E. v. L’üiow ; das Novellenbuch.
61)3
seiner Erzählungen sind wir dem Herausgeber um so mehr Dank
schuldig, als seine zwei Werke »Para todos, exemplos morales
humanos y divinos« und »Succesos y prodigios de araor, en ocho
novelas exemplares« sehr selten sind. In dem letzteren Werke
steht Die allergröfste Verwirrung l, 83. Es ist die gräfs-
liehe Geschichte von einer Mutter, die sich in ihren Sohn ver-
liebt, mit diesem ohne sein Wissen eine Tochter zeugt, welche
dann der Sohn selbst heirathet. Ob Montalban nach Bandello
(II, 35) gearbeitet, wie Herr v. Bülow entschieden behauptet
(I. S. xxx) , möchte Ref. bezweifeln. Nicht allein ist bei Mon-
talban Alles viel genauer motivirt, vielmehr ins Detail ausgear-
beitet , sondern die Motive sind wirklich auch in Hauptsachen
ganz andere, als bei Bandello, und die äufsern Situationen sind
verschieden. Montalban könnte die Erzählung auch aus Julio de
Medrano haben, einem spanischen Schriftsteller des sechszehnten
Jahrhunderts, der eine ähnliche Geschichte im Bourbonnois ge-
hört haben will, wo ihm sogar die Einwohner das Haus zeigten,
in welchem das unselige Paar lebte, und dessen Grabschrift her»
sagten , welche so lautete ;
Cy — gist la fille, cy — gist le pere,
Cy — gist la soeur, cy — gist le frere,
Cy — gist la femme et le mary,
Et si n’y a que deui. corps icy.
So viel ist gewifs, dafs die Erzählung Bandello’s mehr dem Be-
richt eines Factums, die Montalban's einer trefflichen, in allen
Theilen vollendeten und abgerundeten Dichtung ähnlich sieht,
und weit höher als die Bandellische Novelle steht. Die älteste
roheste Bearbeitung der Geschichte ist die bei Massuccio Nov. 23.
Zu gleicher Zeit mit einander erzählten sie Bandello und die Kö-
nigin Marguerite von Navarra, ohne dafs jedoch eines aus dem
andern schöpfte. Wenigstens würden Bandellö’s Novellen zuerst
i554 gedruckt, und da die Königin i549 starb, ist es nicht wahr-
scheinlich, dafs sie dieselben zu Gesicht bekommen. Andererseits
wurde das Heptameron der Königin erst i558. neun Jahre nach
ihrem Tode, gedruckt, so dafs also Bandello dasselbe nicht zur
Abfassung seiner Novellen benutzen konnte. Indefs scheint diese
Geschichte, der wohl ein Factum zu Grunde liegen kann, sich
ihrer Seltsamkeit wegen schnell überall hin verbreitet zu haben.
Bandello erzählt in der Einleitung, sie habe sich in Navarra er-
eignet, und sey ihm von einer Navarresin erzählt worden. In
Luthers Tischreden wird bei dem Artikel von der Ohrenbeiehtc
die Geschichte als zu Erfurt vorgefallen erzählt. Ferner wird
61)3
seiner Erzählungen sind wir dem Herausgeber um so mehr Dank
schuldig, als seine zwei Werke »Para todos, exemplos morales
humanos y divinos« und »Succesos y prodigios de araor, en ocho
novelas exemplares« sehr selten sind. In dem letzteren Werke
steht Die allergröfste Verwirrung l, 83. Es ist die gräfs-
liehe Geschichte von einer Mutter, die sich in ihren Sohn ver-
liebt, mit diesem ohne sein Wissen eine Tochter zeugt, welche
dann der Sohn selbst heirathet. Ob Montalban nach Bandello
(II, 35) gearbeitet, wie Herr v. Bülow entschieden behauptet
(I. S. xxx) , möchte Ref. bezweifeln. Nicht allein ist bei Mon-
talban Alles viel genauer motivirt, vielmehr ins Detail ausgear-
beitet , sondern die Motive sind wirklich auch in Hauptsachen
ganz andere, als bei Bandello, und die äufsern Situationen sind
verschieden. Montalban könnte die Erzählung auch aus Julio de
Medrano haben, einem spanischen Schriftsteller des sechszehnten
Jahrhunderts, der eine ähnliche Geschichte im Bourbonnois ge-
hört haben will, wo ihm sogar die Einwohner das Haus zeigten,
in welchem das unselige Paar lebte, und dessen Grabschrift her»
sagten , welche so lautete ;
Cy — gist la fille, cy — gist le pere,
Cy — gist la soeur, cy — gist le frere,
Cy — gist la femme et le mary,
Et si n’y a que deui. corps icy.
So viel ist gewifs, dafs die Erzählung Bandello’s mehr dem Be-
richt eines Factums, die Montalban's einer trefflichen, in allen
Theilen vollendeten und abgerundeten Dichtung ähnlich sieht,
und weit höher als die Bandellische Novelle steht. Die älteste
roheste Bearbeitung der Geschichte ist die bei Massuccio Nov. 23.
Zu gleicher Zeit mit einander erzählten sie Bandello und die Kö-
nigin Marguerite von Navarra, ohne dafs jedoch eines aus dem
andern schöpfte. Wenigstens würden Bandellö’s Novellen zuerst
i554 gedruckt, und da die Königin i549 starb, ist es nicht wahr-
scheinlich, dafs sie dieselben zu Gesicht bekommen. Andererseits
wurde das Heptameron der Königin erst i558. neun Jahre nach
ihrem Tode, gedruckt, so dafs also Bandello dasselbe nicht zur
Abfassung seiner Novellen benutzen konnte. Indefs scheint diese
Geschichte, der wohl ein Factum zu Grunde liegen kann, sich
ihrer Seltsamkeit wegen schnell überall hin verbreitet zu haben.
Bandello erzählt in der Einleitung, sie habe sich in Navarra er-
eignet, und sey ihm von einer Navarresin erzählt worden. In
Luthers Tischreden wird bei dem Artikel von der Ohrenbeiehtc
die Geschichte als zu Erfurt vorgefallen erzählt. Ferner wird