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Ziller: Einleitung in die allgemeine Pädagogik.

wir auch beim Verf. (p. 105), ganz abgesehen davon, dass die
Einheit des Erziehungszweckes bei Herbart durch die Fünfzahl der
praktischen Ideen gefährdet wird, die auseinander unableitbar sind,
so dass, wie der Verf. selbst anerkennt (p. 11), die Einheit des
pädagogischen Zweckes wie die Einheit der Idee des Guten selbst
nichts weiter ist als eine blosse „Zusammenfassung einer
Mehrheit ursprünglich evidenter Musterbilder für den Willen“, zu
welcher „die Einheit des persönlichen Bewusstseins hinzugedacht
ist“, d. h. die Einheit ist eine gänzlich subjec.tive, blos collective.
Der Verf. erstrebt, wie er schon im Vorworte bemerkt, „eine
Ausgleichung mit der religiösen Richtung der Pädagogik.“ Diess
hat ihn zu der einzigen bedeutenderen Abweichung von Herbart’s
Ansichten vermocht, die sich in seiner Schrift findet: sie besteht
darin, dass er die Religionslehre (die lutherische Dogmatik? oder
eine andere? eine Religionsphilosophie? und welche?) als Hülfs-
wissenschaft der Pädagogik bezeichnet, die Religionslehre, die bei
Herbart wenigstens keine Wissenschaft ist. Wie der Verf. (p. 35)
das „Factum der Erbsünde“ mit seiner Leugnung einer der Seele
angeborenen Bildung zum Guten oder Bösen in Einklang zu brin-
gen weiss, ist uns unklar geblieben; nicht minder wie er (p. 96)
das Ziel der Erziehung in ein ideales Jenseits verlegen, aus mora-
lischen und religiösen Elementen zusammensetzen, und doch dabei
nicht allein die Einheit des Erziehungszweckes festhalten, sondern
diesen auch mit Herbart aus der Ethik allein abzuleiten versuchen
könne.
Je mehrere Ausstellungen wir genöthigt wTaren an der vorlie-
genden Schrift zu machen, desto tiefer fühlen wir die Verpflichtung,
schliesslich auch das Lobenswerthe hervorzuheben, das ihr eigen ist.
Nicht allein ist die Darstellung im Einzelnen klar, einfach und präcis,
sondern es fehlt auch nicht an einer Menge von werthvollen Be-
merkungen, welche zeigen, dass der Verf. mit grosser Umsicht und
Feinheit die so äusserst abstract gehaltene Pädagogik Herbart’s für
die Praxis der Erziehung fruchtbar zu machen verstanden hat —
eine Leistung, zu welcher nur wenige Pädagogen der Jetztzeit eine
gleiche Befähigung besitzen dürften. Besonders interessant und lehr-
reich wird er da, wo er den allgemeinen Begriffen den Rücken wendet
und der Erfahrung näher tritt; als am besten gelungen darf wohl
das §. 6 über die Erfahrung, und das §. 22 über die Behandlung
der Individualität Gesagte bezeichnet werden, und insofern es ge-
rade der Hauptzweck des Verf.’s war, die abstracte Pädagogik der
Praxis des Lebens näher zu führen, dürfen auch wir von seinem
Werke sagen, dass es seines Zieles nicht verfehlt habe.
 
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