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Picchioni: Del senso allegorico della Divina Commedia.

Es wird vielleicht Manchem erwünscht sein, wenn wir diese
Gelegenheit benutzen, hier ein französisches Urtheil über die Div.
Commedia mitzutheilen, das in der That Alles übertrifft, was bisher
von der Unwissenheit, dem Ungeschmack und der Anmassung in
Bezug auf Dante vorgekommen ist, und wovon man doch wegen
der hohen Stellung und Autorität des Beurtheilers (er ist kein Andrer
als der grosse Lamartine) und wegen des Blicks in die geistigen
Zustände des heutigen Frankreichs Akt nehmen muss. Wir haben
schon früher die Bearbeitungen der Div. Commedia von zwei her-
vorragenden Franzosen, Fauriel und Lamennais, besprochen, in de-
nen sich, besonders in der Arbeit des Letztem, ein sehr geringes
Eindringen in den Sinn des Gedichts, ein oberflächliches Studium
und eine vollständige Unkenntniss deutscher Arbeiten, ohne die man
sich doch kaum mehr an das grosse Gedicht wagen darf, offenbar-
ten. Den Franzosen der Jetztzeit scheint die Befähigung in ein
Gedicht von irgend welcher Tiefe des Gedankens und Inhalts sich
hinein zu denken und zu fühlen, die Fähigkeit die erhobne Stim-
mung des Geistes und Gemüths, in der ein so grosses Gedicht ge-
schaffen wurde, zu fassen, verloren gegangen zu sein, die sie noch
in der Zeit vor ihrer klassischen Form- und Manierperiode, beson-
ders während der Reformationskämpfe, so frisch besassen. Artaud
de Monthor brauchte den Dante für seine ultramontanen Ergüsse,
Lamennais brauchte ihn für seine Kämpfe gegen die neue päpstliche
Kirche, das Gedicht selbst wurde Nebensache, das Verständniss
desselben ging immer mehr verloren, und so war man in der fran-
zösischen Gelehrtenwelt allerdings reif für das Urtheil, das Lamar-
tine in einer Nummer des Sibcle zum Besten gab. Es heisst darin
unter Anderm: „Man kann Dante’s Gedicht unter die populären,
d. h. die localen, nationalen und Zeitgedichte einreihen, welche an
den Glauben, Aberglauben und die untersten Leidenschaften der
Masse gerichtet sind. Es war daher früher verständlich und popu-
lär, ist aber jetzt bei aller Anstrengung der Gelehrten ein Räthsel
und konnte daher seine Zeit nicht überleben. Um Dante zu ver-
stehen, müsste man die ganze florentinische Volksmasse seiner Zeit
wieder erwecken, denn ihren Glauben und ihren Hass hat er be-
sungen. Er ist darin gestraft, worin er gesündigt hat; er hat für
die öffentlichen Plätze gesungen, und die Nachwelt versteht ihn nicht
mehr. Was man noch allein verstehen kann, das ist, dass das aus-
schliesslich toscanische Gedicht Dante’s eine Art Rache-Satyre des
Dichters und Staatsmanns gegen die Männer und Partheien ist, de-
nen er seinen Hass gewidmet hat. Die Idee war kleinlich und des
Dichters unwürdig. Das Genie ist eine Gabe Gottes, die man nicht
mit Geringfügigkeiten profaniren darf. Dante glaubte, dass die
Jahrhunderte, in seine Verse vernarrt, Parthei nehmen würden ge-
gen irgend unbekannte Rivalen oder Feinde, die damals das Pflaster
von Florenz traten. Diese Freundschaften oder Feindschaften obscurer
Menschen sind der Nachwelt ganz gleichgültig. Sie ziehen einen
 
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