Nr. 12.
HEIDELBERGER
1847.
Colletta: Clescliiclite von Neapel^ iiliersetzt
von lieber.
(Schluss.)
x.
Auch die Vaterlandsliebe des Neapolitaners erinnert biswei-
len an den Römer; sie ist glühend, aber männlich, ohne alle verfüh-
rerische Weichlichkeit, Schmeichelei und Prunksucht; das Volk und die
Grossen bekommen einen treuen Spiegel ihrer Gebrechen und Blössen,
kein Afterbild erträumter Tugend und Vollkommenheit; auch der
leiseste Hang zur nationalen Eitelkeit und wohlgefälligen Ko-
ketterie mit dem Publicum, besonders dem jugendlichen, wird
als unwürdig des Historikers unterdrückt, dagegen nach Gebühr jeder
schöne Zug im Leben des Volks und der Regierung bereitwillig aner-
kannt und als Zeuge des Bessern mit Freuden begrüsst. „Unserm Vater-
lande, heisst es, thut keine Täuschung, wohl aber ein treuer
Spiegel Noth, der ihm seine politische Ruhelosigkeit, seine
unüberlegten Massregeln beim Handeln, sein Unvermögen, etwas Be-
gonnenes auszuführen, seinen Hang zum Argwohn, seine Schmäh-
sucht gegen grosse Männer und seinen Verrath an den Gefährten,
und nach dem durch so viele Irrthümer herbeigeführten Einsturz des
aufgerichteten Gebäudes, seine schimpfliche Ruhe und seine häufige
Freude über die Trümmer desselben vor Augen halte.“ (Siehe die
von dem Uebersetzer vorangestellten Lebensnachrichten S. 23.} Dieser
strengen Ansicht gemäss werden der Aberglaube und Fanatismus,
die Neuerungssucht und der Wankelmuth des Neapolitaners
bei jeder schicklichen Gelegenheit als Warnungszeichen hervorge-
hoben; ein Verfahren, welches nur wenige Geschichtschreiber der
Neuern aus Furcht vor der öffentlichen Ungunst eingehalten haben.
Ebenso rücksichtslos bekommen einzelne B ür g e r c 1 a s s e n und Berufs-
arten, wenn sie es verdienen, ihre Abfertigung; der stolze, träge
und dabei schlaue Priester, der bequeme, dem Lebensgenuss und Prunk
nachgehende Adelige, der gemächliche, gegenüber dem Hof und den
Vornehmen geschmeidige Bürger, der oft träge und abergläubige Bauer,
XL. Jahrg. 2. Doppelheft 12
HEIDELBERGER
1847.
Colletta: Clescliiclite von Neapel^ iiliersetzt
von lieber.
(Schluss.)
x.
Auch die Vaterlandsliebe des Neapolitaners erinnert biswei-
len an den Römer; sie ist glühend, aber männlich, ohne alle verfüh-
rerische Weichlichkeit, Schmeichelei und Prunksucht; das Volk und die
Grossen bekommen einen treuen Spiegel ihrer Gebrechen und Blössen,
kein Afterbild erträumter Tugend und Vollkommenheit; auch der
leiseste Hang zur nationalen Eitelkeit und wohlgefälligen Ko-
ketterie mit dem Publicum, besonders dem jugendlichen, wird
als unwürdig des Historikers unterdrückt, dagegen nach Gebühr jeder
schöne Zug im Leben des Volks und der Regierung bereitwillig aner-
kannt und als Zeuge des Bessern mit Freuden begrüsst. „Unserm Vater-
lande, heisst es, thut keine Täuschung, wohl aber ein treuer
Spiegel Noth, der ihm seine politische Ruhelosigkeit, seine
unüberlegten Massregeln beim Handeln, sein Unvermögen, etwas Be-
gonnenes auszuführen, seinen Hang zum Argwohn, seine Schmäh-
sucht gegen grosse Männer und seinen Verrath an den Gefährten,
und nach dem durch so viele Irrthümer herbeigeführten Einsturz des
aufgerichteten Gebäudes, seine schimpfliche Ruhe und seine häufige
Freude über die Trümmer desselben vor Augen halte.“ (Siehe die
von dem Uebersetzer vorangestellten Lebensnachrichten S. 23.} Dieser
strengen Ansicht gemäss werden der Aberglaube und Fanatismus,
die Neuerungssucht und der Wankelmuth des Neapolitaners
bei jeder schicklichen Gelegenheit als Warnungszeichen hervorge-
hoben; ein Verfahren, welches nur wenige Geschichtschreiber der
Neuern aus Furcht vor der öffentlichen Ungunst eingehalten haben.
Ebenso rücksichtslos bekommen einzelne B ür g e r c 1 a s s e n und Berufs-
arten, wenn sie es verdienen, ihre Abfertigung; der stolze, träge
und dabei schlaue Priester, der bequeme, dem Lebensgenuss und Prunk
nachgehende Adelige, der gemächliche, gegenüber dem Hof und den
Vornehmen geschmeidige Bürger, der oft träge und abergläubige Bauer,
XL. Jahrg. 2. Doppelheft 12