Nr. 9. HEIDELBERGER 1847.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Kurze Anzeigen·
(Schluss.)
Wir glauben, indem wir ein Beispiel zu Hülfe genommen und es
mit dem Lateinischen verglichen haben, den Leser auf eine ebenso bequeme
als kurze Weise schon ziemlich in Stand gesetzt zu haben, um die Richtung
von Hrn. Wo eher’s Sprachstudium errathen zu können. Doch sind wir noch
nicht fertig und fühlen uns in einer gewissen Verlegenheit, wie wir das, was
noch übrig bleibt, beibringen sollen. Nicht genug, dass der Sprachgeist bei
jeder einzelnen Silbe, bei jedem einzelnen Worte darauf Rücksicht nehmen
musste, was dem Sprachorgan bequem und leicht auszusprechen wäre, nein,
auch für die zusammenhängende Rede hatte er Vorkehrungen zu treffen: jedes
Glied, Silbe oder Wort, musste so ausfallen, dass es in Verbindung mit andern
dem Bedürfniss des Sprachorgans genügte. Wenn der Leser diese Relation un-
glaublich findet, so möge er uns erlauben, des Verf. eigene Worte anzuführen.
„Auch zwischen Wörtern und Wörtern im lebendigen Geweb eines Satzes (woran
„man bei der gewöhnlichen Auffassung und Behandlung der Sprachen gar nicht
„denkt) besteht ein organisches inniges Verhältniss. — Wenn bei einer abge-
rissenen Silbe es oft schwer seyn mag, ob wir sie leichter mit a oder e oder
„einem andern Vocal sprechen, so gewinnt die phonetische Wahrnehmung eine
„ganz andere Bestimmtheit und Sicherheit im Kontext mit andern Silben und
„Wörtern; so wäre vielleicht bei flüchtigem Aussprechen ga oder ge nahezu
„gleich bequem, anders aber im Wort: der Gast, die Gäste; diuga-
„lauba, der geloube; da wirkt Endung und Artikel.“ Aber wenn der
Artikel der daran Schuld seyn soll, dass es Gast heisst, und wiederum der
pluralische Artikel die den Umlaut Gäste bewirken soll, woher kommt es
denn, dass es auch im Genitiv Plural der Gäste und nicht der Gaste heisst?
Ferner: was sagt denn Hr. Wo eher dazu, wenn wir ihm umgekehrt diu
gelouba und der geloube nachweisen? Es ist im höchsten Grade unrecht,
wenn man, um solche Liebhabereien plausibel zu machen, sfeine Zuflucht zu
unhaltbaren Erfindungen nimmt. Uebrigens abgesehen selbst von so trüglichen
Beispielen, die ein historisches Studium ganz anders zu deuten weiss, wird
Niemand Hrn. Wucher glauben, dass zwischen zwei Wörtern oder gar ganzen
Sätzen eine solche Rücksicht bequemer Aussprache Statt finde. Soll die Pho-
nologie zu Ehren kommen, so muss man es ganz anders anfangen, als Ur.
Wo eher, der Jahre lang die Bewegungen der Sprachorgane durch den Spiegel
beobachtet und Fingeroperationen, wie er es selbst nennt, und Gott weiss was
anwendet, und dessenungeachtet uns kein halb Dutzend feste Regeln aufweisen
kann, die wir als allgemeine Grundlage eines wissenschaftlichen Studiums der
XXXX. Jahrg. 1. Doppelheft. θ
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Kurze Anzeigen·
(Schluss.)
Wir glauben, indem wir ein Beispiel zu Hülfe genommen und es
mit dem Lateinischen verglichen haben, den Leser auf eine ebenso bequeme
als kurze Weise schon ziemlich in Stand gesetzt zu haben, um die Richtung
von Hrn. Wo eher’s Sprachstudium errathen zu können. Doch sind wir noch
nicht fertig und fühlen uns in einer gewissen Verlegenheit, wie wir das, was
noch übrig bleibt, beibringen sollen. Nicht genug, dass der Sprachgeist bei
jeder einzelnen Silbe, bei jedem einzelnen Worte darauf Rücksicht nehmen
musste, was dem Sprachorgan bequem und leicht auszusprechen wäre, nein,
auch für die zusammenhängende Rede hatte er Vorkehrungen zu treffen: jedes
Glied, Silbe oder Wort, musste so ausfallen, dass es in Verbindung mit andern
dem Bedürfniss des Sprachorgans genügte. Wenn der Leser diese Relation un-
glaublich findet, so möge er uns erlauben, des Verf. eigene Worte anzuführen.
„Auch zwischen Wörtern und Wörtern im lebendigen Geweb eines Satzes (woran
„man bei der gewöhnlichen Auffassung und Behandlung der Sprachen gar nicht
„denkt) besteht ein organisches inniges Verhältniss. — Wenn bei einer abge-
rissenen Silbe es oft schwer seyn mag, ob wir sie leichter mit a oder e oder
„einem andern Vocal sprechen, so gewinnt die phonetische Wahrnehmung eine
„ganz andere Bestimmtheit und Sicherheit im Kontext mit andern Silben und
„Wörtern; so wäre vielleicht bei flüchtigem Aussprechen ga oder ge nahezu
„gleich bequem, anders aber im Wort: der Gast, die Gäste; diuga-
„lauba, der geloube; da wirkt Endung und Artikel.“ Aber wenn der
Artikel der daran Schuld seyn soll, dass es Gast heisst, und wiederum der
pluralische Artikel die den Umlaut Gäste bewirken soll, woher kommt es
denn, dass es auch im Genitiv Plural der Gäste und nicht der Gaste heisst?
Ferner: was sagt denn Hr. Wo eher dazu, wenn wir ihm umgekehrt diu
gelouba und der geloube nachweisen? Es ist im höchsten Grade unrecht,
wenn man, um solche Liebhabereien plausibel zu machen, sfeine Zuflucht zu
unhaltbaren Erfindungen nimmt. Uebrigens abgesehen selbst von so trüglichen
Beispielen, die ein historisches Studium ganz anders zu deuten weiss, wird
Niemand Hrn. Wucher glauben, dass zwischen zwei Wörtern oder gar ganzen
Sätzen eine solche Rücksicht bequemer Aussprache Statt finde. Soll die Pho-
nologie zu Ehren kommen, so muss man es ganz anders anfangen, als Ur.
Wo eher, der Jahre lang die Bewegungen der Sprachorgane durch den Spiegel
beobachtet und Fingeroperationen, wie er es selbst nennt, und Gott weiss was
anwendet, und dessenungeachtet uns kein halb Dutzend feste Regeln aufweisen
kann, die wir als allgemeine Grundlage eines wissenschaftlichen Studiums der
XXXX. Jahrg. 1. Doppelheft. θ