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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0124

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Lüneburg

bordüre läßt in ihrer primitiven Form keine örtlichen Rückschlüsse zu. Als Material dienen
Wolle, wenig Seide und Metallfäden (Silber vergoldet). Die Farbengebung ist kräftig
(namentlich auf der Rückseite). Alles in allem läßt der Befund, trotz mancher Wider-
sprüche, die Zuschreibung an eine niederdeutsche, wahrscheinlich Lüneburger Manufaktur
zu. Die beigefügten Schrifterläuterungen, die sich zumeist auf die Namen der dargestellten
Personen beschränken, geben keinen weiteren Rückhalt: Isach statt Isaak, Caim statt
Kain, Mattusaling statt Methusalem, Turn Babalum statt Turm Babel, Die Kinder von
Iserhell: Die Kinder von Israel usw.

Einen interessanten Behang (Abb. 88a, H. 0,90 m, L. 1,60 m) verzeichnet das Kloster
Wienhausen. Zwei Kissenmotive — Wappen und gotisierende Ranken, Madonna mit Ein-
horn, Gabriel mit Hunden im Ästekranz auf bordeaux-rotem Grund — sind im Mittelfeld
vereinigt. Bemerkenswert ist die Verwandtschaft der hortus-conclusus-Darstellung mit den
Kölner Kissenblättern. Eine steif gezeichnete Laubstabbordüre auf grünem Grund dient als
Rahmung, ein rot-weißer schmaler Schachbrettfries als Abschluß. Trotz des archaistischen
Eindrucks dürfte der Behang kaum vor 1500 entstanden sein. Als Material dient Wolle; die
Konturen sind mitunter umstickt, zum Teil mit Seide43).

Schwer einzuordnen ist eine kleine Wirkerei — Anbetung der Hirten (Abb. 89a) — im
Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin44). In dem von Marmorsäulen gestützten Stall ruht das
göttliche Kind zwischen Maria und Joseph. Ein Brokatbehang schließt den Hintergrund.
Über den herbeieilenden Hirten schwebt der Engel mit dem Spruchband gloria in excelsis
deo. Der Patron des Klosters oder der Kirche, ein geharnischter Bischof mit Chormantel,
Hut, Krummstab, in der Hand das Modell einer Kapelle, nimmt links Aufstellung. Der Tep-
pich zeigt eine eigenartige Stilmischung. Die Abhängigkeit im Aufbau und in dem Typ
mancher Figur — Hirte rechts hinter dem Plankenzaun des Stalles, grüßender Hirt — von
den gröberen Erzeugnissen Tournais ist unverkennbar (Abb. 89b). Die kniende Madonna
wiederum erinnert an niederrheinische Vorbilder. Bischof und Joseph muten niedersäch-
sisch an. Alles in allem läßt sich sagen, daß die Wirkerei wahrscheinlich auf westfälischem
Boden um 1530 entstanden ist.

Ein weiteres, nicht leicht unterzubringendes Stück tauchte auf der Auktion Marczell von
Nemes (18. bis 19. Juni 1931, Nr. 303) auf (Abb. 88b, H. 1,71 m, L. 3,17 m). Als Material
dient Wolle. Das Konstruktionsprinzip ist das gleiche, wie bei dem vorerwähnten älteren
Behang. An Tournai erinnern wiederum die Seitenbordüren mit der italienisierenden Archi-
tektur und den weissagenden Propheten. Leider sind die geistlichen Wappen in der oberen
Blumenborde zu schlecht erhalten, um Feststellungen zu ermöglichen. Der Typ der Figuren
ist niedersächsisch, der Behang selbst von verschieden geschickten Händen durchgeführt.
Die technische Lösung der Hirten (rechts) — Erfassung der Haare, Kleiderfalten usw. —
ist in keiner Weise verwandt mit der wesentlich flächigeren Wiedergabe der Hauptszene.
Die Gewandlagen ahmen, allerdings recht unvollkommen, das flämisch-brabantische Wirk-
verfahren nach. Es handelt sich um eine typisch klösterliche Arbeit aus dem endenden
16. Jahrhundert, die sich nur annähernd auf Westfalen-Niedersachsen verweisen läßt.
 
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