Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0130

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Hamburg. Altona. Stade. Schleswig-Holstein

(Abb. 93a) kann beiden Serien gemeinsam sein, die Begegnung des Feldherrn und der
Königin deutet mit ziemlicher Gewißheit auf die Zusammenkunft des Antonius mit Kleo-
patra. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß der Kopf des Heerführers einen anderen Typ
aufweist, als in den übrigen Behängen. Mit den Schlachten und Belagerungsszenen ist als
ikonographisches Moment nicht viel anzufangen. Die vor dem Feldherrn kniende Frau
dürfte identisch sein mit Octavia, der Gattin des Antonius, die ihren Bruder Octavian an-
fleht, sie nicht aus der „glücklichsten zur unglücklichsten Gattin" zu machen. Die Pose des
thronenden Heerführers in dem einen Zwischenfensterstück läßt sich mit verschiedenen
Episoden aus dem Leben des Octavianus in Verbindung bringen. Weniger klar ist das
Motiv eines zweiten Entrefenetres. Der Feldherr spricht auf eine Frau ein, hinter der Män-
ner mit Truhen schreiten. Wahrscheinlich handelt es sich um das gütliche Zureden des
Octavianus, der nach dem Tode des Antonius befürchtet, Kleopatra werde ihre Schätze ver-
nichten oder verschleppen. Das Bruchstück mit zwei Teilfiguren — der Heerführer schreitet
mit einem jungen Lanzenträger Hand in Hand — ist seiner Unvollständigkeit wegen nur
schwer zu deuten. Als literarische Leitfaden dienten augenscheinlich, wie in so vielen ande-
ren Fällen, die Lebensbeschreibungen des Plutarch.

Die Kartons der Bilddarstellungen sind zweifelsohne Antwerpener Erzeugnis. Das gleiche
gilt von der Durchbildung der Flora und des hochgezogenen Hintergrundes, der ganz und
gar dem Typ um 1600 entspricht58). Gewisse Unstimmigkeiten, wie z. B. die Wiedergabe der
Pferdeleiber im Triumphzug, finden ihre Erklärung weniger in der Eigenart der Zeichnung,
als in der ungewöhnlichen, etwas bunten Farbengebung. Die außerordentlich fein detail-
lierte Rahmung geht ebenfalls auf einen Antwerpener oder Brüsseler Patronenmaler zu-
rück. Die allegorischen Figuren unter dem Portikus, die Tiersymbole, die auf die Herrscher-
tugenden Bezug nehmen, und die Motive aus den Fabeln des Äsop sind bekannte Elemente
Brüsseler und Antwerpener Bordürenkunst. Das gleiche gilt von den sehr delikat gelösten
Frucht- und Blumenbüscheln, den knienden Faunen, den aus Ranken sich lösenden Krie-
gern, den Hermen, Sirenen, Vasen usw. Die die Bordüren außen und innen fassenden
schmalen Leisten — bandumwundene Blumenstäbe — finden sich vollkommen überein-
stimmend auf Dutzenden von flämisch-brabantischen Teppichen.

Die typische Rahmung der Bückeburger Folge kehrt mit geringen Abwandlungen wie-
der — es fehlen z. B. die erläuternden Legenden unter den Fabelmotiven — bei einer
Alexandergeschichte (Abb. 94) im österreichischen Textilienschatz, die ich in dem I. Teile
der „Wandteppiche" irrtümlich dem Brüsseler Wirker59) Jan van den Hecke zugeschrieben
habe. Zum Überfluß tragen zwei Teppiche der Folge — Poms fleht um Gnade, Einzug —
die Signatur des Joos van Herseele. Die Serie umfaßt acht Behänge60).

Der Vergleich der Schaumburger und der Wiener Folge spricht für die Entstehung in ein
und demselben Atelier. In der technischen Wiedergabe ist die Wiener Serie nicht unerheb-
lich schwächer. Meister Joos scheint, wie seine Brüsseler und Antwerpener Fachgenossen,
bei großen Aufträgen, bei denen ihm nicht scharf auf die Finger gesehen wurde, befreun-
dete, weniger geschickte Hamburger Werkstätten mit herangezogen zu haben. Die Alex-
andergeschichte ist mehrfach wiederholt worden; eine rahmenlose Kopie des knienden
Porus tauchte um 1918 im Berliner Kunsthandel auf und fand, mit neuer Bordüre gefaßt,
ihren Käufer.

Auf Joos II. von Herseele geht, aller Wahrscheinlichkeit nach, schließlich noch ein reli-
giöses Motiv in deutschem Privatbesitz zurück: die Kinder Israel ziehen durch das Rote
Meer, Moses reckt den Stab, die Heerscharen Pharaos versinken. Ein der Schaumburger
Folge verwandtes Stück — kniende Frau vor einem berittenen Feldherrn — in ähnlicher
Bordüre verzeichnet schließlich das Nordische Museum zu Stockholm (Abb. 93b). In allen
Fällen hält sich der Meister, genau wie z. B. die Stuttgarter und Frankenthaler Wirker nie-

116
 
Annotationen