dem 13. Jh. existierte. Größere Umbauarbeiten
erfolgten in der 1. Hälfte des 15. Jh. und durch
Stadtbaumeister G. Schwartz in den Jahren
1883-92. Auch nach dem 1954 abgeschlosse-
nen Wiederaufbau präsentiert sich die drei-
teilige Fassade in ihrer Gesamtwirkung durch-
aus heterogen. Der mittig angeordnete und
hoch aufragende Stufengiebel mit den hohen
Arkaden und Maßwerkfenstern dominiert die
Fassade. Unterschiedliche Fensterformen glie-
dern die Fassadenabschnitte, schlicht gehalten
und symmetrisch die des nördlichen Ab-
schnittes, gestufte Maßwerkfenster den Trep-
pengiebel und Rundbogenfenster die beiden
südlichen Giebel. Allein die Arkatur des Erdge-
schosses verläuft durchgängig, wenn auch mit
unterschiedlichen Scheitelhöhen. Auf ältere
Bauteile verweisen die an der Ostseite des
nördlichen Arkadenganges erhaltenen Konso-
len, Gesimse, Fenster- und Türlaibungen. Ur-
sprünglich befand sich unter den im Kern mittel-
alterlichen kreuzrippengewölbten Arkaden die
Gerichtslaube. Die drei mittleren Arkadenjoche
mit dem Treppengiebel wurden vermutlich 1565
auf ihre heutige Höhe angehoben, wie der
datierte Schlussstein des Kreuzrippengewölbes
ausweist. An den merkantilen Ursprung des
Rathauses erinnern noch die beiden ins Mau-
erwerk eingelassenen Längenmaße, das so
genannte Garnmaß, ein eiserner Maßstab vor
einem der westlichen Strebepfeiler, und zwei
Maßpunkte zur Marktstraße, unmittelbar vor der
Nordostecke mit der Inschrift: „Dat is de garen
mathe“. Der südliche Bereich des Rathauses ist
wohl in das frühe 15. Jh. zu datieren, der mitt-
lere Teil ist auf den Umbau 1443-44 zurück-
zuführen. Die Traufseiten sowie der südöstliche
Turm gehen auf den Rathausumbau im 19. Jh.
zurück, ebenso der Treppengiebel des Mittel-
teiles zum Marktplatz. Beim Wiederaufbau
verzichtete man sowohl auf den barocken
Uhrenturm wie auch auf den dreigeschossigen
Standerker in Fachwerk vor der nördlichen,
heute wieder offenen Arkade. Dominiert wird
die gesamte Westfassade zum Marktplatz von
dem in Form eines Treppengiebels gestalteten
repräsentativen Mittelteil. Ursprünglich ein
Relikt der Umbaumaßnahmen des 19. Jh. ent-
schied man sich nach 1945 unter Beibehaltung
der überkommenen Fassadengliederung des
Süd- und Mittelbaus zu einem vereinfachten
Wiederaufbau. In seiner heutigen Gestaltung
gehen die beiden mittleren Fassadenabschnitte
zur Markt- und Rathausstraße weitgehend auf
den Wiederaufbau bis 1954 zurück. Die
östliche Fassade des Rathauses wird zum Platz
„An der Lilie“ von zwei nahezu ohne Kriegs-
schäden erhaltenen Türmen flankiert. Dazwi-
schen schiebt sich die in den 50er Jahren des
20. Jh. geschaffene, geräumige Halle mit dem
Großen Ratssaal im Obergeschoss, die eine
gemeinsame Glasfassade erhielten. Beim nord-
östlichsten Rathausturm, der „Lilie“, handelt es
sich sicherlich um den ältesten Teil des
Rathauses aus der 2. Hälfte des 13. Jh. Mit
seinen ungewöhnlich starken Mauern von zwei
Metern könnte der Turm möglicherweise ein
Relikt der ehemaligen Ostbefestigung sein. An
den Turm schlossen sich bis in die 2. Hälfte des
19. Jh. Bürgerhäuser an, deren steile Dachlinie
sich noch heute im Mauerwerk abzeichnet. In
Analogie zur „Lilie“ verlängerte man im Zuge der
Umbaumaßnahmen Ende des 19. Jh. den Süd-
flügel mit dem Bau des zweiten Rathausturmes.
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