N°. 55. HEIDELBERGER 1837.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Rügen: Erkenntnifs und Behandlung der Persönlichkeits-
krankheilen.
(Be s c hluf s.)
Sehen wir innerliche oder äusserliche Bewegungen (chemische
oder mechanische Wahlanziehungen und Ortsveränderungen), die
wir nicht aus den Wechselwirkungen jener Naturkräfte allein zu
erklären vermögen, und ahnen wir in diesen die Wirksamkeit
eines höheren, jene Kräfte überwaltenden Principes , so nennen
wir dies Leben. Hier fangen wir schon an, häufiger den Aus-
druck frei und unfrei zu gebrauchen; besonders sprechen wir
den höheren Sinnesgeschöpfen Willkühr zu. Indessen reden wir
noch immer von der Freiheit als blofser Bestiramungslosigkeit
durch. Äusseres (s. Oken’s Naturgeschichte, von der Freiheit).
In diesem Sinne nennen wir den Baum frei, der ungehemmt durch
äussere Einflüsse sich seiner Natur gemäfs entwickelt. In diesem
Sinne spricht denn auch die dogmatische Philosophie von der
Freiheit*). Allein wir reden noch nicht von einem handeln-
den Wesen, sondern nur immer von einem Instinkte. Diesem
gemäfs legen wir auch in dieser Beziehung dem entwickeltsten
Thiere, dem Menschen, Freiheit bei, wenn er sich der natürlichen
Idee gemäfs, d. i. in dem allgemeinen Vorbilde, das dem Ge-
schlechter Mensch, zu Grunde liegt, ungehemmt entwickelt, wenn
er seine inneren Functionen sowohl als die äussere Gestaltung
nach dem Canon seiner Natur vollendet. Allein in dieser Sphäre
haben wir noch kein handelndes Wesen bezeichnet, sondern nur
ein lebendig freithätiges; wir haben noch kein Individuum, son-
dern nur einen vereinzelten Abdruck seines Collectivbegrifis in
möglichster Vollendung. Es ist daher nöthig, noch einen andern
Ausdruck für das handelnde Individuum, für den Menschen, als
moralisches Wesen, für seine ethische Freiheit zu finden.
Diesen aber gewinnen wir, wenn wir von diesem höchsten Aus-
drucke, von der moralischen Freiheit, Alles aussondern, was von
ihr herunter bis zum Nalurmechanismus eine Gebundenheit mit
*) Fichte (J. G.), Bestimmung des Menschen.
XXX. Jahrg. 9. Heft.
55
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Rügen: Erkenntnifs und Behandlung der Persönlichkeits-
krankheilen.
(Be s c hluf s.)
Sehen wir innerliche oder äusserliche Bewegungen (chemische
oder mechanische Wahlanziehungen und Ortsveränderungen), die
wir nicht aus den Wechselwirkungen jener Naturkräfte allein zu
erklären vermögen, und ahnen wir in diesen die Wirksamkeit
eines höheren, jene Kräfte überwaltenden Principes , so nennen
wir dies Leben. Hier fangen wir schon an, häufiger den Aus-
druck frei und unfrei zu gebrauchen; besonders sprechen wir
den höheren Sinnesgeschöpfen Willkühr zu. Indessen reden wir
noch immer von der Freiheit als blofser Bestiramungslosigkeit
durch. Äusseres (s. Oken’s Naturgeschichte, von der Freiheit).
In diesem Sinne nennen wir den Baum frei, der ungehemmt durch
äussere Einflüsse sich seiner Natur gemäfs entwickelt. In diesem
Sinne spricht denn auch die dogmatische Philosophie von der
Freiheit*). Allein wir reden noch nicht von einem handeln-
den Wesen, sondern nur immer von einem Instinkte. Diesem
gemäfs legen wir auch in dieser Beziehung dem entwickeltsten
Thiere, dem Menschen, Freiheit bei, wenn er sich der natürlichen
Idee gemäfs, d. i. in dem allgemeinen Vorbilde, das dem Ge-
schlechter Mensch, zu Grunde liegt, ungehemmt entwickelt, wenn
er seine inneren Functionen sowohl als die äussere Gestaltung
nach dem Canon seiner Natur vollendet. Allein in dieser Sphäre
haben wir noch kein handelndes Wesen bezeichnet, sondern nur
ein lebendig freithätiges; wir haben noch kein Individuum, son-
dern nur einen vereinzelten Abdruck seines Collectivbegrifis in
möglichster Vollendung. Es ist daher nöthig, noch einen andern
Ausdruck für das handelnde Individuum, für den Menschen, als
moralisches Wesen, für seine ethische Freiheit zu finden.
Diesen aber gewinnen wir, wenn wir von diesem höchsten Aus-
drucke, von der moralischen Freiheit, Alles aussondern, was von
ihr herunter bis zum Nalurmechanismus eine Gebundenheit mit
*) Fichte (J. G.), Bestimmung des Menschen.
XXX. Jahrg. 9. Heft.
55