Oelsner’s Denkwürdigkeiten.
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blieben. Jedoch im Ganzen haben allerdings die Reformation und geläu-
terte Grundsätze des Staatshaushaltes manchen Stein des Anstosses besei-
tigt; es kommt nur darauf an, dass man sich nicht abschrecken lasse
durch einzelne Auswüchse und den Kern der Dinge nie aus den Augen
verliere. Unfähig, wie die sechsmonatliche Erfahrung dieses Jahres zeigt,
einen auch nur mässigen Grad der schöpferischen Kraft und besonnenen
Selbstbeherrschung zu entwickeln, müssen daher die constituirenden, Zeit,
Geld und Geduld erschöpfenden Nationalversammlungen in Paris, Wien, Ber-
lin und Frankfurt dem höhern Bedürfniss folgen, sich auflösen und klei-
neren, an Einsicht und Bürgertugend überlegenen Ausschüssen Platz machen.
Geschieht das nicht, so wird wachsende Gesetzlosigkeit die Folge seyn
und der Unverstand, wie früher in absolutistischer, so jetzt in repräsen-
tativ-demokratischer Gestalt am Ruder bleiben, um endlich entweder der
Militärdictatur oder dem Pöbelregiment die Zügel zu übergeben.
Der neunte Aufsatz, überschrieben: Völkerrechtliche Erschaue (Prin-
cipien), entwickelt in gedrängter, lichtvoller Sprache die auf den Gegen-
stand bezüglichen Hauptsätze auf dem Wege des Nachdenkens und der
Erfahrung. Manche der dermaligen Lebens- und Zeitfragen sieht sich
dabei betheiligt, wodurch natürlich das Interesse der Abhandlung verstärkt
wird. So erörtert z. B. §. 11. die Gebietserweiterungen. „Ein wirk-
sames Mittel zum Frieden“, heisst es, „wäre genaue Bestimmung des
Umrisses, innerhalb dessen die Integrität eines Volks unverletzlich wird.
Das stärkste Band, welches mehrere kleine Völkerschaften zu einem Staate
vereinigt, ist die Gewohnheit, von einem gemeinschaftlichen Thätigkeits-
punkt aus seit Langem regiert zu werden. Die Uebereinstimmung der
Sprache ist ein weit geringeres Bindungsmittel. Es leistet jedoch unter
gewissen Umständen sehr Viel; denn ohne Verwandtschaft in der Em-
pfindung und Denkart, in der ganzen Lebensweise verschiedener Stämme,
wäre Einklang der Laute und ihrer Bedeutung unmöglich. Endlich wird
auch der Gebietszusammenhang mit den durch ihn begründeten Nothwen-
digkeiten und Bedürfnissen ein wesentlicher Bestimmungsgrund der Inte-
grität.“ — Da also, folgert ungefähr der Verfasser, das historisch-sitt-
liche (Gewohnheit), sprachlich-verwandtschaftliche und commerziell-indu-
strielle (Nutzen) Princip für den staatlichen Zusammenhang mehr oder
weniger vereint wirken: so wäre es Thorheit, einen vorhandenen, all—
mählig gewordenen Complex nach dem ausschliesslichen Gesetz der phy-
sischen Grenze und Sprache stören oder auflösen zu wollen. Denn sollte
z. B. Frankreich aus Rücksicht auf Stamm und Sprache Lothringen und
Elsass herausgeben, so müsste hinwiederum Teutschland einen Theil der
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blieben. Jedoch im Ganzen haben allerdings die Reformation und geläu-
terte Grundsätze des Staatshaushaltes manchen Stein des Anstosses besei-
tigt; es kommt nur darauf an, dass man sich nicht abschrecken lasse
durch einzelne Auswüchse und den Kern der Dinge nie aus den Augen
verliere. Unfähig, wie die sechsmonatliche Erfahrung dieses Jahres zeigt,
einen auch nur mässigen Grad der schöpferischen Kraft und besonnenen
Selbstbeherrschung zu entwickeln, müssen daher die constituirenden, Zeit,
Geld und Geduld erschöpfenden Nationalversammlungen in Paris, Wien, Ber-
lin und Frankfurt dem höhern Bedürfniss folgen, sich auflösen und klei-
neren, an Einsicht und Bürgertugend überlegenen Ausschüssen Platz machen.
Geschieht das nicht, so wird wachsende Gesetzlosigkeit die Folge seyn
und der Unverstand, wie früher in absolutistischer, so jetzt in repräsen-
tativ-demokratischer Gestalt am Ruder bleiben, um endlich entweder der
Militärdictatur oder dem Pöbelregiment die Zügel zu übergeben.
Der neunte Aufsatz, überschrieben: Völkerrechtliche Erschaue (Prin-
cipien), entwickelt in gedrängter, lichtvoller Sprache die auf den Gegen-
stand bezüglichen Hauptsätze auf dem Wege des Nachdenkens und der
Erfahrung. Manche der dermaligen Lebens- und Zeitfragen sieht sich
dabei betheiligt, wodurch natürlich das Interesse der Abhandlung verstärkt
wird. So erörtert z. B. §. 11. die Gebietserweiterungen. „Ein wirk-
sames Mittel zum Frieden“, heisst es, „wäre genaue Bestimmung des
Umrisses, innerhalb dessen die Integrität eines Volks unverletzlich wird.
Das stärkste Band, welches mehrere kleine Völkerschaften zu einem Staate
vereinigt, ist die Gewohnheit, von einem gemeinschaftlichen Thätigkeits-
punkt aus seit Langem regiert zu werden. Die Uebereinstimmung der
Sprache ist ein weit geringeres Bindungsmittel. Es leistet jedoch unter
gewissen Umständen sehr Viel; denn ohne Verwandtschaft in der Em-
pfindung und Denkart, in der ganzen Lebensweise verschiedener Stämme,
wäre Einklang der Laute und ihrer Bedeutung unmöglich. Endlich wird
auch der Gebietszusammenhang mit den durch ihn begründeten Nothwen-
digkeiten und Bedürfnissen ein wesentlicher Bestimmungsgrund der Inte-
grität.“ — Da also, folgert ungefähr der Verfasser, das historisch-sitt-
liche (Gewohnheit), sprachlich-verwandtschaftliche und commerziell-indu-
strielle (Nutzen) Princip für den staatlichen Zusammenhang mehr oder
weniger vereint wirken: so wäre es Thorheit, einen vorhandenen, all—
mählig gewordenen Complex nach dem ausschliesslichen Gesetz der phy-
sischen Grenze und Sprache stören oder auflösen zu wollen. Denn sollte
z. B. Frankreich aus Rücksicht auf Stamm und Sprache Lothringen und
Elsass herausgeben, so müsste hinwiederum Teutschland einen Theil der