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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0058
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Die St. Lorenzkirche in Nürnberg.

Füvbitter für das sündige Menschengeschlecht, aus einer Glorie fahren Engel herab mit Posaunenschall
das jüngste Gericht verkündigend; darunter zur Linken die Gerechten in das Paradies eingehend, zur
Rechten die Verdammten von Teufeln an einer Kette in den Höllenrachen geschleift; unter dieser Reihe
die Auferstehung der Todten in den mannichfaltigsten Gruppen. In den Hohlkehlen der Portalschmiege wird
durch vier Darstellungen die Leidensgeschichte des Heilands vervollständigt; diese Darstellungen befinden
sich mit den Darstellungen der Passion im Tympanon des Spitzbogens in gleicher Höhe; in der ersten
Kehle links Christus am Oelberg, in ihrem Gegenüber die Himmelfahrt; in der zweiten Kehle links Judas
Verrath; ihr gegenüber rechts fehlt die Gruppe, sie stellte das Pfingstfest der Jünger dar. Der übrige
Theil der Hohlkehlen des Spitzbogens des Portals wird von Figuren eingenommen, in der äusseren Kehle
die Propheten, in der inneren die Apostel. Diese Figuren sind im Allgemeinen sämmtlich kurz, das
Nackte ist incorrect, und die Ausführung ist nicht sehr sorgfältig. In dem unteren Theile der Hohlkehlen des
Portals befinden sich die lebensgrossen Statuen Adam's und Eva's und zweier bärtiger Männer, die eben
so wie die vier zur Seite der Thür angebrachten Statuen wahrscheinlich Propheten darstellen sollen. An
dem Mittelpfosten der Thür ist die Statue einer Mutter Gottes aufgestellt. So wurde durch diese Dar-
stellungen den Gläubigen, die nicht lesen konnten, gleich bei ihrem Eintritt in das Gotteshaus eine Bibel
in Bildern vorgeführt. Diese untere Abtheilung des Portalbaues ist über einem Blätterfriese und Kranz-
leisten mit einem schön durchbrochenen Geländer gekrönt, das in seiner jetzigen Gestalt von dem Stein-
hauermeister Capeller unter HeideloiFs Leitung verfertigt wurde. Unter demselben und in der Höhe des
Gipfels des Portals befindet sich zur Linken desselben das Wappenschild der Nassaue (indess ohne die
Schindeln), zur Rechten ein anderes Wappenschild mit dem deutschen Reichsadler, der jedoch in seiner
ursprünglichen Bildung, nämlich mit einem Kopfe erscheint, und darauf hindeutet, dass dieser Bau einer
deutschen Reichsstadt angehört; die freien deutschen Reichsstädte nämlich durften den Adler im
Wappen führen.

Das Wappenschild zur Linken dürfte allerdings auf einen Nassau als Erbauer der Kirche oder wenigstens
dieses Portals derselben hindeuten; doch darf es allein noch keinen Grund für diese Bestimmung abgeben,
da es auch später eingesetzt worden sein kann als die Sage, dass Kaiser Adolph von Nassau der Erbauer
der Kirche gewesen, schon allgemeine Verbreitung und Annahme gefunden hatte.

Ueber dem Portal findet sich die Wand der Facade etwas zurückgesetzt, so dass sich zwischen ihr und
dem zuvor erwähnten Brüstungsgeländer eine Gallerie bildet. Diese zweite Abtheilung des Portalbaues bildet
ein Quadrat, das gänzlich von dem sogenannten „Stern," einer schönen Fensterrose mit überaus schöner
Einfassung eingenommen wird. Der Mittelpunkt dieser Fensterrose liegt gegen 67 Fuss über dem Boden;
der Durchmesser derselben beträgt nahe an 17 Fuss ohne die reichverzierte Einfassung, die die Rose
umgiebt und eine Breite von 7 Fuss hat, so dass der Durchmesser des ganzen Kreisrunds derselben
31 Rheinl. Fuss beträgt. Die Rose selbst ist im Achteck construirt, und besteht aus acht sich stets in
wechselnder Lage wiederholende Durchbrechungen in Gestalt von Spitzbogenfenstern, welche zwischen
sich an ihrem oberen Ende acht Rosen und in der Mitte einen Stern haben. Die dreieckigen Felder
oberhalb der grossen Rose sind mit den Bildern von Sonne und Mond und den unter dem eben nicht gut
gewählten Namen „Fischblasen" bekannten Verzierungen ausgefüllt. — Ueber dieser mittleren Partie
des Portalbaues erhebt sich, nur durch ein niederes mit Ranken und Blumen verziertes Gesims getrennt,
unmittelbar der Giebel, in dessen Mitte sich ein viereckiges und übereck gestelltes schlankes Thürmchen
hervorbaut, in dem sich eine kleine Treppe befindet, die zu den in drei Abtheilungen gallerieenartig über
einander gebauten Logen führt. Die im Spitzbogenstyl reich verzierten Oeffnungen derselben werden durch
sechs äusserst schlanke übereck gestellte Thürmchen geschieden, welche vor der Giebelmauer in Relief
vortreten und mit dem aufsteigenden Giebel an Höhe zunehmen. Die Spitze des in der Mitte befindlichen
Thürmchens enthält das sogenannte silberne Glöckchen, das Konrad Imhof Cf 1519) gestiftet. Die schrägen
Seiten des Giebels werden von einem rautenförmig durchbrochenen Bande eingeschlossen, das an dieser
Stelle eine sehr pikante Wirkung macht.

Durch die grosse Fensterrose unterscheidet sich die westliche Facade der Nürnberger St. Lorenzkirche
sehr von denen anderer deutschen Kirchen des XIV Jahrhunderts, die dieselbe nur selten aufweisen; die-
selbe ist jedoch bei den französischen Kathedralen des XII und XIII Jahrhunderts eine fast stereotype
Form'); indessen unterscheidet sich die Rose unserer Kirche von den französischen durch die Art ihrer

') Am frühsten erscheint dieselbe an dem Giebel der Kirche S. Etienne zu Beauvais, dessen Erbauung zwischen 1070 und
1080 fällt. L. L.
 
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