Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Gartenkunst — 9.1907

DOI article:
Schultze-Naumburg, Paul: Naturverschönerung
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22777#0031

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
IX, 2

DIE GARTENKUNST

23

Abb. 17. Gegenbeispiel zu Abb. 16.

erstanden. Aber wie selten ist heute so etwas! Das
Turmunkraut, das heute überall auf unsern Bergen
wuchert, sieht meist so aus wie Abb. 19. Ohne diese
beinahe krankhaft zu nennenden Formen scheint unserm
Spiefsbürger und gar manch einem, der kein Spielsbürger
sein sollte, ein Aussichtsturm nichts Rechtes zu sein. Und
doch müfste das natürliche Empfinden ihnen sagen, dafs
nirgendsmehr, als auf diesen exponierten Bergspitzen, ge-
schlossene Ruhe und mächtige Gedrungenheit erste An-
forderung ist. Als zweite, ja kaum minderwertigere For-

derung müfste hinzutreten, dafs der richtige
Mafsstab für das ganze Bauwerk gewählt wird.
Die Sünden, die gerade hierbei, auch von sonst
bedeutenden Künstlern, bei Türmen und Berg-
denkmälern begangen werden, sind gar nicht
aufzuzählen. Es ist doch sehr leicht einzu-
sehen, dafs, je gröfser das'Bauwerk auf dem
Berge ist, um so kleiner der'Berg erscheinen
mufs. Die Mächtigkeit des Eindrucks hängt
durchaus nicht mit der absoluten Gröfse des
Bauwerks zusammen, sondern im Gegenteil
scheint ein Wachsen der Gröfse des Baues
über dieses Mafs hinaus dem Gesamteindruck
eine gewisse Kleinlichkeit aufzudrücken.") Die-
ses nirgends Mafshaltenkönnen ist ja ein
allgemeines Kennzeichen unserer Zeit, nicht
nur im allgemeinen, sondern a,uch der ge-
samten Architektur im besonderen. Doch

Abb. 18.

bleiben wir hier beim Aussichtsturm. Bei der Bestimmung
seiner Gröfse genügt es ja vollkommen, wenn er hoch
genug ist, um über die ersten Hindernisse des Vorder-
grundes hinwegblicken zu können. Bei höheren Bergen,
denen der Hochwald mangelt, genügt es zumeist, den
freien Ausblick über Unterholz und die kleinen Terrain-
unebenheiten zu gewinnen. Als ein Beispiel von feinem
Takt hierfür zeige ich auf Abb. 20 den kleinen Aussichts-
turm auf der Hornisgrinde im Schwarzwald, dessen primi-
tiver Form und sogar der Seltsamkeit seines Aufstieges
eine gewisse Gröfse, trotz absoluter Kleinheit, nicht er-
mangelt. Dabei hat die hohe Architektur noch keinen
Finger gerührt, sondern es ist eigentlich alles schlichtes
Maurermeisterhandwerk, wie es sich gehört; und wie
prächtig sitzt das Spitzchen oben über den mächtigen Ein-
öden und Moorflächen des Hochplateaus, wenn man es
von den Nachbarbergen aus sieht. Wie steigert es den
Eindruck des Öden, Gewaltigen dieses Berglandes. Aber
wer weifs heute noch etwas davon! In Deutschland

*) Man denke z. B. an die Hotelkasernen auf manchen
Abb. 19. Gegenbeispiel zu Abb. 18. Bergen!
 
Annotationen