100 Strauss: Leben Jesu, u Ammon: Fortbildung d. Christenthums.
an; gegen die sündigen Menschen ist er milde und versöhnlich,
nachsichtig gegen die Schwachen, welche von Leidenschaften hin-
gerissen, die an sich nicht sträflich sind, sich dennoch sträfliche
Handlungen zu Schulden kommen lassen. Sinnreich und scharf
in seinen Antworten auf hinterlistige Fragen der Pharisäer und
Saducäer beschämt er ihre Tücke und bringt sie zum Verstummen.
Zu den Aposteln und Jüngern spricht er mit väterlichem Ansehen,
allein nie herrisch oder hart. Liebreich rügt er ihren Kleinmuth,
ihr oft wankendes Vertrauen, die Eingeschränktheit, welche sie
hindert, den klaren Sinn seiner Worte zu fassen. Marc. 9, 18.
Habt Augen und sehet nicht? Habt Ohren und höret nicht? Und
denkt nicht daran? Matth. 26, 40. In seiner Todesangst sagt er
mit Sanftmuth den schlafenden Jüngern: Könnet ihr denn nicht
eine Stunde mit mir wachen? Ohne Vorwurf warnt er sie Joh.
16, 32., dass sie fliehen und ihn in der Gefahr verlassen werden,
und Petrum Matth. 26, 34,, Marc. 14, 30., Luc 22, 34., dass er
ihn dreimal verleugnen würde.
Sein ganzes Leben war Kampf zu Erfüllung' seiner Sendung,
stete Entsagung seiner selbst, hülfreiche Wohlthätigkeit, unabläs-
siges Streben, die Menschen v0m Joche der Sünde zu befreien
und sie Gott näher zu bringen. Wohlwissend, was ihn erwartete,
ging er mit kindlicher Ergebung einem schmachvollen Tode ent-
gegen. Er vertheidigte sich nicht gegen seine wüthigen Anklä-
ger — sein Tod war ihm Erfüllung seines hohen Berufs. Er
zürnte nicht seinen ihn verhöhnenden Mördern und betete zu Gott
Luc. 23, 39., dass ihnen verziehen werden möchte. Im Verschei-
den Job 19, 26—27. war Vorsorge für seine gebeugte Mutter,
die trauernd am Kreutze stand, die letzte Handlung seiner nie ru-
henden Liebe.
Allein, muss man sich denn dem Pietismus ergeben, um die-
ses Vorbild sittlicher Vollkommenheit zu fassen, und sey es auch
unerreichbar, den inbrünstigen Wunsch zu hegen, sich demselben
zu nähern, mit innigem Hanke, tiefer Verehrung und ehrfurchts-
voller Gesinnung, Gedanke und Empfindung an dasselbe als Schutz
und Schirm gegen das Böse zu knüpfen? Nein, dieses ist kein
Secten - Eigenthum! Es gehört allen Christen. So spricht das
ganze Evangelium, so heisst es in der höchsten Einfachheit des
schönen Gleichnisses, mit welchem Christus seine Jünger belehrt,
Matth. 19, 13 -15 , Marc. 10, 13—16., Luc. 18, 15—17. Tretet
heran mit kindlichem Vertrauen, aufrichtig strebend nach reiuem
an; gegen die sündigen Menschen ist er milde und versöhnlich,
nachsichtig gegen die Schwachen, welche von Leidenschaften hin-
gerissen, die an sich nicht sträflich sind, sich dennoch sträfliche
Handlungen zu Schulden kommen lassen. Sinnreich und scharf
in seinen Antworten auf hinterlistige Fragen der Pharisäer und
Saducäer beschämt er ihre Tücke und bringt sie zum Verstummen.
Zu den Aposteln und Jüngern spricht er mit väterlichem Ansehen,
allein nie herrisch oder hart. Liebreich rügt er ihren Kleinmuth,
ihr oft wankendes Vertrauen, die Eingeschränktheit, welche sie
hindert, den klaren Sinn seiner Worte zu fassen. Marc. 9, 18.
Habt Augen und sehet nicht? Habt Ohren und höret nicht? Und
denkt nicht daran? Matth. 26, 40. In seiner Todesangst sagt er
mit Sanftmuth den schlafenden Jüngern: Könnet ihr denn nicht
eine Stunde mit mir wachen? Ohne Vorwurf warnt er sie Joh.
16, 32., dass sie fliehen und ihn in der Gefahr verlassen werden,
und Petrum Matth. 26, 34,, Marc. 14, 30., Luc 22, 34., dass er
ihn dreimal verleugnen würde.
Sein ganzes Leben war Kampf zu Erfüllung' seiner Sendung,
stete Entsagung seiner selbst, hülfreiche Wohlthätigkeit, unabläs-
siges Streben, die Menschen v0m Joche der Sünde zu befreien
und sie Gott näher zu bringen. Wohlwissend, was ihn erwartete,
ging er mit kindlicher Ergebung einem schmachvollen Tode ent-
gegen. Er vertheidigte sich nicht gegen seine wüthigen Anklä-
ger — sein Tod war ihm Erfüllung seines hohen Berufs. Er
zürnte nicht seinen ihn verhöhnenden Mördern und betete zu Gott
Luc. 23, 39., dass ihnen verziehen werden möchte. Im Verschei-
den Job 19, 26—27. war Vorsorge für seine gebeugte Mutter,
die trauernd am Kreutze stand, die letzte Handlung seiner nie ru-
henden Liebe.
Allein, muss man sich denn dem Pietismus ergeben, um die-
ses Vorbild sittlicher Vollkommenheit zu fassen, und sey es auch
unerreichbar, den inbrünstigen Wunsch zu hegen, sich demselben
zu nähern, mit innigem Hanke, tiefer Verehrung und ehrfurchts-
voller Gesinnung, Gedanke und Empfindung an dasselbe als Schutz
und Schirm gegen das Böse zu knüpfen? Nein, dieses ist kein
Secten - Eigenthum! Es gehört allen Christen. So spricht das
ganze Evangelium, so heisst es in der höchsten Einfachheit des
schönen Gleichnisses, mit welchem Christus seine Jünger belehrt,
Matth. 19, 13 -15 , Marc. 10, 13—16., Luc. 18, 15—17. Tretet
heran mit kindlichem Vertrauen, aufrichtig strebend nach reiuem