Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Strauss: Leben Jesu, u Ammon < Fortbildung d Christenthums ISS
seiner Widersacher, und vor Allem die unwiderstehliche Gewalt der
Umstände erhoben ihn zum Oberhaupte der Reformation. Seine
Gedanken waren fern davon im Anfänge. Zweimal erbot er sich
(1519 und 1520), die ganze Sache fallen zu lassen, die Ehre und
die Würde der römischen Kirche zu vertheidigen, wenn seine Geg-
ner schwiegen und ihm der freie Vortrag von Gottes Wort Vor-
behalten bliebe. Die sehr glimpfliche AntwortLeo des X. ward von
den Untergebenen zurückbehalten, Luther ward mit Meuchelmord
bedroht und liess nun die Excpmmumcations-Bulle, welche sein
sehr heftiger Gegner Eck ausgewirkt hatte, verbrennen (Ende
1520). In den letzten Jahren seines Lebens bedauerte er, zu
weit gegangen zu seyn, und dennoch war er auf halbem Wege
stehen geblieben.
Hieraus und aus seiner Unverträglichkeit mit andern Refor-
matoren entsprangen schädliche Trennungen, welche sich in Eng-
land und in Amerika mehr und mehr vervielfältigt haben.
Der Wunsch einer Vereinigung aller christlichen Sekten ist
öfters geäussert worden. Leibnitz selbst sann auf eine Verschmel-
zung der katholischen und protestantischen Kirche. Um dieses
näher zu beurtheilen, muss man auf das leitende Princip beider
zurückgehen. Freies Lesen der Schrift, Prüfung ihres Inhalts
und Bedeutung zu eigenem Verständnisse, Oberherrschaft der
Vernunft, welche sich keinem Ansehen, keinem fremden Willen
blindlings fügt, also Anerkennung der sittlichen Würde des
Menschen, seines freien Seyns und Wirkens, liegen dem Protes-
tantismus zu Grunde. Verbot des Lesens der Schrift, glauben
und handeln nach den Vorschriften der Kirche und ihres Ober-
hauptes, des Pabstes, blinder Gehorsam gegen ihre Befehle, ent-
sagen allem persönlichen Urtheile und völliges Unvermögen der
Vernunft sind hingegen die Grundpfeiler des Katholicismus.
Wie ist die Vereinigung zweier einander strenge entgegen-
gesetzter Principien denkbar? Nur wenn eine von beiden Par-
theien das Ihrige verlässt, anders ist es unmöglich. Sollte sich
aber jeder Protestant nicht freuen, im Protestantismus geboren zu
seyn, und wenn er das wahre Princip desselben erkannt hat, es
aufgeben wollen? —
Als geborner Franzose ward Calvin der Verbreitung der
protestantischen Lehre in Ländern französischer Sprache sehr
nützlich. Farel, ein Edelmann aus der Landschaft Gex, ein sehr
eifriger Anhänger der neuen Lehren, viel älter als Calvin, veran-
lasste seinen Ruf nach Genf und verfasste ihm seine Glaubens
 
Annotationen