Nr. 27.
HEIDELBERGER
1847.
JAHRBÜCHER SER LITERATUR.
Nlaiiotti: Italien 9 übersetzt von Seybt.
(Schluss.)
Die italienische Literatur empfiehlt sich mehr der Theilnahme als
der Bewunderung des Auslandes. Sie ist verhältnissmässig unfruchtbar
und stumm, aber sie ist auch unbefleckt und rein. Sie verfolgt ihren
geraden Weg, bis ihre heilige Sendung vollbracht und bis jene Rache
des Himmels, welche die Missethaten der Väter noch weiter bestraft als
bis ins vierte Glied, endlich versöhnt ist.
Dies ist in der Kürze der Hauptinhalt des in mancher Hinsicht
sehr reichen Werks. Die fünf angeführten Perioden in der Entwick-
lungsgeschichte Italiens werden in eben so viel grossem, in Kapitel ab-
getheilten Abschnitten ausgeführt und dabei immer die politische Ent-
wicklung neben der literarischen dargestellt. Wir würden zu weitläufig
werden, wenn wir in die einzelnen Abschnitte, die neben manchem
schief Aufgefassten doch voll guter und scharfsinniger Ideen sind, tiefer
eingehen wollten, und begnügen uns daher nur noch Einzelnes hervor-
zuheben, in der Absicht, das Werk Allen, die sich für Italiens Gegen-
wart und Zukunft interessiren, zu empfehlen.
Der Verfasser konnte nach seinem Zweck nicht mit philosophischer
und ästhetischer Kritik in die einzelnen Werke der Dichter eingehen
noch den innern Zusammenhang in dem Entwicklungsgang der Literatur
darstellen. Wir erfahren daher über manche Dichter, z. B. besonders
Dante wenig Neues. Doch macht er am Ende des Kapitels über diesen
die richtige Bemerkung: die Verehrung Dante’s nahm allmählig ab.
Das Wiederaufleben des Lateinischen im 15. Jahrhundert zum grossen
Schaden der Volkssprache, die abgöttische Verehrung Petrarca’s un-
ter der zahllosen Menge seiner Nachahmer im 16., und die allmählige
Verschlechterung des Geschmacks und Entartung der Sitten in den zwei
folgenden Jahrhunderten hatten am Ende die Wirkung, Dante den
Augen der lesenden Allgemeinheit zu entziehen. Nur in dem innersten
Heiligthum vereinsamter Geister, in den wetteifernden Bestrebungen einer
originellen Phantasie, wie Michel-Angelo’s, in den Sympathieen eines
XL. Jahrg. 3. Doppelheft. 27
HEIDELBERGER
1847.
JAHRBÜCHER SER LITERATUR.
Nlaiiotti: Italien 9 übersetzt von Seybt.
(Schluss.)
Die italienische Literatur empfiehlt sich mehr der Theilnahme als
der Bewunderung des Auslandes. Sie ist verhältnissmässig unfruchtbar
und stumm, aber sie ist auch unbefleckt und rein. Sie verfolgt ihren
geraden Weg, bis ihre heilige Sendung vollbracht und bis jene Rache
des Himmels, welche die Missethaten der Väter noch weiter bestraft als
bis ins vierte Glied, endlich versöhnt ist.
Dies ist in der Kürze der Hauptinhalt des in mancher Hinsicht
sehr reichen Werks. Die fünf angeführten Perioden in der Entwick-
lungsgeschichte Italiens werden in eben so viel grossem, in Kapitel ab-
getheilten Abschnitten ausgeführt und dabei immer die politische Ent-
wicklung neben der literarischen dargestellt. Wir würden zu weitläufig
werden, wenn wir in die einzelnen Abschnitte, die neben manchem
schief Aufgefassten doch voll guter und scharfsinniger Ideen sind, tiefer
eingehen wollten, und begnügen uns daher nur noch Einzelnes hervor-
zuheben, in der Absicht, das Werk Allen, die sich für Italiens Gegen-
wart und Zukunft interessiren, zu empfehlen.
Der Verfasser konnte nach seinem Zweck nicht mit philosophischer
und ästhetischer Kritik in die einzelnen Werke der Dichter eingehen
noch den innern Zusammenhang in dem Entwicklungsgang der Literatur
darstellen. Wir erfahren daher über manche Dichter, z. B. besonders
Dante wenig Neues. Doch macht er am Ende des Kapitels über diesen
die richtige Bemerkung: die Verehrung Dante’s nahm allmählig ab.
Das Wiederaufleben des Lateinischen im 15. Jahrhundert zum grossen
Schaden der Volkssprache, die abgöttische Verehrung Petrarca’s un-
ter der zahllosen Menge seiner Nachahmer im 16., und die allmählige
Verschlechterung des Geschmacks und Entartung der Sitten in den zwei
folgenden Jahrhunderten hatten am Ende die Wirkung, Dante den
Augen der lesenden Allgemeinheit zu entziehen. Nur in dem innersten
Heiligthum vereinsamter Geister, in den wetteifernden Bestrebungen einer
originellen Phantasie, wie Michel-Angelo’s, in den Sympathieen eines
XL. Jahrg. 3. Doppelheft. 27