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Die Gartenkunst — 9.1907

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Forsyth Johnson, J.: Die Grundzüge der Gartengestaltung, [1]: Hinweise, wie man die natürlichen Schönheiten von Gebüschen und Waldungen in Erscheinung treten lassen kann
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https://doi.org/10.11588/diglit.22777#0052

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46

DIE GARTENKUNST

IX, 3

beherrschen. Das "Ziel ist, unter Verbergung alles Un-
schönenjdie natürlichen Effekte zu erschließen und Woh-
nungen, Wege usw. mit landschaftlichem Leben zu umgeben.

Die Beobachtungsstellungen, welche die weitesten
und ausgedehntesten Sichten bieten, sind die zuerst zu
berücksichtigenden und werden Hauptpunkte genannt. Nicht
immer sind die höchsten und die tiefsten Punkte die besten
für die Beobachtung. Im Hochland sehen wir oft, daß die
Hauptpunkte etwas tiefer liegen, als die höchsten Punkte,
denn eine ein wenig tiefere Position wird manche andere
Punkte und Merkmaie in Sicht bringen und doch die
Weite der höchsten Fernsichten nicht beeinträchtigen.

In Fig. 1 sind einige hundert englische Acker Landes
für die Beobachtung angenommen und zwecks Erklärung
die hohen und tiefen Punkte als Hauptpunkte festgelegt,
obwohl diese, wie gesagt, in Wirklichkeit nicht die eigent-
lichen Hauptsichtpunkte sind.

Wechsel von Licht und Schatten.

Landschaft besteht aus einer Serie von Wellenbe-
wegungen, zusammengesetzt von unbegrenzten Lichtern
und Schatten. In der Natur gibt es keine Linien. Wir
brauchen solche, um sie zu erschließen, nicht um Natur
zu machen. Wenn wir Szenerien in Übereinstimmung mit
dem Charakter der natürlichen Vegetation jedes Landes
gestalteten, würde die Erde ein immerwährendes Entzücken
für den Beobachter darbieten. In Übereinstimmung mit
den Gesetzen der Natur müssen wir arbeiten und lernen,
wie wir diese Schönheiten erschließen, von denen Menschen-
geist nur eine schwache Vorstellung hat.

Zuerst arbeiten wir in grober Weise, mit dem Verstand
wie mit der Feder, die verschiedenen Höhen und Täler,
Punkte und Sichten heraus, die den Boden charakterisieren
und unterscheiden.

Alle Ländereien bergen eigene Schönheiten und Vorzüge.
Jedes Stückchen Land besitzt seine eigenen malerischen
Schönheiten, und diese müssen wir sehen lernen, das ist
das erste Gesetz der natürlichen Gestaltung.

Das richtige Verhältnis ist wichtig in allen Dingen.
Ohne die rechten Proportionen keine Harmonie. Um die
wahren Proportionen erkennen zu lernen, muß man die
Ausdehnung des Landes, seine hohen und tiefen Punkte,
die Entfernungen, den Formationscharakter usw. studieren.

Fig. 1 zeigt rohes Land, mit Höhen und Tiefen und
Einzäunungen in der üblichen Art. Die + zeigen die
Höhen an, deren eine als Ort für das Wohnhaus oder
Schloß ausgewählt ist.

Das Gebäude bildet natürlich einen Hauptpunkt für
die Beobachtung, deshalb müssen die von dort ausstrahlenden
Sichten ausgestaltet werden. Man muß die Bilder, welche
das Land selbst besitzt zeigen und sie zur weiteren Ent-
wickelung studieren.

In Fig. 1 sind die Hauptpunkte so angedeutet, daß
die + die Höhen, die O die Tiefen und □ den Platz fürs
Haus zeigt.

