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Ephron, Walter; Strzygowski, Josef <Prof. Dr.>; Bosch, Hieronymus [Hrsg.]
Hieronymus Bosch - Zwei Kreuztragungen: eine "planmässige Wesensuntersuchung" — Zürich, Leipzig, Wien, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.29309#0014
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hauptung genommen werden dürfte, als eine willkürliche Annahme, die wenig
Wahrscheinlichkeit für sich habe. Und doch versteht man nur aus dieser Ein-
heit heraus schon das Gewächs des gotischen Domes mit seiner Ausstattung
am Dachrande mit Tieren, der freien Endigung in der Dachbildung und den
Menschengestalten an den Torwänden, in denen zum ersten Mal aus dem
landschaftlichen Empfinden des Gesamtaufbaues heraus seelischer Gehalt in
die innere Gestalt gegossen erscheint. Geertgen in seinem Berliner Johannes
weist den Weg, der zu der eigensinnig verbohrten Nordnatur des H. Bosch
führt.

Lage

Der Künstler ist außer allem Zweifel ein Künstler des Nordens, ob wir nun
vom Über- oder Nebeneinander der Kreuztragung ausgehen. Das Übereinander
sieht deshalb älter aus, weil es die Bildfläche der Höhe nach in zwei Reihen
vollstopft mit menschlichen Gestalten; trotzdem sind Reste der Landschaft
und vielleicht ein Spalt in der Breite geblieben, der im Nebeneinanderbild unge-
fähr rechts da durchgeht, wo der Nachahmer die Bodenlinie für die Christusgruppe
angenommen hat. Die Landschaft war also da und zeugt für den schöpferi-
schen Meister, der sie als Handlungsraum im Nebeneinander geschaffen hat.
Daß es sich um eine Übergangszeit handelt, wird erst recht deutlich dadurch,
wie ein Nachahmer diese bahnbrechende Schöpfung überhaupt wieder in die
hergebrachte Art in Streifen übereinander ohne die voll dazugehörige Land-
schaft zurückversetzen konnte. In Rembrandts Zeit wäre das nicht mehr
möglich gewesen.

Der späte Abend, der vor der noch ziemlich hoch liegenden Gesichtslinie des
Nebeneinanderbildes im Hintergrund aufleuchtet und die düstervonSturmvögeln
begleitete Wolke von unten her bescheint, läßt den Torturm in schumm-
rigem violettem Lichte und dunklem Umriß erscheinen und die Einzelheiten
über dem Gerichtszuge (in seinem Eigenlichte) sich grell abheben von der lichten
Abendstimmung des Himmels: die Leiter, das Wimpel und die Galgen des Hoch-
gerichtes. Sehr seltsam sind die hellen Lichtflecke in der Landschaft über der
Christusgruppe, künstlerische Einfügungen in eine sonst durchaus naturgetreue
Landschaft, die dem Künstler Bosch ebenso eigen sind wie anderes in innerer
Gestalt und seelischem Gehalt.

Solche Seltsamkeiten wären weiter südlich um diese Zeit nicht mehr möglich.
Dürer schafft um die gleiche Zeit etwa seine drei bekanntesten Kupferstiche im
Gegensatze zu Bosch: ein geläuterterErnst durchsetztLandschaft wie Ausdruck.
Bei Bosch dagegen ist wie später bei Rembrandt alles viel ungeschliffener, d. h.
unmittelbarer aus der nordischen Vollblutnatur heraus geschöpft.

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