Pi«lm«ch von Osten^ Denkwürdig! k. 11. Erinnerungen aus d. Orient. 20?
gen aus den Ländern des östlichen Reichs ein unverwüstliches
Oe wand, gleichsam ein diamantenes Hans, um darin ewig zu woh**
nen, sich selbst gleich und sicher gegen die Wirkungen der alles
verwandelnden Zeit. Konstantinopel, laut dem byzantinischen Ge-
setzbuche auf ausdrücklichen Befehl Gottes erbaut*), ist gleich-
sam die Burg des neuen Gottesstaats, Hauptstadt des Erdkreises
und irdische Residenz Jesu Christi, den dasselbe Gesetz für den
wahren und rechtmässigen Imperator des Orients, und somit der
ganzen Erde erklärt. Die Justiniaoe, die Heraklius, die Komne-
nen und Paläologen waren dem Staatsrechte nach nur Substitute
und irdische Collegen des himmlischen Basilevs, und nannten
sich in ihren Dekreten nicht „von Gottes Gnaden44, sondern „Chri-
stus liebende und von Christus gekrönte Monarchen des Erdkrei-
ses“, ertheilten den kaiserlichen Segen (benedictio papalis der
Abendländer), erklärten in festgesetzten Tagen ihren Hofleuten
und Grossen das Evangelium als den eigentlichen Reichscodex,
und besassen von Rechtswegen die Gabe der Mirakel.
Man hat oft genug erinnert, dass die christliche Lehre ihre
Wurzel zuerst in den untersten Reihen der bürgerlichen Gesell-
schaft schlug, von den armen und unwissenden Classen des Vol-
kes nach und nach bis zu den obersten und intelligentesten stieg,
und sich endlich gar auf dem kaiserlichen Throne niedersetzte.
Im byzantinischen, oder mit andern Worten, in der noch immer
bestellenden Osthälfte der römischen Weltmonarchie erhielt sich
dieser ursprüngliche Charakter des Christianismus unverwandelt und
ungeschwächt bis auf den heutigen Tag — versteinertes Evangelium
und wahre Demokratie der Masse, vor welcher sich Wissenschaft
und Macht demüthig in den Staub legten. Alle Versuche einer
Reform, Umgestaltung oder Emancipation der Intelligenz und der
Staatsgewalt, die man von oben herab im achten und zwölften
Jahrhundert mit seltener Beharrlichkeit unternahm, scheiterten am
erstarrten Sinn des neutestamentarischen *0%lo<; von Byzanz.
Eben so obstinat und eben so siegreich wie gegen alle Reform
im Innern, wurde auch gegen die wiederholten Angriffe der mäch-
tigen Kirche des Abendlands gestritten, und ihr Dogma, ihre Dis-
ciplin, ihre Kriegsheere, ihre Friedensworte wie ihre Drohungen
zurückgewiesen; ja bis auf den heutigen Tag hat die byzanti-
nische Kirche den lateinischen Occident amtlich noch immer nicht
als zum Christenthum gehörig anerkannt Man kann über einen
) Cod. Theod iib V,
gen aus den Ländern des östlichen Reichs ein unverwüstliches
Oe wand, gleichsam ein diamantenes Hans, um darin ewig zu woh**
nen, sich selbst gleich und sicher gegen die Wirkungen der alles
verwandelnden Zeit. Konstantinopel, laut dem byzantinischen Ge-
setzbuche auf ausdrücklichen Befehl Gottes erbaut*), ist gleich-
sam die Burg des neuen Gottesstaats, Hauptstadt des Erdkreises
und irdische Residenz Jesu Christi, den dasselbe Gesetz für den
wahren und rechtmässigen Imperator des Orients, und somit der
ganzen Erde erklärt. Die Justiniaoe, die Heraklius, die Komne-
nen und Paläologen waren dem Staatsrechte nach nur Substitute
und irdische Collegen des himmlischen Basilevs, und nannten
sich in ihren Dekreten nicht „von Gottes Gnaden44, sondern „Chri-
stus liebende und von Christus gekrönte Monarchen des Erdkrei-
ses“, ertheilten den kaiserlichen Segen (benedictio papalis der
Abendländer), erklärten in festgesetzten Tagen ihren Hofleuten
und Grossen das Evangelium als den eigentlichen Reichscodex,
und besassen von Rechtswegen die Gabe der Mirakel.
Man hat oft genug erinnert, dass die christliche Lehre ihre
Wurzel zuerst in den untersten Reihen der bürgerlichen Gesell-
schaft schlug, von den armen und unwissenden Classen des Vol-
kes nach und nach bis zu den obersten und intelligentesten stieg,
und sich endlich gar auf dem kaiserlichen Throne niedersetzte.
Im byzantinischen, oder mit andern Worten, in der noch immer
bestellenden Osthälfte der römischen Weltmonarchie erhielt sich
dieser ursprüngliche Charakter des Christianismus unverwandelt und
ungeschwächt bis auf den heutigen Tag — versteinertes Evangelium
und wahre Demokratie der Masse, vor welcher sich Wissenschaft
und Macht demüthig in den Staub legten. Alle Versuche einer
Reform, Umgestaltung oder Emancipation der Intelligenz und der
Staatsgewalt, die man von oben herab im achten und zwölften
Jahrhundert mit seltener Beharrlichkeit unternahm, scheiterten am
erstarrten Sinn des neutestamentarischen *0%lo<; von Byzanz.
Eben so obstinat und eben so siegreich wie gegen alle Reform
im Innern, wurde auch gegen die wiederholten Angriffe der mäch-
tigen Kirche des Abendlands gestritten, und ihr Dogma, ihre Dis-
ciplin, ihre Kriegsheere, ihre Friedensworte wie ihre Drohungen
zurückgewiesen; ja bis auf den heutigen Tag hat die byzanti-
nische Kirche den lateinischen Occident amtlich noch immer nicht
als zum Christenthum gehörig anerkannt Man kann über einen
) Cod. Theod iib V,