Fig. 2 veranschaulicht nun die Ergebnisse, die man
durch Festlegung dieser Hauptpunkte nach Entfernung der
Zäune erzielte, indem sie die natürlichen Vorzüge des Ge-

ländes ins rechte Licht treten läßt. Jede Sichtlinie ent-
spricht einem Bild, und indem wir die Höhen bepflanzen
und das Wasser vergrößern, beginnt unendliche Schönheit
sich von selbst zu entwickeln. Wir sehen sieben Höhen,
von denen aus die Sichtlinien die natürlichen Bilder an-
deuten und auf die Punkte weisen, deren schweigendes
Leben zu entwickeln ist. Das Wasser wird dort ver-
breitert, wo die meisten Linien sich schneiden, und in
der Achse des Hauses wird es in einem kleinen See um-
gewandelt, mit einer Insel, die so liegt, daß ihre Grenzen
vom Hause aus nicht erkannt werden können.

Ausstrahlung (Radiation).

Ausdehnung nach allen Seiten, Ausstrahlung gehört
zur Natur. Die Blumen strahlen aus vom Stamm, der
Baum strahlt aus von seinen Wurzeln, die Hügel strahlen
aus von den höheren Bergen, die Schluchten von den
Tälern, und die Täler vom Hauptland, die Bäche von den
Flüssen, die Flüsse von den Strömen und die Ströme von
den Ozeanen. Licht strahlt aus von der Sonne, und das
Menschengeschlecht sieht, atmet und lebt durch Ausstrah-
lung. Land, Wasser und Leben betätigen ihr Sein in Aus-
strahlung und der Mensch empfängt und vermittelt Eindrücke
durch die Mächte der Ausstrahlung. Fig. 2 veranschaulicht
die bedeutende Entwickelungsfähigkeit auf den Strahlungs-
linien der Hauptpunkte. Wenn wir den Plan überschauen,
werden wir wertvolle Züge hervortreten sehen. Abstands-
wahrnehmungen gehören zur Ausstrahlung. Sie regiert
die Richtung der Kurven. Die so oft in der sogenannten
Landschaftsgärtnerei zu beobachtenden Auswüchse sind
darauf zurückzuführen, daß der Gestalter nicht der Strahlung
seiner Szenerie bei Bildung der Kurven seiner Landschaft folgte.

Fig. 3 veranschaulicht, wie eine einfache Randlinie
durch Entwickelung ihrer Charaktere auf ihren Strahlungs-
linien sich in Vielheit von Kurven auflösen läßt, die doch
eine harmonische Einheit bilden. Dies Beispiel erklärt, wie
natürliche Regeln kleine wie große Szenerien beherrschen.

Landschaft. Natürliche Gestaltungsgesetze als
Grundlage für Schönheit.

Um zu planen, bauen und anzulegen, derart daß man
Land und Gebäude in vorteilhaftester Weise ausnütze, gibt
es sieben fundamentale Gesetze, deren jedes zu einem be-
stimmten Ziele hinleitet und in sich selbst unendliche Mög-
lichkeiten birgt, zur Entwickelung von Schönheit beizutragen.

Landschaft ist die Umwandlung stillen Lebens in
unaufhörlich bewegtes.

Wir beginnen unsere Arbeit mit dem Boden, finden
Stellen zum Bauen, zum Pflanzen, für Wege, zum Aus-
lichten usw. Um mit dem Hausbau zu beginnen, ist es
notwendig zu wissen, wie man bauen soll. Es geht nicht
an, einen Menschen anzuweisen, eine bestimmte Sorte von
Türen, Fenstern oder Bögen einzusetzen, wenn er nicht
weiß, wie er das eine oder andere machen soll. Wrir
wünschen unsere Wohnungen in parkähnlicher Umgebung,
in der Stadt wie auf dem Lande. Alle trachten, wissentlich
oder unwissentlich danach, ihnen solche Umgebung zu geben.

Eine rechte Vorstellung von Landschaft zu gewinnen,
ist der Entwickelungskeim für den Künstler, so wie die
 
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